Berlin. Peter Altmaier führt das Kanzleramt, koordiniert die Aufnahme der Flüchtlinge – und soll jetzt auch noch das CDU-Programm schreiben.
In seinem Büro trifft man ihn schon mal auf Socken an, hemdsärmelig, selbstredend krawattenlos. Peter Altmaier mag es ungezwungen. Die dicken Fensterscheiben halten den Lärm ab, wie durch einen Einwegspiegel geht der Blick vom Kanzleramt auf die Welt draußen, auf die Stadt, den Hauptbahnhof, das Regierungsviertel.
An der Wand hängt ein Gemälde von Uwe Kowski („Mount“), dazu ein Foto vom Saarpolygon, eine 30 Meter hohe Stahlskulptur aus dem Wahlkreis. In dieser Oase der Ruhe sitzt der Mann der Stunde, den der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki zum Rücktritt auffordert, weil er das Wahlprogramm der CDU schreiben soll; eine Verquickung von Regierungs- und Parteipolitik, die Kubicki in der „Bild“ als „eklatant verfassungswidrig“ und als „Unverfrorenheit“ kritisiert.
In Ungnade gefallen
Als Angela Merkel Anfang der 90er-Jahre ohne richtige Hausmacht den langen Marsch zur Macht antritt, stützt sie sich in der CDU – von Ausnahmen wie Peter Hintze abgesehen – auf Leute, die wie sie neu im Geschäft sind und zu keiner Seilschaft gehören: Norbert Röttgen, Eckhart von Klaeden, Friedbert Pflüger, Ronald Pofalla, Hildegard Müller. Altmaier ist der letzte und unkonventionellste in der Reihe. Alle anderen gehören nicht mehr dazu, Röttgen ist zwar noch da, aber in Ungnade gefallen.
Auf Altmaier, den letzten Mohikaner, stützt sich Merkel im härtesten Machtkampf ihrer Kanzlerschaft. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise überträgt sie ihm 2015 die Koordinierung der Regierungspolitik, damit das Management. Es ist eine Teil-Entmachtung von Innenminister Thomas de Maizière, bis heute fremdeln sie miteinander. Altmaier wird im Zuge der Flüchtlingskrise für viele zum roten Tuch, die CSU hält den Saarländer für einen gefährlichen Mann. Für Merkel ist er alles: Vertrauter, Ideen- und Taktgeber, Cheferklärer und Krisenmanager.
Schokoriegel am Automaten
Er leitet die Schaltzentrale der Macht, ihm unterstehen die Geheimdienste, er redet direkt mit den Ministerpräsidenten der Länder und wird mit allerlei Sonderaufgaben betraut. Man fragt sich, ob Altmaiers Tag mehr als 24 Stunden hat und ob er sich verzettelt. Wenn der Stress ihm zusetzt, stürmt er mit Münzgeld munitioniert in die Kantine und holt sich am Automaten Schokoriegel. Und Kaffee dazu.
Nun soll damit Schluss sein, unübersehbar hat er abgenommen, wie viel genau ist Betriebsgeheimnis, nur so viel: mehr als eine Kleidergröße. Die politische Gewichtsklasse des 58-Jährigen bleibt davon unbenommen. Schwergewicht. Angefangen hat der Jurist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Völkerrecht und später am Europa-Institut der Universität des Saarlandes, bevor er Beamter der Europäischen Kommission wurde. Formal ist er das bis heute geblieben und nur beurlaubt.
Grünkohlkönig von Oldenburg
1994 wird er erstmals in den Bundestag gewählt. Er ist 36 Jahre alt und hungrig und ein Aufstieg auf leisen Sohlen ist keine Option. Altmaier gehört in der CDU zur aufsehenerregenden „Pizza-Connection“, die sich mit den Grünen trifft. Mit vielen ist er bis heute per Du. Als der Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter das Buch „Fleischfabrik Deutschland“ präsentiert, kommt als Laudator kein Kostverächter infrage, sondern nur Altmaier, stolzer Grünkohlkönig von Oldenburg.
Das ist das aktuelle Bundeskabinett
Altmaier ist kein Senkrechtstarter, die Steilwände der Politik nahm er mit Bedacht in Angriff: Justiziar, Innenstaatssekretär, Parlamentarischer Geschäftsführer, Umweltminister, Kanzleramtschef, Schritt für Schritt kletterte er nach oben. Eigentlich hat er fast den Gipfel erreicht. Was kann noch kommen? Der Vorsitz der Unions-Fraktion?
Ende der Weimarer Republik
Was man über ihn weiß, erfährt man häufig über Twitter, zum Beispiel, wie er als Umweltminister zu Terminen, selbst nachts zu Koalitionsrunden, mit dem Fahrrad kam. Altmaier hat weit mehr als 9634 „Tweets“ abgesetzt und über 150.000 „Follower“, die er regelmäßig auf Laune hält, auch auf Englisch, Französisch und Flämisch, das er in seiner Brüsseler Zeit gelernt hat. Er sammelt alte Zeitungs- und Zeitschriftenausgaben, liest bevorzugt historische Bücher über die Geschichte der Zeit Bismarcks bis zum Ende der Weimarer Republik.
Vor allem kocht er gern. Von seinen Künsten am Herd, von seinen gefüllten Kartoffelklößen etwa, „Gefillde“ wie man in seiner Heimat sagt, schwärmen viele. Altmaier gibt bereitwillig Auskunft über sich selbst, hadert mitunter mit seiner Figur. Aber der erfahrene Politiker weiß auch, Grenzen zu setzen und seine Privatsphäre wenn nötig zu schützen. Und auf Twitter demonstriert Altmaier auch schon mal, wie man missliebige Diskussionen beenden kann: „Mach mich jetzt vom Acker!“