Wie ein Quartett um Merkel und Hollande Europa retten will
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Von Knut Pries
Brüssel. Trotz Brexit und wichtiger Wahlen in den Mitgliedstaaten arbeiten die EU-Oberen an einer Reform – wie jetzt beim Gipfel in Versailles.
Es ist die Zeit der Grüppchenbildung in der EU: Die osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei kungeln miteinander. Die Benelux-Länder entwickeln gemeinsame Ideen. Und jetzt stecken die großen Vier die Köpfe zusammen: Angela Merkel (Deutschland), Francois Hollande (Frankreich), Paolo Gentiloni (Italien) und Mariano Rajoy (Spanien), haben sich in Versailles getroffen. Das Ziel: Perspektiven für Europa.
Die Zeit drängt, die Probleme drängen noch mehr. In der zweiten Wochenhälfte tagen die Staats- und Regierungschefs. Ende des Monats, am 25. März, wollen sie in Rom den 60. Jahrestag der Gründung des großen Gemeinschaftswerks begehen und in einer feierlichen Erklärung „die Aussichten für die kommenden zehn Jahre skizzieren“, wie es Italiens Premier Gentiloni formuliert.
Zwischen den beiden Gipfeln liegt die erste von drei heiklen Volksabstimmungen, die das Jahr zum Hürdenlauf machen: Die Niederländer wählen ein neues Parlament. Im Frühjahr sind die Franzosen an der Reihe, im September folgen die Deutschen. Jedesmal geht es nicht nur um Innenpolitik, überall stehen auch die Leistungsfähigkeit der EU und das Vertrauen der Bürger in dieselbe auf dem Prüfstand.
Achse Berlin-Paris ist noch immer entscheidend
„Ich will ein Europa der Stärke, der Macht!“, sagte Hollande nun im Interview mit mehreren europäischen Zeitungen. Der Gastgeber des Versailler Treffens, ein schwacher Präsident auf den letzten Metern seiner Amtszeit, steht persönlich längst nicht mehr für Stärke und Macht. Doch das Quartett repräsentiert nach dem bevorstehenden Ausscheiden der Briten die vier größten Länder der EU, mit der Achse Berlin– Paris als unverzichtbarem Führungsduo. Auf sie kommt es entscheidend an, wenn es darum geht, das Europa der 27 im Inneren zu einen und nach außen in einem frostigeren internationalen Umfeld neu aufzustellen.
Entsprechend scharf ist die Beobachtung durch alle, die nicht dabei sind. Die Brüsseler Institutionen zum Beispiel. Letzte Woche erst hat Kommissionschef Jean-Claude Juncker ein eigenes „Weißbuch“ zu den Optionen vorgelegt, wie es weitergehen könnte mit der EU. Alle Überlegungen, die von den Reform-Vorstellungen der Brüsseler EU-Kommission gespeist werden, sind gute Überlegungen, sagte Junckers Sprecher am Dienstag mit Blick auf das Vierer-Treffen in Frankreich.
Dass die Institutionen dabei außen vor blieben, sei kein Grund zur Sorge. „Wir nehmen das mit Zufriedenheit zur Kenntnis!“ Es ist allerdings fraglich, wie weit und an welchen Punkten Merkel und die drei Herren tatsächlich von den Ideen inspiriert sind, die Junckers EU-Zentrale zusammengestellt hat.
Weißbuch listet fünf Szenarien für die EU auf
Formal ist das Weißbuch ein Auswahlmenü mit fünf Optionen. Das reicht vom Szenario ‚Rückentwicklung der EU zum reinen Binnenmarkt‘ bis zur ehrgeizigsten Variante, dem entschlossenen Schritt zu mehr Gemeinsamkeit in Bereichen wie Steuern, Verteidigung, Migration. Damit sollen sich die Mitgliedsstaaten nun erst einmal befassen. Was Juncker selbst empfiehlt, will er erst im Herbst ausbuchstabieren.
Das ganz große Geheimnis ist es allerdings nicht, in welche Richtung der Luxemburger denkt. Die Rückbau-Variante hat er bereits abgelehnt. Stattdessen hat er in Reden vor der Veröffentlichung des Weißbuchs – sowie auch bei einem Gespräch mit Merkel in Berlin – dem Konzept eines „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ seinen Segen erteilt. Das ist die Überschrift, mit der die Kanzlerin ihrerseits hantiert. Hollande argumentiert ebenfalls, man müsse sich „verschiedene Stufen der Integration“ vorstellen. „Wenn wir immer alles zu 27 tun wollen, riskieren wir, dass wir gar nichts tun.“
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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So ist das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ in der auf Hochtouren laufenden Reformdebatte zur Königsformel avanciert. Nur ist reichlich wolkig, was genau jeweils damit gemeint ist: Der Umstand, dass schon jetzt nicht alle Mitgliedstaaten bei allen EU-Projekten mitmachen? Beim Euro oder bei Schengen ist das so.
Oder was ist mit der jetzt schon im EU-Recht vorgesehenen Möglichkeit, gruppenweise engere Zusammenarbeit zu vereinbaren, zum Beispiel beim Aufbau gemeinsamer Strukturen der Verteidigung? Oder ist damit die Fortschrittsidee vieler altgedienter Europafreunde gemeint, wonach ein „Kerneuropa“ der Entschlossenen die Integration vorantreiben muss, auch durch Änderung des Grundvertrages?
Osteuropäische Staaten fühlen sich abgehängt
Der Gedanke einer Vorhut ist besonders den Staaten im Osten verdächtig, die selber nicht an mehr Integration interessiert sind, zugleich aber befürchten, abgehängt und von Vorreitern im Westen in ein Europa der zweiten Klasse verwiesen zu werden. Der Kampfbegriff lautet „Direktorium“ und wird regelmäßig zum Einsatz gebracht, wenn sich Grüppchen wie das Versailler Quartett formieren. Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass die Beteiligten dort im Hinblick auf die Zukunft der Union an einem Strang ziehen.
Besonders bei der Gretchenfrage nach der Vertragsänderung halten sich vorderhand alle bedeckt. Jede Revision des EU-Grundrechts böte den Posaunisten des Nationalstaates eine gute Gelegenheit, ihrerseits den Rückbau der EU zu betreiben. Außerdem zieht der Souverän nicht mehr zuverlässig mit: Jeder neue EU-Vertrag droht an Parlamenten oder Volksentscheiden zu scheitern.
So erklärt die Kanzlerin zwar einerseits, dass man Vertragsänderung nicht für alle Zeit zum Tabu erklären könne, legt sich aber nicht fest, wann es denn soweit sein könnte. Vor den Bundestagswahlen Ende September, das steht fest, jedenfalls nicht. Bis dahin soll die Diskussion um Europas Zukunft weitergehen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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