Berlin. Vor einigen Jahren wähnten sich die Grünen noch auf dem Weg zur Volkspartei, nun zittern sie vor der Fünfprozenthürde. Was ist da los?

Im Hause Özdemir ist das Auto Frauensache. Er brauche keines, sagt der Grünen-Chef. Doch er hat mit seiner Frau besprochen, welches Auto angeschafft wird. Er plädierte natürlich für ein Elektroauto. Doch dann haben sie einen Hybrid gekauft. Weil die Ladeinfrastruktur in Deutschland noch nicht so weit sei, sagt Özdemir. Er fordert ein „massives Investitionsprogramm“.

Das macht Cem Özdemir oft: politische Botschaften mit seiner Person verknüpfen, auch am Mittwoch auf dem grünen „Autogipfel“ in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Vor allem seine Herkunft – geboren in Baden-Württemberg als Kind türkischer Einwanderer – gibt da viel her.

Mit Martin Schulz wurde es für die Grünen ungemütlich

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde im Herbst noch als möglicher Bundespräsident gehandelt.
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde im Herbst noch als möglicher Bundespräsident gehandelt. © dpa | Bernd Weissbrod

Doch auch das hilft nicht. Die Grünen sind in den Umfragen abgestürzt – auf sechs bis acht Prozent. Vergangenen Sommer lagen sie noch bei 13 bis 14 Prozent. Im Herbst wäre Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fast für das Amt des Bundespräsidenten nominiert worden. Die Grünen waren selbstbewusst, surften auf einer Welle des Erfolgs. Doch dann kam Martin Schulz.

Der SPD-Kanzlerkandidat holte seine Partei aus dem jahrelangen Jammertal. Für die Grünen wurde es sofort ungemütlich: Im Saarland flog die Öko-Partei vor ein paar Wochen sogar aus dem Landtag. Özdemir gehört zwar zu den beliebtesten Politikern Deutschlands, im ARD-Deutschlandtrend liegt er gleichauf mit Martin Schulz (48 Prozent). Doch es gelingt ihm nicht, das auf seine Partei umzumünzen.

Grüne Themen „gerade nicht der heiße Scheiß der Republik“

Es sieht düster aus, die Stimmung bei den Grünen ist angespannt. Viele Abgeordnete wären schon froh, wenn das Ergebnis von 2013 bei der Bundestagswahl im September wiederholt werden könnte – auch wenn die 8,4 Prozent damals als Niederlage empfunden wurden. Wäre das Wahljahr ein Fußballspiel, würde es so aussehen: Es ist noch nicht mal Halbzeit – und die Grünen liegen schon 0:3 zurück.

Grüne wollen mit Kernthema Ökologie punkten

weitere Videos

    Aktuell haben die Grünen nichts in der Hand, um die Wende zu schaffen. Sie wirken angeschlagen, kraftlos. Nach der verlorenen Saarland-Wahl sagte Katrin Göring-Eckardt, neben Ödzemir Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, die Themen der Grünen seien „gerade nicht der heiße Scheiß der Republik“. Ratlosigkeit in der Sonnenblumen-Partei. Ihr Kernthema Ökologie zieht nicht. Und bei den Diskussionen um die großen Themen soziale Gerechtigkeit und innere Sicherheit spielen sie keine Rolle.

    Town Hall Meetings mit Göring-Eckardt und Özdemir sollen die Wende bringen

    Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck unterlag Özdemir bei der grünen Urwahl zum Spitzenkandidaten nur knapp.
    Der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck unterlag Özdemir bei der grünen Urwahl zum Spitzenkandidaten nur knapp. © dpa | Holger Hollemann

    Die Grünen wollen jetzt einen Häuserwahlkampf machen. Also von Tür zu Tür gehen und mit den Menschen reden. Göring-Eckardt und Özdemir reisen durch die Republik und veranstalten sogenannte Town Hall Meetings, die auch gut besucht werden. Oberstes Gebot: Wahlkampf nah an den Wählern.

    Doch reicht das? Die Grünen wollen deutlich zweistellig werden. Und dritte Kraft im Bundestag. Vor der Linken, AfD und FDP. Und dann nach zwölf Jahren Opposition wieder in die Regierung kommen. „Im Kampf um Platz drei geht es um die Frage, was für ein Gesicht Deutschland hat – ein menschliches und weltoffenes“, der „Zukunft zugewandtes oder eben nicht“, sagt Özdemir dieser Redaktion.

    Zweitstimmenkampagne in NRW könnte wie blanke Panik wirken

    Auf dem Weg dahin steht mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai eine harte Prüfung an. Die Grünen, Regierungspartei an Rhein und Ruhr, liegen bei sechs Prozent. Und blicken ängstlich auf die Fünf-Prozent-Hürde. Jetzt starten sie eine Zweitstimmenkampagne, die auf viele Wähler wie blanke Panik wirken könnte.

    In Schleswig-Holstein, wo schon am 7. Mai gewählt wird, sieht es hingegen viel besser aus. Da liegen die Grünen bei zwölf Prozent – auch dank des im Norden beliebten Umweltministers Robert Habeck, der Özdemir bei der grünen Urwahl zum Spitzenkandidaten nur knapp unterlag.

