Berlin/Brüssel. Im Kampf gegen europäische IS-Terroristen will Europol mit den USA zusammenarbeiten. Das US-Militär soll biometrische Daten liefern.

Das Video ist ein seltener Beweis. Der deutsche Dschihadist Harry S. greift einen Gefangenen an der Schulter, bringt ihn in Stellung für seinen Tod. In Camouflage-Uniform schreitet der junge S. über den Marktplatz der syrischen Stadt Palmyra. Andere IS-Kämpfer wedeln mit ihren Kalaschnikows oder den schwarzen Fahnen. Kurz darauf filmt die Kamera, wie die IS-Leute die Männer exekutieren. Harry S. steht etwas abseits, neben einem roten Jeep. Dann zieht auch Harry S. seine Pistole.

Im Herbst 2016 hatte die Generalbundesanwaltschaft erneut gegen S. ermittelt, der bereits wegen Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung in Haft verurteilt ist. Das Videomaterial liefert wichtige Indizen für mögliche weitere Gräueltaten, an denen Harry S. beteiligt gewesen sein könnte.

Doch Indizien wie das Video sind rar. In den vergangenen Jahren reisten zwischen 4000 und 6000 Dschihadisten aus Europa in Richtung Syrien und Irak aus – die meisten von ihnen stammen aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Belgien. Viele sind tot, einige schon nach Europa zurückgekehrt. Gegen andere lief oder läuft ein Prozess.

Kriminalbeamte berichten von der „Blackbox“ Syrien und Irak

Hinweise auf ihre Gewaltaktionen im Kriegsgebiet durch europäische Ausreisende oder gar Belege für Morde oder Kriegshandlungen haben die Ermittler in der EU selten. Das Treiben im Kriegsgebiet bleibt undurchsichtig. „Ein Blindflug“, sagt ein deutscher Kriminalbeamter, der selbst Fälle von IS-Anhängern ermittelt hat. Und wem Polizei und Justiz keine Morde nachweisen können, der landet wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Haft. Aber nicht wegen möglicher Gewalttaten unter dem IS.

Nur selten posten Dschihadisten Bilder vom IS in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter. Nur selten liefern Geheimdienste Informationen von Kriegshandlungen, denn auch sie haben kaum Zugänge in das Territorium der Terrormiliz. Meistens seien es die Familien der Kämpfer in Deutschland, die der Polizei erzählen würden, was sie über ihren Sohn oder die Tochter beim IS wissen, sagt der Ermittler.

US-Militär soll Fingerabdrücke und DNA liefern

Die EU-Polizeibehörde Europol will nun helfen, Beweise gegen europäische Dschihadisten zu sammeln. Nach Informationen dieser Redaktion arbeiten die EU-Ermittler an einer Kooperation mit den USA. Europol will biometrische Daten von den Amerikanern erhalten, die US-Militärs in Syrien und Irak sammeln: zum Beispiel Fingerabrücke von Kalaschnikows, Spuren von Anschlagsorten oder DNA-Proben von getöteten IS-Terroristen – all das sind für Europol wichtige Informationen für ihre Datenbanken. Und mögliche Belege für Straftaten im IS-Gebiet, von denen bei der Strafverfolgung auch die Staatsanwaltschaften in den EU-Staaten profitieren könnten.

Zuständige Stellen in der EU-Kommission in Brüssel bestätigten die Pläne von Europol und den US-Behörden, wollten aber keine Einzelheiten nennen. Die US-Armee ist mit Militäroperationen in Syrien und Irak im Kampf gegen IS-Terroristen engagiert, greift vor allem mit der Luftwaffe und bewaffneten Drohnen an. Einige Spezialtruppen der Amerikaner sind am Boden im Kriegsgebiet, sie bilden in der Region unter anderem verbündete Kampfeinheiten etwa der irakischen Armee aus.

Europol will die Zusammenarbeit mit FBI ausbauen

Nach Informationen dieser Redaktion sind US-Soldaten in einem „Intelligence Center“ ihrer Armee in Jordanien stationiert und werten biometrische Daten aus dem Kriegsgebiet in Syrien und Irak aus, die Militärs bei ihrem Einsatz gegen Terroristen sichern. Fingerabdrücke und DNA unterliegen der Geheimhaltung, doch manche Daten werden für die US-Bundespolizei FBI „deklassiert“ – und für die Strafverfolgung zugänglich gemacht.

