Berlin. Bleibt der Soli? Wird nur der Osten oder auch der Westen finanziert? Die Ministerpräsidenten hoffen auf Hilfe von Kanzlerin Merkel.

Der Solidarpakt läuft zwar 2019 aus, aber die ostdeutschen Bundesländer wollen auch danach an die Geldtöpfe. Eine Extrawurst? Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kam beim Treffen mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten am Donnerstag im sächsischen Bad Muskau ein „grundsätzliches Ja“. Sie verwies auf die niedrigere Wirtschaftskraft im Osten; darauf müsse man „mit besonderen Maßnahmen“ reagieren. Im Westen wird man es ungern hören.

„Es muss Schluss sein mit der Förderung nach Himmelsrichtung“, sagte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) unserer Redaktion, „wir brauchen eine Förderung nach Bedürftigkeit.“ Sie müsse Chancen eröffnen und Probleme beheben, die hießen Arbeitsmarkt und Strukturwandel, erläuterte der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling (SPD). Und: „Es gibt keine Frage Ost gegen West, Förderung muss dem Zusammenhalt der ganzen Republik dienen.“ Wer auch immer die Bundestagswahl gewinnt: Der Sieger wird den sich abzeichnenden Verteilungskonflikt zwischen Ost und West klären müssen.

Geht es dem Osten wirklich noch schlechter als dem Westen?

Ja, wenn man Ostdeutschland insgesamt betrachtet. Zwar ist mit dem Aufbau Ost die Infrastruktur, von Autobahnen bis zu Energienetzen, modernisiert worden, es wurden Hochschulen und Forschungsinstitute aufgebaut und die Ansiedlung von Unternehmen gefördert. Aber gemessen an der Wirtschaftskraft sind die Ziele längst nicht erreicht.

Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt bei 72,5 Prozent des westdeutschen Vergleichswerts (1990: 42,8 Prozent), heißt es im jüngsten Jahresbericht zur Deutschen Einheit, den die Bundesregierung vor sechs Monaten vorgelegt hat. „Die Folgen sind eine höhere Arbeitslosenquote, niedrigere Löhne und Gehälter sowie geringere Steuereinnahmen“, erklärt die Bundesregierung.

Hannelore Kraft: „Es muss Schluss sein mit der Förderung nach Himmelsrichtung.“
Hannelore Kraft: „Es muss Schluss sein mit der Förderung nach Himmelsrichtung.“ © Getty Images | Lukas Schulze

Der Durchschnittsbruttolohn Ost liegt bei 2600 Euro, der im Westen dagegen bei 3210 Euro – auch wenn sich der Abstand zuletzt weiter verringert hat. Das wiederum hat Folgen etwa für das Rentenniveau. Als wichtigste Ursache für den Rückstand gelten die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und der Mangel an Konzernzentralen, was sich negativ auf Lohnniveau und Innovationsleistung auswirke. „Weltkonzerne auf dem Boden der neuen Länder gibt es praktisch nicht“, so der Jahresbericht. Ein Misserfolg war der Aufbau Ost keineswegs: „Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung liegt in den neuen Ländern heute höher als in der EU“, heißt es im Bericht. Und die Wirtschaftskraft je Einwohner habe auch fast EU-Durchschnitt erreicht.

Wie wird der Osten gefördert?

Zwei Stellschrauben: Finanzausgleich und Solidarpakt. Der Finanzausgleich wird ab 2020 neu geregelt. Kein Land soll sich verschlechtern. Aber Geberländer wie Bayern werden bessergestellt. Die Rechnung geht – zur Zufriedenheit im Osten – nur auf, weil der Bund mit jährlich 9,524 Milliarden Euro einspringt. Der Solidarpakt hat allein seit 2001 den Ost-Ländern 156,5 Milliarden Euro an Bundesmitteln beschert. Ab 2020 tritt folgender Effekt ein: Der Bund kassiert den Soli weiter von den Steuerzahlern, heute 17 Milliarden Euro, ab 2020 schätzungsweise 20 Milliarden Euro, muss aber nicht länger in einen Solidarpakt einzahlen. Nach der Wahl wird man in Koalitionsverhandlungen darüber reden, den Soli abzuschaffen oder etwa umzuwidmen.

Was fordern die Ost-Länder?

Eine „überproportionale, akzentuierte und langfristige Förderung“, antwortet Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU). Zwar beteuert sein Kollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), „wir setzen uns für eine Förderung strukturschwacher Regionen in ganz Deutschland ein“. Aber die Rhetorik soll nur kaschieren, dass der Löwenanteil dem Osten zugutekommen würde. Denn: Immer noch liegen die abgehängten Regionen vor allem im Osten, eine Ausnahme sind laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung die Stadt Herne in Nordrhein-Westfalen und der Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen.

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    Von Merkel erwarten die Ost-Länderchefs Unterstützung auf breiter Front. Sie soll in Europa dafür sorgen, dass die Förderung für sie nicht abrupt gekappt wird. Weitere Sonderanliegen sind der Breitbandausbau, die Netzentgelte (im Osten höher), die überregionale Anbindung, der Zuschlag bei Standortentscheidungen für Bundes- und EU-Institutionen sowie eine Berücksichtigung ostdeutscher Stadien bei der Bewerbung für die EM 2024.

    Was antworten die West-Länder ?

    Nicht viel. Sie sind zufrieden, dass der Solidarpakt ausläuft und sie beim Länderfinanzausgleich entlastet werden. Sie schauen freilich bei jedem Hilfsfonds des Bundes argwöhnisch auf ihren Anteil. Wenn man die Stadtstaaten ausklammert, liegt zum Beispiel die Hälfte der Großstädte mit über 250.000 Einwohnern in NRW.

    Die Ballungsräume erfordern hohe Investitionen in Infrastruktur. Eine Blaupause für Investitionen in strukturschwache Regionen legte Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) vor. Bis 2019 will das Forschungsministerium in den neuen Ländern „ein offenes Innovationsklima schaffen“ – ab 2020 für alle weiteren Regionen. NRW-Regierungschefin Kraft findet es richtig, sich den Innovationen zu widmen. Sie sei auf die finanzielle Größenordnung gespannt. „Ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und was wird damit gefördert?“ Wanka müsste nachlegen, für den Osten kalkuliert sie mit 150 Millionen Euro. Darüber würde eine Hannelore Kraft lächeln.