Istanbul. Bei Mai-Kundgebungen in der Türkei sind mehr als 200 Menschen verhaftet worden. Fast 4000 Beamte sind per Dekret entlassen worden.

In Istanbul haben sich Demonstranten und Sicherheitskräfte zum 1. Mai Straßenschlachten geliefert. Im Stadtteil Mecidiyeköy setzte die Polizei am Montag einem Reuters-Reporter zufolge Tränengas und Gummigeschosse gegen eine Gruppe ein, die sich den Weg zum Taksim-Platz bahnen wollte.

Dort war es 2013 wochenlang zu Demonstrationen gegen die Regierung gekommen. Der UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein hatte zuvor die jüngste Welle von Festnahmen und Massenentlassungen in der Türkei kritisiert. Der Kampf gegen den Terror dürfe nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, nannte die EU-Beitrittsgespräche eine Fiktion.

Mehr als 40.000 Festnahmen und seit Juli 2016

Den Behörden zufolge wurden 207 Personen festgenommen. Es seien Handgranaten, Brandsätze und Feuerwerkskörper beschlagnahmt worden. In der Türkei finden am Tag der Arbeit regelmäßig Proteste statt, bei denen es immer wieder zu Gewalt kommt. Die Gewerkschaften hatten in diesem Jahr angekündigt, das Verbot von politischen Veranstaltungen auf dem Taksim-Platz einzuhalten. Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum zur Ausweitung der Befugnisse von Präsident Recep Tayyip Erdogan sind die Spannungen im Land besonders hoch.

Die türkischen Behörden gehen seit dem Referendum verschärft gegen mutmaßlich regierungsfeindliche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes vor. So wurden kürzlich erneut fast 4000 Beschäftigte in Verwaltung, Polizei und Militär von ihren Aufgaben entbunden. Ihnen werden Verbindungen zu „terroristischen Organisationen und Strukturen“ vorgeworfen. Seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr wurden insgesamt rund 120.000 Menschen suspendiert, mehr als 40.000 kamen ins Gefängnis.

Röttgen kritisiert Türkei-Politik der Bundesregierung

„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Suspendierungen und Festnahmen rechtmäßigen Verfahrensstandards genügen“, sagte UN-Menschenrechtskommissar Zeid. Er sei sehr besorgt über den Mitte April erneut ausgerufenen Ausnahmezustand in der Türkei und das „Klima der Angst in dem Land“. Zugleich äußerte Zeid sich kritisch zur Verhaftung von Journalisten. „Journalismus ist kein Verbrechen in der Türkei. Das muss die Regierung strikt beachten.“

Röttgen kritisierte am Sonntag die Haltung der Bundesregierung zur Türkei. Der Bundesaußenminister spreche sich „dezidiert für die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen aus, obwohl auch er genau weiß, dass sie ohne Inhalt sind, eine Fiktion sind“, sagte er in der ARD. Dies führe dazu, dass Deutschland keine wirkliche Türkeipolitik habe. Es werde Zeit, „dass wir uns an den Realitäten orientieren und nicht an den Hoffnungen vergangener Zeiten.“ Die Verhandlungen mit der EU sollten ausgesetzt werden. (rtr)