Genau auf diesen Datenaustausch mit dem Federal Bureau of Investigation (FBI) setzt Europol. Denn die EU-Polizei arbeitet bereits seit der Zeit der Anschläge von New York 2001 mit den amerikanischen Polizisten im Kampf gegen den Terroristen und Kriminelle zusammen. Wenn das FBI nun durch das US-Militär an Fingerabdrücke oder DNA von IS-Kämpfern in Syrien und Irak kommt, will Europol auch von diesen Daten profitieren. Und setzt darauf, dass die US-Behörden ihre Informationen teilen.

Europol: Interessiert an jeder Spur

Europol selbst sagt zu dem neuen Projekt auf Nachfrage nur: „Sofern das FBI relevante Daten hat und gewillt ist, diese mit uns zu teilen, ist Europol daran sehr interessiert, diese Daten in unseren Systemen zu nutzen.“ Forensische Belege könnten Verdächtige mit Terror-Aktivitäten verbinden und so die Sicherheit in der EU verbessern, heißt es weiter. Auch Interpol, eine weitere Vereinigung zur Stärkung der Zusammenarbeit nationaler Polizeibehörden, soll offenbar ein vergleichbares Projekt zum DNA-Austausch starten.

„Bringing Daesh to Justice“, unter diesem Schlagwort suchen ranghohe EU-Vertreter nach neuen Wegen im Kampf gegen den IS. „Gerechte Urteile für Daesh“, so könnte man diesen Leitspruch übersetzen. „Daesh“ ist der abwertende arabische Name für den selbst ernannten „Islamischer Staat“.

Daten zu Dschihadisten stark angestiegen

Europol setzt Schwerpunkte – sogenannte „Focal points“ (FP). Die Beamten sammeln und analysieren Informationen über verschiedene kriminelle Milieus oder Gruppen. Sie bieten nach eigenen Angaben Training und Spezialwissen auch an die nationalen Strafverfolgungsbehörden an. Je nach Schwerpunkt geht es um Drogenhandel, Korruption oder Menschenschmuggel. Ein Team kümmert sich um den FP „Travelers“. Laut Europol koordinieren die Ermittler die Informationen zu europäischen Terroristen, die nach Syrien und Irak ausgereist sind. Die Daten zu den Dschihadisten sind seit 2015 „stark angestiegen“. Immer mehr junge Männer und Frauen aus der EU reisten in das Kriegsgebiet.

Im Januar 2016 rief Europol das „European Counter Terrorism Centre“ mit gut 40 Ermittlern ins Leben. Ab April 2016 intensivierten Europol und FBI noch einmal den Einsatz gegen sogenannte „Foreign Terrorists Fighters“. Ranghohe Vertreter beider Polizeibehörden unterzeichneten in Washington ein Abkommen, der Austausch von Daten über die Dschihadisten sollte verstärkt werden.

Der Druck auf die Justiz wächst

Mit der gestiegenen Zahl der zurückgekehrten Kämpfer nach Europa und dem massiven Ausbau der Sicherheitsbehörden nimmt auch die Zahl der Gerichtsverfahren deutlich zu. Laut „Tagesspiegel“ leitete die Terrorismus-Abteilung der Bundesanwaltschaft 2016 etwa 240 Terrorverfahren ein. Bei ungefähr 200 davon ging es um den Verdacht islamistisch motivierten Terrors. Die Prozesse sind aufwendig, die Beweisführung schwierig, die Justiz klagt über Überlastung. Und mit jedem Hinweis, mit jedem Beweis auf eine Terror-Tat, den die Ermittler liefern, steigt der Druck auf die Justiz, die Verfahren zu vollziehen.

Als Harry S. auf der Straße von Palmyra seine Pistole zückt, schiebt sich der Körper eines anderen Dschihadisten vor die Handykamera, mit der das Video aufgenommen wurde. Schüsse fallen, Staub wirbelt auf. Man sieht nur, wie Harry S. zielt. Als die Sicht auf ihn wieder frei ist, steckt er die Waffe wieder ein. Ein letzter Beweis für einen Schuss auf die gefangenen Männer ist auch das Video nicht.