Rotterdam. Der niederländische Premier Mark Rutte verweist Rechtsaußen Geert Wilders auf Platz zwei. Koalitionspartner hat er damit noch nicht.

Der alte und vermutlich auch neue Ministerpräsident war ganz aus dem Häuschen. „Ein Fest für die Demokratie“ feierte Mark Rutte am Wahlabend seinen Sieg. Er hatte den Rechtsaußen Geert Wilders deutlich auf den zweiten Platz der Parlamentswahl verweisen können. Doch das vorläufige Ergebnis verspricht zugleich eine Belastungsprobe für die Demokratie: Keine denkbare Koalition erreicht auf Anhieb eine stabile Mehrheit. Was nun?

„Dreimal Hurra für die Demokratie!“, jubelt Sophie aus Hilversum am Morgen danach. „Ich bin schon lange nicht mehr so froh über mein Land gewesen“, seufzt Freek aus Rotterdam erleichtert. Der Rechtsruck ist ausgeblieben, das Gespenst des „Nexit“ ist vorerst vertrieben. Aber die Niederländer wären nicht Niederländer, hätten sie nach dem nervenaufreibenden Wahlkampf nicht über Nacht ihre Gelassenheit wieder zurück. „Doch wieder Rutte“, titelt das „Rotterdamer Tageblatt“.

„Es hätte schlimmer kommen können“

Dass das noch nicht hundertprozentig sicher ist, bringt die Menschen nicht aus der Ruhe. „Ich habe Vertrauen“, sagt die 60-jährige Christian in der Fußgängerzone Rotterdams – der Stadt, in der am vergangenen Wochenende für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und gegen Ruttes demonstriert worden war: Der hatte die wahlkämpfenden Minister kurzerhand des Landes verwiesen. „Alles wird gut!“, glaubt Christian; sie hat wie die Mehrheit der Rotterdamer für Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) gestimmt. „Bloß froh“ ist sie nun – und das sagen auch Rosanne in der Markthalle und Nick auf den Stufen davor: „Es hätte schlimmer kommen können.“

Schlimmer, Rosanne rollt die Augen, wäre gewesen, Geert Wilders und seine Freiheitspartei PVV hätten mehr als 20 Sitze errungen. „Noch zu viel“, sagt der 18-Jährige Nick. Zu viele Leute hätten nicht gemerkt, dass der „einfach was tönt, aber eigentlich dumm ist“. Getönt hatte Wilders vor allem, dass er den Islam zurückdrängen, Moscheen schließen und die EU verlassen wolle.

Für Wilders wenig Zustimmung unter Jungen

„Lächerlich“, findet Niels, der in Rotterdam studiert. „Er redet nur darüber, hat keine anderen Standpunkte.“ Nicht auszudenken, Wilders hätte noch mehr Stimmen bekommen, meint Mustafa: „Wir sind“, sagt der 22-jährige Student mit türkischen Wurzeln in einem Straßencafé, „doch ein entwickeltes Land. Es kann nicht wahr sein, wie Wilders hier über den Islam redet.“

Vor allem junge Leute wie Mustafa und sein Freund Niels, 26, haben für die politische Mitte gestimmt, aus pragmatischen Gründen: Sie wollen die Mittelschicht stärken, zu der sie bald vielleicht gehören werden, sie halten den amtierenden Ministerpräsidenten für einen „objektiven“ Mann, der „erwachsen“ und „realistisch“ regiert.

