Berlin. Nie waren illegale Rauschmittel so leicht zu bekommen wie heute. Der Markt wächst, warnen Experten. Die Drogenbeauftragte ist besorgt.

„Ich arbeite sieben Tage in der Woche“, sagt Marlene Mortler. „Oft 70 bis 80 Stunden.“ Trotzdem sei sie noch nie auf die Idee gekommen, mit Aufputschmitteln ihre Leistung zu steigern. Aber sie wisse genau, wie schwer es sei, die Balance zu halten zwischen Anstrengung und Entspannung.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung erzählt das, weil sie glaubt, dass hier eine wichtige Ursache für den Konsum illegaler Drogen liegt: „Höher, schneller, weiter und pausenloser Spaß – das ist eine Maxime, die für immer mehr Menschen nur mit Rauschmitteln zu erreichen ist.“

Zahl der Rauschgiftdelikte gestiegen

Doch nicht nur der hohe Druck spielt eine Rolle, das weiß auch die CSU-Politikerin. Illegale Drogen waren nie so leicht zu bekommen wie heute. Das Bundeskriminalamt zählte zuletzt 45 Internetplattformen, die in Deutschland illegale Drogen vermarkten. Hinzu kommt: Weltweit expandieren die Anbaugebiete – für Heroin in Afghanistan, Kokain in Kolumbien und Cannabis in Albanien.

„Der Markt wird breiter“, sagt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), bei der Vorstellung des Jahresberichts zur Rauschgiftkriminalität. Auch die Zahl der Rauschgiftdelikte sei im sechsten Jahr in Folge gestiegen – zuletzt um sieben Prozent auf 302.592 Fälle.

Die meisten Drogentoten sind Männer

Ebenfalls mit Besorgnis sehen die Experten, dass die Zahl der Rauschgifttoten durch illegale Drogen bundesweit weiter angestiegen ist: Im letzten Jahr starben 1333 Menschen, neun Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2012 waren die Zahlen gesunken.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, neben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU).
Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, neben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU). © dpa | Soeren Stache

84 Prozent der Drogentoten waren männlich, das Durchschnittsalter lag bei rund 38 Jahren. Die meisten Drogenopfer zählten Bayern (321), Nordrhein-Westfalen (204), Baden-Württemberg (170) und Berlin (167). Die wenigsten Drogentoten gab es in Mecklenburg Vorpommern. Hier starben neun Menschen nach einer Überdosis. In einigen Bundesländern gingen die Zahlen allerdings auch gegen den Bundestrend zurück – etwa in Hessen, Niedersachsen, Bremen, Thüringen und Sachsen.

Todesursache war in den meisten Fällen eine Überdosis Heroin (531), gefolgt von Todesfällen durch Opiat-Ersatzstoffe wie Methadon (231) und Amphetamine (103). Insgesamt 71 Menschen starben an einer Überdosis Kokain. Die Gründe für den Anstieg der Totenzahlen sehen Experten auch in einer steigenden Stoffqualität: So sei der Reinheitsgehalt von Kokain in den vergangenen sieben Jahren von 40 auf 70 Prozent gestiegen. Die Potenz des weißen Pulvers werde von vielen Konsumenten unterschätzt.

Knapp 100 Menschen starben durch „Legal Highs“

Doch Heroin, Koks und illegale Aufputschmittel sind oft nicht die alleinige Todesursache: In vielen Fällen spielten auch weitere Substanzen eine Rolle. „Die echten Herausforderungen sind die immer größere Bandbreite verfügbarer Substanzen und der zunehmende Mischkonsum“, warnt Mortler. Besonders beunruhigend für Experten ist in diesem Zusammenhang der Anstieg bei den Todesfällen durch neue psychoaktive Stoffe (NPS). Im Jahr 2015 starben 39 Menschen daran, im letzten Jahr wurden schon 98 Fälle gezählt.

Die Stoffe tauchten das erste Mal vor rund zehn Jahren auf und werden seitdem im Internet und auf Partys als „Legal Highs“, „Kräutermischungen“ oder „Badesalze“ angeboten. Sie sollen den Eindruck vermitteln, harmlose und zudem legale Spaßbeschleuniger zu sein. Doch beides ist falsch: Der Konsum kann nach Angaben der Drogenbeauftragten zu Kreislaufversagen, Ohnmacht, Psychosen, Wahnvorstellungen und teilweise sogar lebensgefährlichen Vergiftungen führen.

Drogenbeauftragte Mortler will die Prävention verbessern

Legal sind die meisten auch nicht mehr: Die Bundesregierung hat Ende letzten Jahres per Gesetz erstmals ganze Stoffgruppen, die Bestandteil der neuen Trenddrogen sind, verboten – darunter etwa synthetische Cannabinoide. Damit soll der Hase-und Igel-Effekt zwischen Staat und Drogenhandel beendet werden: Die Behörden konnten zwar einzelne Mischungen unter das Betäubungsmittelgesetz stellen, doch die Hersteller und Händler entzogen sich dem Zugriff immer wieder, indem sie ihre Produkte mit kleinen Änderungen in der Zusammensetzung zurück auf den Markt brachten.

Noch sei es zu früh, um die Wirkung des Gesetzes zu bewerten, sagt BKA-Chef Münch. Das weitreichende Verbot der „Legal Highs“ habe die Strafverfolgung aber überhaupt erst möglich gemacht. Mortler fordert zudem, die Prävention zu verbessern: Jeder, der erstmalig mit einer verbotenen Substanz aufgegriffen wird, müsse umgehend Beratung erhalten.

Crystal Meth vor allem in Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt

Vorsichtig optimistisch sehen Experten die Entwicklung bei Crystal Meth, das vor allem in Drogenküchen in Tschechien hergestellt wird. Anders als erwartet breite sich die synthetische Droge nicht „wie ein Lauffeuer“ nach Westen aus, sagt Mortler. Die Zusammenarbeit mit den tschechischen Behörden laufe gut. Besonders betroffen sind laut BKA-Bericht nach wie vor Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. 2016 wurden in Deutschland insgesamt 62 Kilogramm der synthetischen Droge sichergestellt – sieben Prozent weniger als im Vorjahr.

Der jährliche Bericht zur Rauschgiftkriminalität umfasst ausschließlich Delikte und Todesfälle mit Bezug zu illegalen Drogen. Ungleich mehr Menschen kommen in Deutschland jedoch durch den Missbrauch von legalen Drogen zu Tode: Knapp 200.000 Menschen sterben jedes Jahr durch Alkohol und Nikotin.