Berlin. Gleich in der ersten Rede als neuer Bundespräsident hat Steinmeier Klartext gesprochen. Der Adressat: sein türkischer Amtskollege.

  • Frank-Walter Steinmeier ist am Mittwoch als neuer Bundespräsident vereidigt worden
  • In seiner ersten Rede hielt er nicht mit Kritik hinterm Berg
  • Unter anderem bezog er klar Stellung im deutsch-türkischen Streit

Wer von Frank-Walter Steinmeier erwartet hatte, dass er in der ersten Rede nach seiner Vereidigung am Mittwochmittag allein auf präsidial-staatstragende Töne beschränken würde, sah sich schnell getäuscht. Steinmeier bezog beim brisanten Thema deutsch-türkischer Streit klar Stellung.

„Beenden Sie die unsäglichen Nazi-Vergleiche!“, wandte sich Steinmeier vor dem Bundestag direkt an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „ Zerschneiden Sie nicht das Band zu denen, die wie wir Partnerschaft mit der Türkei wollen! Respektieren Sie den Rechtsstaat und die Freiheit von Medien und Journalisten! Und: Geben Sie Deniz Yücel frei.“ Lesen Sie hier die komplette Rede im Wortlaut.

„Sie gefährden, was andere aufgebaut haben“

Steinmeier forderte Erdogan auf, die Erfolge seines Landes in den vergangenen Jahren nicht aufs Spiel zu setzen: „Diese Sorge leitet meinen Appell: Präsident Erdogan, Sie gefährden all das, was Sie mit anderen aufgebaut haben!“

Deutsche und Türken fühlten sich besonders verbunden, auch wegen der vielen Menschen türkischer Abstammung, die in Deutschland lebten, arbeiteten und „hier zuhause“ seien, sagte das neue Staatsoberhaupt. Deshalb schaue man auf die Türkei nicht mit „Hochmut und Besserwisserei“. Die Deutschen wüssten um die schwierige Lage der Türkei in Nachbarschaft der großen Krisenregionen Irak und Syrien.

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    Steinmeier verurteilte den Militärputsch

    „Wir verurteilen den versuchten Militärputsch im vergangenen Sommer“, betonte Steinmeier. „Aber: Unser Blick ist von Sorge geprägt, dass all das, was über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut worden ist, zerfällt!“ Die Türkei habe eine Phase von wirtschaftlichem Aufbau, Reformen und auch einer Periode der Annäherung an die EU erlebt. All dies habe Deutschland „gewürdigt und unterstützt“.

    Steinmeier rief aber auch dazu auf, die Demokratie in Deutschland zu achten und zu wahren. Er wandte sich gegen einfache Antworten von Rechtspopulisten und mahnte die Bereitschaft an, sich mit anderen Positionen zu befassen, anstatt sich in „Echokammern“ im Internet selbst bestätigen zu lassen.

    „Schleichende Erosion von innen“

    Frank-Walter Steinmeier spricht vor Bundestagspräsident Norbert Lammert den Amtseid als Bundespräsident.
    Frank-Walter Steinmeier spricht vor Bundestagspräsident Norbert Lammert den Amtseid als Bundespräsident. © REUTERS | FABRIZIO BENSCH

    Insbesondere forderte Steinmeier zur Einmischung auf. Es gebe eine „schleichende Erosion von innen“ durch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit. Es müsse wieder gelernt werden, für die Demokratie zu streiten. Sie sei die „Staatsform der Mutigen“.

    Zuvor war Steinmeier als Staatsoberhaupt vereidigt worden. In der gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat legte der 61-Jährige den Amtseid mit der Formel „So wahr mir Gott helfe“ ab. Der frühere Außenminister war am 12. Februar zum zwölften Bundespräsidenten gewählt worden.

    Joachim Gauck: Die Freiheit verteidigen

    Zuvor hatte der nunmehr Alt-Bundespräsident Joachim Gauck zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Vor der Vereidigung Steinmeiers forderte Gauck: „Freiheit ist notfalls auch dadurch zu verteidigen, dass sie für die Feinde der Freiheit begrenzt wird.“

    Die Gesellschaft habe dabei ständig abzuwägen. Freiheiten dürften zwar niemals vorschnell zur Abwehr von Bedrohungen geopfert werden. „Sie dürfen aber auch nicht zu lange dem Missbrauch überlassen bleiben“, sagte Gauck. Er erneuerte seinen Appell, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen: „Vertrauen und Zutrauen zu sich selbst geben Kraft und eröffnen Zukunft. Wir dürfen die sein, die sich mehr Verantwortung zutrauen: in Deutschland, in Europa und in der Welt.“

    Malu Dreyer dankte Gauck

    Alt-Bundespräsident Joachim Gauck bedankt sich bei Bundesratspräsidentin Malu Dreyer.
    Alt-Bundespräsident Joachim Gauck bedankt sich bei Bundesratspräsidentin Malu Dreyer. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE

    Zu Beginn der Sitzung hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert Steinmeier viel Kraft im neuen Amt gewünscht. Lammert sagte in einer kurzen Rede, er wünsche dem neuen Staatsoberhaupt „in den kommenden Jahren bei den unvermeidlichen Auseinandersetzungen ebenso kraftvoll wie ausgleichend zu wirken“.

    Danach hatte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Malu Dreyer (SPD) als amtierende Bundesratspräsidentin Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck für seine „herausragenden Verdienste“ gedankt. „Im besten Sinne haben Sie gezeigt, was die Kraft des klugen Wortes vermag“, so Dreyer. „Sie haben mit Ihrer Leidenschaft für Demokratie unseren Verstand und unsere Herzen erobert. Sie treffen den Nerv der Zeit, wenn Sie den Menschen Mut machen.“

    (mit Material von rtr und dpa)