Wilders feiert seinen zweiten Platz wie einen Sieg

Für Christian, die 60-Jährige, war auch dessen Außenwirkung wahlentscheidend: „Rutte kann repräsentieren, er ist immer da“, sagt sie fast dankbar. Wilders dagegen, der sich auch im Wahlkampf vor allem auf seine Tweets verließ, habe sich zu wenig gezeigt: „Man kann nicht erst an den letzten beiden Tagen auftauchen und dann Stimmen erwarten.“

Der 53-jährige Wilders, der nach Stand der Hochrechnungen immerhin fünf Sitze hinzugewinnen konnte und bei 13 Prozent liegt, feierte das wie einen Sieg: „Wir gehören zu den Gewinnern der Wahl, aber ich wäre natürlich gern die größte Partei geworden.“ Ein Satz, der schief klingt, aber stimmt: Geert Wilders ist einziges Mitglied seiner Partei, nach dem niederländischen Parteiengesetz ist das möglich. Doch er zeigt auch seine Enttäuschung: „Das sind nicht die 30 Sitze, auf die ich gehofft hatte.“ Er will nun so bald wie möglich „neu angreifen“. Keine Partei will mit ihm eine Koalition bilden.

Rutte braucht drei Partner

Der „Anti-Wilders“ Jesse Klaver bietet Wilders die Stirn? So sieht es zumindest auf dem Foto eines Treffens der Spitzen der niederländischen Parteien am Tag nach der Wahl aus. Rechts ist Ministerpräsident Mark Rutte zu sehen.
Der „Anti-Wilders“ Jesse Klaver bietet Wilders die Stirn? So sieht es zumindest auf dem Foto eines Treffens der Spitzen der niederländischen Parteien am Tag nach der Wahl aus. Rechts ist Ministerpräsident Mark Rutte zu sehen. © REUTERS | YVES HERMAN

Mit wem die VVD indes zusammengeht, ist offen. Um die nötige Mehrheit von mindestens 76 von 150 Sitzen in der Zweiten Kammer zu erreichen, braucht der Premier nach derzeitigem Stand drei Partner. Und er macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Christdemokraten der CDA und die Linksliberalen der D66 die liebsten wären, die beide wohl auf 19 Sitze kommen. So würde die Regierung konservativer werden als bislang. Allein: Es reicht noch nicht für eine Mehrheit.

Denkbar wäre, trotz aller ideologischen Unterschiede, dass die Grünen einspringen: GroenLinks freut sich über einen historischen Erfolg, eroberte 14 Sitze (2012: vier). Der erst 30-jährige Parteichef Jesse Klaver wird dafür von seinen Anhängern als „Anti-Wilders“ gefeiert, im Ausland auch als „niederländischer Trudeau“. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau wird derzeit als Gegenentwurf zu US-Präsident Donald Trump gesehen.

Grüne stärkste Partei in Amsterdam

Klaver ließ sich in Amsterdam feiern, wo seine Partei sogar stärkste Kraft wurde. Er, der zuletzt laut davon träumte, selbst Ministerpräsident zu werden, könnte unter Rutte mitregieren – oder dessen Kabinett tolerieren. Lieber aber würde er mit anderen Linken, unter anderem dem großen Wahlverlierer, der sozialdemokratischen Arbeitspartei, paktieren. Nur will die zunächst lieber „Wunden lecken“, wie Spitzenkandidat Lodewijk Asscher am Wahlabend sagte.

„Wir wissen gar nicht, was wir eigentlich bekommen haben und was wir damit anfangen sollen“, sagt die Verkäuferin Rosanne in Rotterdam und wundert sich ein bisschen. Dass Rutte im Vergleich zur Wahl 2012 wahrscheinlich acht Sitze verloren hat (nun: 33 Sitze) und dass die Wahlbeteiligung mit 77,7 Prozent historisch hoch war, versteht die junge Frau als „Zeichen, dass wir Veränderung wollen“. Aber das bisherige Ergebnis, sagt sie und kratzt sich am Kopf, „bringt keine Veränderung“. Und eine Regierung zu bilden, ahnt Nick, „wird echt problematisch“.

„In den Niederlanden ist alles möglich“

So rechnen auch die politischen Berichterstatter am Donnerstag hin und her – und bleiben doch entspannt. „In den Niederlanden“, sagt ein Korrespondent am Regierungssitz Den Haag, wo sich an diesem Tag die neuen Fraktionen zum „Torten- oder Tränentreffen“ zusammenfinden, „ist alles möglich. Man muss nur wollen.“