Washington. Der „Freedom Caucus“ hat Präsident Trump ausgebremst. Wie das der radikalen Splittergruppe der US-Republikaner im Kongress gelang.

Es ist eine Art gallisches Dorf in der republikanischen Partei Amerikas: der aus der staatsverächtenden Tea-Party-Bewegung hervorgegangene „Freedom Caucus“ (Freiheits-Rat). Wer hier seine politische Heimat hat, sieht in den republikanischen Kolleginnen und Kollegen im Repräsentantenhaus von Washington, nicht den Parteifreund. Sondern römische Prätorianer.

Und denen, einschließlich dem Präsidenten Donald Trump, wird Leben und Regieren schwer gemacht. Nicht, weil sie etwa prinzipiell gegen die von Trump jetzt angekündigten Maßnahmen gegen das US-Handelsdefizit oder seine Steuersenkungspläne wären – ihnen sind die Vorhaben meist nicht radikal genug.

Die Drohungen des Präsidenten verfangen nicht

In dieser Woche hat der „Freedom Caucus“ schon seinen ersten großen Sieg errungen. Auf Kosten Trumps, der danach verärgert mangelnde Loyalität beklagte. Mit der Blockade der Reform der Krankenversicherung (Obamacare) haben die Radikalen demonstriert, dass es mit dem Verhandlungsgeschick des „Dealmakers“ im Weißen Haus nicht weit her ist. Obwohl Trump den widerstreitenden Begehrlichkeiten im eigenen Lager mehrfach durch Zugeständnisse entgegenkam, war es ihm nicht gelungen, die nötigen 218 Stimmen für sein Gesetz einzuwerben. Vor allem bei den Fundamentalisten im „Freedom Caucus“ biss er auf Granit.

Trump lässt so etwas nicht auf sich sitzen. Via Twitter rief er die Rebellen zur Räson; sie müssten sich der Mehrheit anschließen, und zwar dalli. Für den Fall der Gegenwehr zeigte der Präsident seine Folterwerkzeuge. Er werde die Abtrünnigen spätestens bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2018 bekämpfen. Sprich: Gegenkandidaten unterstützen. Und er werde mit den oppositionellen Demokraten gemeinsame Sache machen, um sich beim nächsten Mal die nötigen Stimmen zu besorgen.

„Niemand mag es, gegängelt zu werden“

Bei den Gescholtenen verfing die Attacke nicht. „Niemand mag es, gegängelt zu werden“, sagte stellvertretend der Abgeordnete Justin Amash, „so was funktioniert vielleicht bei Kindern aber nicht in der Politik.“ Für Trump ist das ein Warnsignal. Die Leute in den eigenen Reihen haben registriert, dass der Präsident in den Umfragen immer mehr absackt. Seine Drohungen verfangen nicht. Auch bei anderen Großvorhaben, die Trump ohne den Kongress nicht aus dem Weg geräumt bekommt, wird nun damit gerechnet, dass sich der „Freedom Caucus“ querlegt und den Präsidenten weiter desavouiert.

Wer alles offiziell dazu gehört, wird unter der Decke gehalten. Die Rede ist von rund 40 republikanischen Parlamentariern (von insgesamt 237) aus vorzugsweise weißen, ultrakonservativen Wahlbezirken, die sich vor zwei Jahren informell zusammengeschlossen haben.

Ausdruck von Pluralität

Programmatisch eint die Ultrakonservativen die Forderung nach radikalen Haushaltskürzungen und Steuersenkungen, mehr Militär, weniger Einwanderung und einem generellen Rückbau staatlicher Institutionen.

Als in der Vergangenheit der Streit über das Schuldenlimit im Staatshaushalt tobte, waren Mitglieder des „Freedom Caucus“ ganz vorne mit dabei, um die Regierung in Washington an den Rand des Stillstands („shutdown“) zu bringen. Was im deutschen Parlamentarismus als parteischädigendes Verhalten gewertet würde und durch Fraktionszwang ausgeschlossen ist, ist nach amerikanischem Demokratieverständnis Ausdruck von Pluralität.

Gruppe fühlt sich einer Kompromisslosigkeit verpflichtet

In ihrer ideologischen Reinheit fühlt sich die Gruppe einer Kompromisslosigkeit verpflichtet, die es der Fraktionsführung um Paul Ryan schwer macht, die Flügel innerhalb der „Grand Old Party“ auf einen Nenner zu bringen. Moderate, die vor allem eine funktionierende Regierung wollen und den Ausgleich mit den Demokraten suchen, stehen den „Taliban der reinen Lehre“ gegenüber. Ryans Vorgänger John Boehner wollte die Gratwanderung zwischen rechtem Rand und verständigen Konservativen nicht mehr mitmachen. Er nahm im September 2015 den Hut.

Dass Ryan, im Staatsgefüge die Nummer drei nach Trump und Vizepräsident Mike Pence, nun ebenfalls von der parteiinternen Splittergruppe in die Knie gezwungen wurde, gilt als böses Omen. „Mark Meadows und seine Mitstreiter können vor Kraft kaum laufen“, sagte ein Mitarbeiter eines demokratischen Senators aus Colorado dieser Zeitung, „sie bekommen Geschmack an ihrer Verhinderungsmacht, sie werden es wieder tun.“

Meadows, ein unscheinbarer Abgeordneter aus North Carolina, firmiert als Sprecher des „Freedom Caucus“. Er hatte bis zuletzt gegen den Rat der Parteioberen darauf gepocht, dass Obamacare, das Werk von Trumps Vorgänger, rückstandslos abgewickelt wird, bevor eine neue Krankenversicherung kommt. Unter gemäßigten Republikanern wurde das als „Geiselnahme“ empfunden.

Radikalerer Kandidat müsste erst noch erfunden werden

Rezepte dagegen zu finden, ist schwer. Noch vor 20 Jahren hätte die Parteiführung Abweichler diszipliniert und im Zweifelsfall ausgegrenzt; zum Beispiel mit der Drohung, in Wahlkämpfen den Geldhahn abzudrehen. Durch höchstrichterliche Urteile und eine fragmentierte Medienlandschaft sind heutzutage parteiunabhängige Geldgeber entscheidender, sagt der Journalist McCay Coppins. Sie können Kandidaten individuell aufbauen – und bei Misserfolg wieder demontieren. Sämtliche Mitglieder des „Freedom Caucus“ sitzen in bombenfesten Wahlkreisen. Die einzige Gefahr, die ihnen droht, ist ein noch radikalerer Anti-Establishment-Kandidat. Aber der müsste wohl erst noch erfunden werden.

Wenige Tage vor der abgesagten Abstimmung über die Krankenversicherungsreform hatte Präsident Trump dem früheren Restaurantbesitzer Meadows halb im Scherz, halb im Ernst hinter verschlossenen Türen gedroht: „Ich werde hinter dir her sein, Mark.“ Sollte heißen: Gib den Widerstand auf, sonst werde ich deine Wiederwahl torpedieren. Meadows soll geschmunzelt haben. In seinem Wahlkreis wurde er danach für seine standhafte Njet-Politik wie ein Held gefeiert.