Berlin/Washington. Angela Merkel besucht erstmals den neuen US-Präsidenten. Die wichtigsten Themen und Streitpunkte sind die Verteidigung und der Handel.

So eine Spezies fehlte in ihrer Sammlung: der „Homo Trumpos“. Sie hat ihn unter die Lupe genommen, hat Auftritte, Gesten, Reden studiert, nicht zuletzt seinen Umgang mit Gästen. Den besten Anschauungsunterricht dafür lieferte der kanadische Premier Justin Trudeau bei seinem Besuch im Weißen Haus.

Mit ihm hat sich Angela Merkel (CDU) hinterher ausgetauscht. Trudeau und US-Präsident Donald Trump – politisch sind da Welten aufeinandergeprallt, und doch lief die Begegnung harmonisch. Mit Charme und Geschick will es auch die Kanzlerin versuchen, wenn sie am heutigen Montag nach Washington fliegt und am Dienstag im Oval Office im Weißen Haus erstmals auf Trump trifft.

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    Merkel ist gut vorbereitet

    Es ist für sie eine Reise zum Mittelpunkt der westlichen Welt. Wer dieses Land regiere, „der trägt Verantwortung, die beinahe überall auf der Welt zu spüren ist“, hat Merkel nach Trumps Wahl erinnert. Die Kanzlerin wollte nach seiner Amtseinführung nicht der erste Gast sein; es hätte zu devot ausgesehen. Außerdem wollte sie seine ersten Schritte abwarten. Sie durfte andererseits aber auch nicht zu spät kommen, wenn sie die Dinge beeinflussen will. Zunächst hatten die Deutschen die Karnevalswoche in Betracht gezogen; es klappte wegen Terminproblemen nicht.

    Merkel hat ihre Hausaufgaben gemacht und den Besuch detailliert vorbereitet. Sie hat mit Vizepräsident Mike Pence gesprochen und Berater zu Jared Kushner geschickt, Trumps Schwiegersohn. Eine ausgeschlafene Frau wird Trump gegenübersitzen, und zwar buchstäblich: Merkel reist abends an und wird Trump erst am nächsten Morgen um kurz vor elf Uhr treffen.

    Über Trump hat sie noch nie ein böses Wort verloren

    Insgesamt 18 Stunden wird Merkel in der US-Hauptstadt sein und nur mit Trump politische Gespräche führen. Nahezu vier Stunden will sie mit dem Republikaner verbringen, die ersten 30 Minuten unter vier Augen, danach in größeren Kreisen; eine Pressekonferenz und ein Mittagessen schließen sich an. Das ist viel Zeit und viel mehr als beim Kennenlerntreffen mit George W. Bush, „ihrem“ ersten US-Präsidenten. Mit ihm kam sie bestens aus, mit Nachfolger Barack Obama fremdelte sie anfangs. Das Visionäre geht ihr ab. Andererseits: Allein, war Merkels Flüchtlingspolitik im Sommer 2015 nicht doch ein Obama-Moment?

    Ein Reise zu Trump ist ein Trip in die Höhle des Löwen. Im Kanzleramt haben sie sich vorgenommen, den früheren Bauunternehmer nicht zu unterschätzen, ihn ernst, aber nicht beim Wort zu nehmen. Ein paar Mal hat er sich über die Kanzlerin wenig schmeichelhaft geäußert, etwa ihre Flüchtlingspolitik als „wahnsinnig“ bezeichnet. Umgekehrt verlor sie über ihn in der Öffentlichkeit freilich kein böses Wort, ganz anders als ihre zwei Chefdiplomaten Frank-Walter Steinmeier („Hassprediger“) und Sigmar Gabriel („autoritär“).

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      Viele Fragen an den neuen Präsidenten

      „Wir streiten nicht mehr über die Vergangenheit“, versichern auch US-Regierungsoffizielle, „das wird eine warmherzige und sehr positive Begegnung.“ Für den Präsidenten gehe es darum, eine „persönliche Beziehung aufzubauen“, heißt es. Er sei „beeindruckt von Merkels Führungsstärke“, werde „sehr interessiert zuhören“, von ihrer großen Erfahrung mit Russlands Präsident Wladimir Putin profitieren und aus erster Hand erfahren, welche Rolle von den USA im schwelenden Ukraine-Konflikt erwartet wird.

