Berlin. SPD-Vize Scholz glaubt nicht an eine Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Erdogan entferne sich von Europa.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz erwartet ein rasches Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. „Mein Eindruck ist, dass sich Präsident Erdogan gerade sehr bewusst von Europa wegbewegt. Es ist nicht auszuschließen, dass die türkische Regierung demnächst erklärt, dass sie ihr Land nicht mehr in die EU führen möchte“, sagte Scholz unserer Redaktion.

In der Türkei würden Journalisten und politische Wettbewerber verhaftet, und über die Todesstrafe werde plötzlich diskutiert. „Das sind alles Dinge, die einem Beitritt in die Europäische Union entgegenstehen“, sagte Hamburgs Regierungschef. „Ich bin überhaupt nicht optimistisch, was die weitere Entwicklung angeht.“

Entlastungen für untere und mittlere Einkommen

Außerdem sprach sich Scholz für Steuerentlastungen nach der Bundestagswahl aus. „Mit Blick auf mögliche Steuersenkungen denke ich, man sollte bei den unteren und mittleren Einkommen über Erleichterungen nachdenken“, sagte Hamburgs Regierungschef unserer Redaktion. Zugleich mahnte er, mit Versprechen vorsichtig zu sein. „Die Lage der öffentlichen Haushalte ist nicht so günstig, wie sie gegenwärtig oft empfunden wird“, so Scholz. „Wir erzielen Haushaltsüberschüsse, aber investieren noch zu wenig, um unsere Infrastruktur in Schuss zu halten.“

Darüber hinaus sprach sich der SPD-Vize für einen Abbau des Solidaritätszuschlags für den Aufbau Ost aus. „Auf Dauer wird der Solidaritätszuschlag nicht zu halten sein, das lässt die Verfassung nicht zu“, sagte er. In der nächsten Legislaturperiode müsse daher ein Konzept zum schrittweisen Abbau des Soli entwickelt werden. „Der Solidarpakt endet 2019. Danach wird diese Frage mit jedem Jahr dringender.“

Scholz erteilt Europasteuer eine Absage

Der Einführung einer Europasteuer, wie sie verschiedentlich vorgeschlagen wird, erteilte Scholz eine klare Absage: „Ich halte nicht viel davon.“ Allerdings gehöre es zur Ehrlichkeit demokratischer Politik, klar zu sagen, dass sich der deutsche Beitrag für Europa erhöhen werde, wenn die Briten die EU verließen.

Hamburgs Erster Bürgermeister stellte sich hinter den auf Fragen der Gerechtigkeit zielenden Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Das gute wirtschaftliche Wachstum und der hohe Beschäftigungsstand bedeuteten nicht, dass es „in dieser gesamtwirtschaftlich erfreulichen Situation auch allen gut geht“. Scholz riet zur Vorsicht mit dem Urteil, alles sei gerecht. „In Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung haben wir in allen Industrieländern enorme Herausforderungen zu bewältigen. Darüber darf man nicht hinwegreden, sondern muss konkrete Lösungen vorschlagen.“

Lob für Agenda 2010

Die Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder habe „die Grundlagen für den gegenwärtigen wirtschaftlichen Wohlstand gelegt“, betonte Scholz. „Heute, fast 15 Jahre später, geht es darum, unsere Politik an den aktuellen Fragen auszurichten.“ Es gehe zum Beispiel um Qualifizierung. „Deshalb ist es vernünftig, wenn Arbeitssuchende, die sich weiterbilden, während dieser Zeit finanziell unterstützt werden“, sagte Hamburgs Regierungschef. (FMG)