    Forsa-Chef Güllner glaubt nicht an die Strategie der Grünen

    In NRW liegen die Grünen von Landes-
    In NRW liegen die Grünen von Landes- © dpa | Ina Fassbender

    Habeck hofft, dass Schleswig-Holstein der Wendepunkt für seine Partei wird. „Wenn wir hier ein gutes zweistelliges Ergebnis holen, werden wir in NRW stärker als bisher angenommen und kommen dort wieder an die Regierung“, sagt Habeck dieser Redaktion. Und dann sei die Geschichte „Die Grünen sind durch“ weg. „Wir im Norden sind die Räuberleiter“, sagt Habeck.

    Doch es ist ungewiss, ob diese Strategie aufgeht. Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, glaubt nicht daran. „Das wird so nicht funktionieren“, sagt Güllner. „In Nordrhein-Westfalen sind die Wähler mit vielem unzufrieden, für das die Grünen verantwortlich sind, vor allem mit der Schul- und Infrastrukturpolitik. Das ändert sich doch nicht, wenn Habeck im Norden ein gutes Ergebnis holt“, sagt er.

    „Die Schwäche der Grünen hat wenig mit Personen zu tun“

    Nach der Schleswig-Holstein-Wahl droht eine Personaldiskussion. Nach dem Motto: War es richtig, Özdemir zum Spitzenkandidaten zu wählen? Wäre nicht Habeck der bessere Mann gewesen? Hat der Wähler nicht Lust auf ein neues Gesicht? Hätte es einen Habeck-Effekt gegeben – also so etwas wie den Schulz-Effekt für die SPD? Güllner glaubt auch daran nicht. „Das ist nur Spekulation“, sagt er. Özdemir sei in der Bevölkerung ja beliebt. „Die Schwäche der Grünen hat wenig mit Personen zu tun.“

    Die Spitzenkandidaten der Bundestagswahl

    Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013.
    Sie ist zum vierten Mal angetreten und siegte erneut: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Partei CDU die Wahl gewonnen – wenn auch mit herben Verlusten: 26,8 Prozent holten die Christdemokraten. Das sind 7,3 Prozent weniger als bei der Wahl 2013. © dpa | Michael Kappeler
    Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann.
    Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der als Spitzenkandidat der CSU in den Wahlkampf zog, hatte das schlechte Abschneiden seiner Partei Folgen: Zwar haben alle Direktkandidaten der CSU den Sprung in den Bundestag geschafft – von der Landesliste gelang das aber keinem. Darunter auch Herrmann. © dpa | Matthias Balk
    Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein.
    Als der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD ernannt wurde, waren die Hoffnungen auf einen Machtwechsel groß. Sie zerschlugen sich: Mit Schulz als Spitzenkandidat fuhr die SPD mit 20,5 Prozent des schlechteste Ergebnis überhaupt ein. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH
    Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent.
    Cem Özdemir und die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gingen als Spitzenduo in die Bundestagswahl. Nachdem die Grünen laut Umfragen zeitweise um den Einzug in den Bundestag bangen mussten, holten sie am Ende souverän 8,9 Prozent. © imago | Jens Jeske
    Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein.
    Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollten den Platz der Linken als drittstärkste Kraft im Bundestag unbedingt verteidigen. Zwar holten sie 9,2 Prozent und damit mehr als bei der letzten Wahl 2013. Stärkste Opposition ist die Linke aber nicht mehr. Diesen Platz nimmt nun ausgerechnet die AfD ein. © dpa picture alliance | Emmanuele Contini
    Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen.
    Christian Lindner ist das Gesicht der FDP – und konnte die FDP wieder in den Bundestag bringen. Nur die AfD konnte den Liberalen, die 10,7 Prozent holten, den dritten Platz streitig machen. © picture alliance / Maurizio Gamb | dpa Picture-Alliance / Maurizio Gambarini
    Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent.
    Alice Weidel und Alexander Gauland haben die AfD als Spitzenkandidaten auf Platz drei geführt. Insgesamt holten die Rechtspopulisten 12,6 Prozent. © picture alliance / Uli Deck/dpa | dpa Picture-Alliance / Uli Deck
    1/7

    Der Forsa-Chef sieht ein anderes Problem – es fehle den Grünen an Nachwuchs bei den Wählern: „Früher haben die jungen Menschen die Grünen gewählt“, sagt Güllner. „Drei Viertel der Wähler waren unter 30 Jahren.“ Heute seien die Grünen-Wähler zwischen 50 und 60 Jahre alt. „Mein Enkelin würde sagen: Die Grünen sind etwas für alte Leute.“

    Die Grünen sind einfach nicht mehr hip

    Auch andere Demoskopen sehen schwarz für die Grünen. Vor Kurzem analysierte das Allensbach-Institut, dass die Öko-Partei nicht mehr „hip“ sei. Begründet wird das so: 2010 lagen die Grünen in Umfragen bei 18 Prozent – fast 60 Prozent der Wähler hielten sie für „in“. Heute sind nur 13 Prozent dieser Meinung.

    Doch Özdemir will kämpfen. „Wir stehen in den Umfragen nicht gut da, aber die Antwort kann ja nicht sein, jetzt fünf Monate vor dem Wahltag zu verzagen“, sagt er. „Wir gehen raus mit unseren Argumenten und Zielen und kämpfen für ein gutes Ergebnis.“ Es sei noch alles drin.