      Das sind nicht bloß Höflichkeitsfloskeln, es deckt sich mit den Erfahrungen bei Telefonaten. Da hatte die Kanzlerin schon ausführlich über den Ukraine-Konflikt referiert. Im Juli wird sie Trump als Gastgeberin beim G20-Gipfel in Hamburg empfangen. Auch deshalb ist ein Gesprächsdraht zum Präsidenten wichtig: Wie viel Klimaschutz ist mit ihm möglich? Wie agiert er gegenüber Russland? Hält der Präsident an den Sanktionen fest?

      Merkel hat Erfahrungen mit Machos, aber nicht mit Nichtpolitikern

      Es ist womöglich das schwierigste Treffen ihrer Amtszeit, nicht weil sie im Umgang mit Machos – Erdogan, Putin, Orban, Berlusconi – keine Erfahrung hätte, sondern weil Trump kein typischer Politiker ist; er ist schon einzig, aber nicht artig.

      Merkel will um die transatlantische Partnerschaft kämpfen, nach Lage der Dinge: das Schlimmste verhüten. Die Deutschen sind der Hauptadressat einiger Klagen des Präsidenten. Sie haben einen gewaltigen Exportüberschuss und geben zu wenig für das Militär aus – beides zum Nachteil der USA. Das kann nicht so bleiben, es konterkariert die trumpsche Staatsräson: „America first“.

      Die Klagen sind alt. Neu und überaus gewöhnungsbedürftig ist Trumps Verhandlungsstil, er setzt Partnern die Pistole auf die Brust. Die Kanzlerin will ihn mit der Zusage besänftigen, den Bundeswehretat zu erhöhen. Beim Thema „Handel“ greift die Kanzlerin zu einer List. Wohl wissend, dass er lieber auf Geschäftsleute als auf Politiker hört, bat sie die Chefs von Siemens und BMW dazu. Sie sitzen bei einem Gespräch mit am Tisch.

      BMW wird sich sicher zum größten Autobauer in den USA erklären. Das heißt: Jobs für Amerikaner. Siemens kann unter anderem mit Erfolgen bei der Ausbildung in den USA punkten. Die simple Botschaft lautet: Sie leben schon America first vor, und wer auf Strafzölle und Abschottung setzt, der straft sich am Ende selbst. Leicht wird es trotzdem nicht: „Wir erwarten eine offene und robuste Diskussion“, heißt es in der US-Regierung. Käme es zu einem Handelskrieg, dann wäre zwar die EU gefordert, aber speziell der deutsche Export betroffen.

      Gleich 1990 reisten Merkel und ihr Mann in die USA

      Dass ausgerechnet ein Amerikaner den Freihandel infrage stellt oder eine Mauer nach Mexiko errichten will, ist kein 08/15-Dissens. Es ist viel mehr: ein Schock. Amerika war für Merkel das Gegenmodell zur DDR, ein Sehnsuchtsort. Das Land der Freiheitsstatue, der unbegrenzten Möglichkeiten, des American Dream, das Land der Jeansmarke, die sie als Teenager liebte und die ihr eine Tante aus dem Westen schickte.

      Gleich nach dem Fall der Mauer sind sie und ihr Mann 1990 nach Amerika geflogen, nach Kalifornien. „Niemals werden wir den ersten Blick auf den Pazifischen Ozean vergessen. Er war einfach grandios.“ Ein paar Mal hat die Kanzlerin schwärmerisch von ihrer Beziehung zu den USA erzählt, 2009 bei einer Rede vor dem US-Kongress etwa, noch einmal bei der 60-Jahr-Feier der Atlantik-Brücke: „Mein Reiseziel mit Eintritt ins Rentenalter – für Frauen in der DDR mit 60 – war klar: Durchgangsstation Bundesrepublik, aber direkte Abgabe des DDR-Ausweises, Anspruchnahme eines westdeutschen Passes, sofortiger Überflug in die Vereinigten Staaten von Amerika.“

      Die Frage ist, ob es diesen Sehnsuchtsort noch gibt. Die unschuldige Perspektive hat sie abgelegt und hatte auch allen Grund dazu: Da war der Angriff auf den Irak, unter falschem Vorwand angezettelt, da war Guantanamo, dann die eigene Erfahrung als Abhöropfer von „Freunden“. Wenn sie heute über Amerika redet, dann erinnert sie wie nach Trumps Wahl an die gemeinsamen Werte. Auf dieser Basis bot sie den USA eine enge Zusammenarbeit an. Nur auf dieser Basis reist sie zu Trump.