Berlin. Die EU will für besseren Schutz von Patienten sorgen: Schärfere Kontrollen für Medizinprodukte vom Pflaster bis zum Herzschrittmacher.

Auch in diesem Fall hat ein Skandal den Missstand öffentlich gemacht: 2011 flog auf, dass die französische Firma PIP Brustimplantate mit leicht reißendem Billig-Silikon verkauft hatte. Tausende Frauen wurden geschädigt, weil es keine wirksame Überwachung gab. Um solche Skandale in Zukunft zu verhindern, hat das EU-Parlament am Mittwoch neue strengere Kontrollen für Medizinprodukte beschlossen, die Patienten besser schützen sollen. „Höchste Zeit“, sagt Peter Liese, CDU-Gesundheitsexperte, „die bisherige Rechtslage war nicht tragbar.“ Die EU-Staaten haben den neuen Regeln bereits zugestimmt.

Produkte: Es geht um die Kontrolle von einer breiten Palette von Medizinprodukten. Betroffen sind Pflaster oder einfache Holzspatel, mit dem der Kinderarzt die Zunge herunterdrückt. Aber auch traditionelle Hilfsmittel wie das Stethoskop oder lebenswichtige Implantate wie künstliche Hüften sowie Hochtechnologien wie Herzschrittmacher oder Gehirnsonden werden besser überwacht. Ein weiteres Gesetz regelt den Umgang mit Diagnose-Mitteln wie Zucker-, Schwangerschafts- oder Aids-Tests.

Zulassung: Für Medikamente hat die Europäische Union eine zentrale Zulassungsstelle, die Europäische Arzneimittel-Agentur, die (noch) in London sitzt und pro Jahr weniger als 100 neue Präparate lizenziert. Der Marktzugang der jährlich rund 5000 Medizinprodukte läuft hingegen dezentral, über „benannte Stellen“, wie TÜV oder die Dekra in Deutschland. Die Tauglichkeitsprüfung ist vergleichsweise lax. Das soll sich ändern.

CDU-Gesundheitspolitiker Liese sagt: „Bisher gab es insbesondere in Mittel- und Osteuropa Zulassungsstellen, die weder über Fachpersonal noch über ordentliche Strukturen verfügen, um hochsensible Medizinprodukte wie Herz- oder Hirnschrittmacher zu bewerten.“ Die Idee, für anspruchsvollere Medizinprodukte die Zulassung ebenfalls zu zentralisieren, wurde angesichts der hohen Zahl im Laufe der Beratungen verworfen.

Stattdessen sollen künftig die Zulassungsstellen bestimmte Standards einhalten müssen. Das neue Gesetz stellt detaillierte Anforderungen an die Qualifikation der Prüfer. Was die Produkte selbst anlangt, so muss grundsätzlich ein klinischer Nachweis geliefert werden, dass sie wie versprochen wirken.

 Die Sicherheit von in Krankenhäusern verwendeten Produkten soll verbessert werden.
Die Sicherheit von in Krankenhäusern verwendeten Produkten soll verbessert werden. © dpa | Holger Hollemann

Kontrollen: Beim Silikonkissen-Skandal hatte das Unternehmen den systematischen Betrug ungestört betreiben können, weil nach der Zulassung nicht weiter kontrolliert wurde, womit die Firma die Polster befüllte. Dazu seien die Prüfstellen nach bisherigem Recht auch nicht verpflichtet, hat der Europäische Gerichtshof unlängst im Zusammenhang mit einer Schadenersatzklage gegen den TÜV Rheinland festgestellt.
In Zukunft sollen nun Hersteller jederzeit mit unangemeldeten Kontrollen rechnen müssen. Außerdem sollen auch die Zulassungsstellen selbst durch eine Gruppe mit Fachleuten aus den verschiedenen Mitgliedstaaten überwacht werden.

Risiken: Die Produktpalette wird in vier Risikoklassen (1, 2a/2b, 3) unterteilt. Besonders die Kategorien 2b und 3, wozu etwa Implantate, künstliche Gelenke oder Insulinpumpen sowie Produkte mit Kleinstmaterial, sogenannte Nano-Materialien gehören, werden schärfer kontrolliert. Zusätzlich zu TÜV und Dekra prüft ein Expertenausschuss die Wirksamkeit und Funktionstüchtigkeit der Hochrisikoprodukte vor der Freigabe für die Vermarktung. Das gilt auch für HIV-Tests, bei denen in der Vergangenheit verschiedentlich fehlerhafte Befunde aufgetaucht waren.

Implantat-Ausweis: Der Silikon-Skandal hatte seinerzeit auch Frauen in Mitleidenschaft gezogen, denen die anfälligen Polster gar nicht eingesetzt worden waren – bei den Patientinnen einer in Konkurs gegangenen Klinik in Dänemark ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, wer Billigmaterial bekommen hatte und wer korrekt behandelt worden war. In Zukunft soll eine Produktkennung für Rückverfolgbarkeit sorgen. Über einen Implantatausweis können Patienten aus einer Datenbank alle relevanten technischen Informationen abfragen. Persönliche Krankengeschichten seien aber auf dem Wege nicht zugänglich, heißt es im Parlament im Hinblick auf den Datenschutz.

Versicherung: Ein zentrales System der Produkthaftung soll es nicht geben. Die EU-Länder müssen aber dafür sorgen, dass die Opfer fehlerhafter Medizinprodukte ihren Anspruch auf Schadenersatz tatsächlich durchsetzen können. „Die Versicherungsregelung stellt sicher, dass Patienten im Haftungsfall finanziell angemessen entschädigt werden“, sagt Tiemo Wölken, Gesundheitspolitiker der EU-SPD.

Tests: Eine DNA-Analyse kann unter Umständen eine niederschmetternde Prognose erbringen: Das Erbgut enthält die Anlage zu einem Syndrom wie etwa der Nervenkrankheit Chorea Huntington – unheilbar und tödlich. Für solche Fälle müssen die Mitgliedstaaten eine vorherige Beratung organisieren, damit der Patient sich darüber im Klaren ist, was gegebenenfalls auf ihn zukommt. Für Deutschland ändert das allerdings nichts – das Gendiagnostik-Gesetz schreibt bereits eine umfassende Beratung auch für unheilbare Krankheiten vor, die nicht unbedingt tödlich verlaufen.

Wie es weitergeht: Mit der Verabschiedung durch das Parlament sind die beiden Gesetze – Medizinprodukte und Diagnosemittel – de facto beschlossene Sache. Der Ministerrat hat inhaltlich bereits zugestimmt, die abschließende Bestätigung gilt als Formsache. In Kraft treten werden die Bestimmungen gestaffelt, die meisten bis 2020 beziehungsweise 2022. Für die Produktkennung bei Implantaten gibt es zehn Jahre Übergangsfrist. Vieles werden die EU-Staaten aber schon im Vorgriff in Gang setzen.