Berlin/Köln. Der öffentliche Dienst steht vor einer großen Pensionierungswelle. Doch es fehlt an Nachwuchs. Verwaltungsexperten schlagen Alarm.

Heute sitzen sie an den Schaltstellen der Macht, tragen Verantwortung im Staatsdienst, sind Experten in der Verwaltung: die Generation der Babyboomer – die geburtenstarken Jahrgänge der 50er- und der 60er-Jahre. Noch arbeiten sie. In zehn Jahren allerdings werden viele von ihnen im Ruhestand sein.

Auf den Staat kommt ein Generationenwechsel zu, wie er ihn in der jüngeren Vergangenheit noch nicht erlebt hat. Und offenbar ist er nicht darauf vorbereitet. „Wir werden in der Bundesverwaltung einen sogenannten Brain Drain bekommen“, sagt der Präsident des Bundesverwaltungsamts (BVA) in Köln, Christoph Verenkotte. Mit Brain Drain – wörtlich Gehirn-Abfluss – meint Verenkotte den Verlust hoch qualifizierter Fachkräfte, von Talent und Intelligenz. Rein personell wird der Staat demnach kleiner, in seinen (Dienst-) Leistungen womöglich schwächer.

Schon heute Personalsorgen in der Steuerverwaltung

Es sei klar vorhersehbar, dass die öffentliche Verwaltung schrumpfen werde, erklärt der Chef des Verwaltungsamtes, das die Bundesbehörden als zentraler Dienstleister bei der Personalgewinnung unterstützt. „Ich sehe, dass wir nicht alle Stellen nachbesetzen werden.“ Daher werden laut Verenkotte in Zukunft „bestimmte Dienstleistungen“ gar nicht mehr angeboten, zudem werden manche Dienstleistungen „nicht mehr die gewohnte Qualität haben“. Es werde auf jeden Fall Abstriche geben, so der BVA-Chef. Er selbst gehört mit seinen 58 Jahren zu jenen geburtenstarken Jahrgängen.

Ist die Warnung berechtigt? Ein Blick auf die eindeutigen Zahlen: Bundesweit sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit rund 4,64 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern beschäftigt. Zählt man dabei die Staatsbediensteten der Babyboomer-Jahrgänge zusammen, kommt man allein auf fast zwei Millionen Beschäftigte.

Da die jüngeren Jahrgänge signifikant schwächer im Staatsdienst vertreten sind, ist die Personallücke absehbar: Es geht um nicht weniger als Hunderttausende freiwerdende Stellen. „Es müsste jetzt ein riesiges Einstellungsprogramm gestartet werden, damit in fünf bis zehn Jahren die Verwaltungen nicht kollabieren“, fordert Verenkotte. Doch ein solches Programm sieht er nicht. „Die absehbare Pensionierungswelle macht uns zu schaffen“, gibt er unumwunden zu. Es gebe zwar den politischen Willen, auf das demografische Problem zu reagieren, aber es fehle die administrative Umsetzung.

500 Stellen sind für demografische Entwicklung vorgesehen

Der BVA-Präsident kritisiert hierfür die Bundesregierung: „500 Stellen werden im Bundeshaushalt für die vorzeitige Besetzung von durch die demographische Entwicklung ausscheidenden Beschäftigten vorgehalten – gehobene Symbolik bei fast 500.000 Beschäftigten in der Bundesverwaltung insgesamt.“ Entweder die Bundesverwaltung schaffe es, sich deutlich effektiver unter betriebswirtschaftlichen Aspekten zu organisieren und stärker in die Digitalisierung zu investieren, „oder sie muss manche ihrer Aufgaben überdenken“, warnt der Verwaltungsamts-Chef. Seiner Wahrnehmung nach „drücken sich die Verantwortlichen vor dieser Diskussion“ – zumindest bislang.

Klaus Dauderstaedt, der Viorsitzende des Beamntenbundes, warnt vor den Personallücken.
Klaus Dauderstaedt, der Viorsitzende des Beamntenbundes, warnt vor den Personallücken. © imago/IPON | imago stock&people

Während das BVA vor allem mit Blick auf das kommende Jahrzehnt besorgt ist, erkennt der Beamtenbund (dbb) schon heute gravierende Personallücken – auf allen Ebenen. Der Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt warnt: Allein die Herausforderungen durch das Ankommen vieler Menschen auf der Flucht in den letzten Jahren hätten offenbart, wie viele Baustellen es wegen des Personalmangels im öffentlichen Dienst auf allen Ebenen des Staates gebe.

Er zählt die Baustellen auf: Von den Sicherheitsbehörden über Betreuung, Erziehung und Bildung, den öffentlichen Gesundheitsdienst, die Arbeitsvermittlung bis hin zu sämtlichen Verwaltungskapazitäten insbesondere auf Landes- und Kommunalebene ist seiner Meinung nach „der Staat auf Kante genäht und damit nur schlecht für Krisen gewappnet“.

Länder und Kommunen sind besonders betroffen

Und er nennt Beispiele: So sei der jetzige Personalstand allein in der Steuerverwaltung bedenklich niedrig. „Hier fehlen rund 20 Prozent Personal, um den laufenden Steuervollzug seriös und nachhaltig umzusetzen“, weiß der dbb-Chef. Jährlich würden dem Staatshaushalt mindestens 50 Milliarden Euro Einnahmen verloren gehen – etwa 30 Milliarden im Bereich der Einkommens- und rund 20 Milliarden bei der Umsatzsteuer. „Denn Steuerhinterziehung und Steuerflucht können nicht effektiv geahndet werden. Das ist verantwortungslos“, sagt Dauderstädt, der die Interessen von rund 1,3 Millionen Beamten und Tarifbeschäftigten vertritt

Das Bundesinnenministerium richtet sich zumindest darauf ein, dass der Personalbedarf durch die anstehenden Pensionierungen steigen wird. Im Haus von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) heißt es beschwichtigend: Der verstärkte Generationenwechsel, ausgelöst durch die in den Ruhestand tretenden Babyboomer, werde nicht alle Berufsgruppen im öffentlichen Dienst gleichermaßen überproportional treffen.

„Nur in bestimmten Aufgabenbereichen und für bestimmte Berufsqualifikationen wird die Nachbesetzung auch aufgrund des tendenziell sinkenden Fachkräfteangebots auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermutlich schwieriger“, erklärt ein Ministeriumssprecher. Diese Bereiche würden weniger den Bund, als vielmehr Länder und Kommunen treffen, beispielsweise den Lehrerbereich.

Die Babyboomer sind aber auch überall.