Berlin. Die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel ist ein Zeichen der Türkei an Deutschland: Sie will sich nicht länger belehren lassen.

„Gibt es in Deutschland etwa zwei Kanzler? In einem Präsidialsystem gibt es natürlich nur einen Präsidenten. Auf einem Schiff kann es nicht zwei Kapitäne geben“, hat der türkische Regierungschef Yildirim kürzlich bei seinem Auftritt in Deutschland verkündet. Das sollte vielleicht originell – und zumindest für seine deutsch-türkischen Zuhörer – einleuchtend klingen.

Ist es aber beides nicht. Denn eine Demokratie ist kein Schiff, auf dem nur ein Kapitän das Sagen hat. Es gibt zwar nur eine Kanzlerin. Aber die wird vom Parlament kontrolliert, hat sich an die Gesetze des Landes zu halten und die Entscheidungen einer unabhängigen Justiz zu achten. Das funktioniert auch hier nicht immer lupenrein, aber das Prinzip gilt unumstritten.

Hunderte Journalisten in Haft

Entscheidender an den Ausführungen Yildirims ist, dass sie klar den Weg aufzeigen, den die Türkei unter einem Präsidenten Erdogan eingeschlagen hat und der mit dem Verfassungsreferendum am 16. April gekrönt werden soll. Das sieht die Umwandlung des Landes in ein Präsidialsystem vor. So soll der Staatschef künftig durch Erlasse regieren, den Notstand ausrufen, Minister ernennen und das Parlament auflösen können. Zugleich würde es Erdogan ermöglichen, bis 2029 im Amt zu bleiben.

Wer dem entgegensteht, gilt schnell als Staatsfeind, Gülen-Anhänger oder pauschal als Terrorist. Wie der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der nun wie Hunderte seiner Kollegen in einem Gefängnis sitzt. Der Staatsanwalt hatte ihn nicht zum normenvertiefenden Gespräch geladen und dann nach Deutschland ausgewiesen, wie vielleicht mancher hierzulande gehofft hat.

U-Haft für Journalist sorgt für Spannungen mit Türkei

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    Klares Signal in Richtung EU

    Den Herren in Ankara ist es mit ihrem Staatsumbau inklusive der Abschaffung der Presse- und Meinungsfreiheit bitterernst. Yücels Inhaftierung ist auch ein eindeutiger Fingerzeig – und zwar mit dem ausgestreckten Mittleren – gen Deutschland und die EU, dass man nicht gewillt ist, sich länger belehren zu lassen, wie man den eigenen Staat zu führen habe. Und der Westen sollte das auch endlich ernst nehmen und sich von der Vorstellung verabschieden, die Türkei käme in absehbarer Zeit als ernsthafter Beitrittskandidat infrage. Die gegenseitigen Beziehungen werden auf eine wie auch immer geartete neue Basis gestellt werden müssen.

    Denn das größte Problem ist, dass Erdogan auf die breite Unterstützung seiner Bevölkerung zählen kann, auch unter denen, die mit türkischem Pass schon lange in Deutschland oder anderswo im Westen leben. Denn in Wahrheit waren westliche Lebensart und pluralistische Vorstellungen nur bei einer Minderheit in den großen Städten des Landes populär, war der demokratische Gedanke bei einer Mehrheit von ihnen nie tief verankert.

    Türkei kehrt gewissermaßen zu sich selbst zurück

    Denn es gab in der Türkei keine Demokratisierungsbewegung aus der Mitte der Gesellschaft heraus, sondern einen vom Staatsgründer Atatürk par ordre de Mufti verordneten Kurs gen Westen. Mühsam über die Jahrzehnte wechselweise von schwachen Regierungen und putschenden Militärs gestützt, bedroht auch immer von Rechts- und Linksterroristen und kurdischen Separatisten. In gewisser Weise kehrt die Türkei mit Erdogan zu sich selbst zurück. Zur Idee des starken Mannes, der ohne Palaver in Parlamenten und Parteien den Kurs vorgibt.

    Das, was von den türkischen Demokratisierungsübungen übrig ist, dient allenfalls noch als Mittel zum Zweck. Schon Anfang der 1990er-Jahre, noch bevor er Bürgermeister in Istanbul wurde, soll Erdogan gesagt haben: „Demokratie ist wie Straßenbahn fahren. Wenn man am Ziel ist, steigt man aus.“ Endstation Ankara. Vorläufiges Ende der Illusion von einer demokratischen Türkei.