Berlin. Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf von Justizminister Maas beschlossen. Experten warnen vor einer Gefährdung der Meinungsfreiheit.

Schwere Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung: Bereits heute müssen Facebook & Co Kommentare mit strafbarem Inhalt von ihren Seiten löschen. Doch weil das in vielen Fällen nicht oder erst spät passiert, will die Bundesregierung nun per Gesetz Druck machen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei der Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei der Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch. © dpa | Michael Kappeler

Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett einen Entwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der den Betreibern sozialer Netzwerke mit Millionenstrafen droht, wenn sie ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Denn Experten sehen im Hass, den Nutzer im Internet säen, eine Ursache für die Polarisierung der Gesellschaft und die wachsende Gewalt – etwa gegen Flüchtlinge. Kritiker hingegen sehen die Meinungsfreiheit im Internet in Gefahr.

Was regelt das neue Gesetz?

Soziale Netzwerke müssen ihr Beschwerdewesen so organisieren, dass offenkundig strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde gelöscht werden, in komplizierteren Fällen haben sie sieben Tage Zeit. Hält eine Firma diese Frist nicht ein, droht eine Geldbuße von bis zu 50 Millionen Euro. „Das ist notwendig, weil diese Unternehmen selber nichts gemacht haben“, so Maas.

Eine Untersuchung der Organisation „jugendschutz.net“ habe gezeigt: Facebook lösche nur 39 Prozent der von Nutzern gemeldeten strafbaren Inhalte, Twitter sogar nur eine von hundert Nutzermeldungen. In Fällen von Hass und Hetze können Unternehmen in Zukunft die Daten der Urheber an die Betroffenen herausgeben. Auch die Liste der Straftatbestände wurde ausgeweitet. Dazu zählt nun auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder die Verunglimpfung von Verfassungsorganen.

Wer meldet Hasskommentare, wer prüft sie, wer entscheidet darüber?

Jeder private Nutzer kann Profilseiten, Kommentare, Bilder oder Videos bei dem Betreiber per Mausklick melden, wenn ein Beitrag etwa zu Gewalt aufruft, rassistisch oder sexistisch ist. Auch Organisationen wie jugendschutz.net scannen Seiten und melden auffällige Beiträge. Unternehmen wie Facebook prüfen deren Inhalte. Sofern ein Kommentar gegen Richtlinien verstößt, soll er gelöscht werden.

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    Allein in Berlin baut Facebook eine Tochterfirma mit 700 Beschäftigten auf. Das Unternehmen war allerdings aufgrund von Beschwerden über unzureichende psychische Betreuung der Angestellten in die Kritik geraten. Nach dem neuen Gesetz können sich Nutzer nun direkt an das Bundesamt für Justiz wenden, sofern die Firmen die Löschfristen nicht einhalten. Dieses prüft den Vorgang. Es kann dann als Bußgeldbehörde fungieren und auch Gerichte einschalten. Ohnehin haben Privatleute schon jetzt die Möglichkeit, Aufrufe zu Gewalt bei der Polizei anzuzeigen. Bisher kam es jedoch nur selten zu Verfahren und Urteilen.

    Was sagen die Kritiker?

    Grünen-Politikerin Renate Künast bezeichnete den Entwurf als „Schnellschuss“. Sie fürchtet um die Meinungsfreiheit im Netz: Die angedrohten Bußgelder in Millionenhöhe seien „fast eine Einladung dafür, nicht nur wirkliche Beleidigungen zu löschen, sondern am Ende sicherheitshalber alles“.

    Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßte den Ansatz der Regierung zwar grundsätzlich. Problematisch sei aber der Geltungsbereich des Gesetzes. Da Medienunternehmen auch soziale Netzwerke als Vertriebswege nutzten, „ohne selbst Dienstanbieter dieser Telemedien zu sein, werden diese Medien und ihre journalistisch-redaktionellen Angebote von der beabsichtigen Gesetzgebung erfasst“, heißt es in einer Stellungnahme.

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      Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) kritisierte das Gesetz ebenfalls. „Das läuft auf die staatliche Einsetzung privater Meinungspolizei hinaus“, sagte Stephan Holthoff-Pförtner, VDZ-Präsident und Gesellschafter der Funke Mediengruppe (zu der unsere Redaktion gehört). „Und das Ergebnis ist die Gefährdung der Meinungsfreiheit.“

      Ein privates Unternehmen sei nicht in der Lage, die Wahrheit oder Unwahrheit kritischer Behauptungen über Politiker, Sportler, Unternehmer oder wen auch immer zu überprüfen. „Es hat dafür weder die Ressourcen noch die nötigen Ermittlungsrechte“, so Holthoff-Pförtner. „Plattformen bleibt angesichts solcher Bußgelddrohungen keine andere Wahl, als im Zweifel zu löschen. Das halte ich für eine große Gefahr.“

      Facebook beteuerte am Mittwoch, hart daran zu arbeiten, Hass zu entfernen. Aber: „Wie Experten festgestellt haben, würde dieses Gesetz Privatunternehmen anstelle von Gerichten dazu zwingen, darüber zu entscheiden, welche Inhalte in Deutschland illegal sind“, sagte ein Sprecher.