Washington. Die Frage wiegt schwer, aber sie wird in Amerika zuletzt häufiger gestellt: Hat Präsident Donald Trump ein Antisemitismus-Problem?
Warum tut sich Trump so schwer damit, die grassierenden Attacken gegen jüdische Einrichtungen (seit Amtsantritt hat es 70 Bombendrohungen in 27 Bundesstaaten gegeben) von sich aus anzusprechen und eindeutig zu verurteilen?
Nach der jüngsten Eskalation konnte Trump nicht mehr länger schweigen. Auf einem jüdischen Friedhof in St. Louis im Bundesstaat Missouri waren 170 Grabsteine umgeworfen und Gräber verwüstet worden. Beim Rundgang durch das neue Museum für afro-amerikanische Geschichte und Kultur in Washington wurde der Präsident von einem Reporter dazu gefragt. Trump sprach von einem „schrecklichen Fall“, der eine „schmerzhafte Erinnerung“ darstelle und dass noch viel getan werden müsse, um Vorurteile und Hass „auszurotten“.
„Die amerikanischen Juden sind besorgt“
Es waren die allerersten Worte des Präsidenten Trump zu einer Entwicklung, die nach Angaben der „Anti-Defamation-League“ schon seit Monaten im Gang ist. Antisemitische Vorfälle, so die jüdische Organisation mit Verweis auf Polizeistatistiken, hätten in den USA eine Dimension erreicht, die man seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhundert nicht mehr gesehen habe.
Auch der Jüdische Weltkongress schaltete sich ein. „Die amerikanischen Juden sind besorgt“, erklärte Präsident Ronald S. Lauder. Ohne direkt Kritik an Trump zu üben. Das übernahm Steve Goldstein vom renommierten „Anne Frank-Zentrum für gegenseitigen Respekt“ in New York.
Scharfe Kritik vom Jüdischen Weltkongress
Sein Fazit: Trumps Worte seien „nur ein Heftpflaster für den Krebs des Antisemitismus, der seine eigene Regierung infiziert hat“. Im TV-Sender CNN legt der Lobbyist nach: Trump mag die Juden nicht, seine Regierung ist antisemitisch. Goldsteins Begründung: Anstatt frühzeitig das höchste Amt im Staate zu nutzen, um die Judenfeindlichkeit unzweideutig zu verdammen und die ganze Kraft des Rechtsstaates in die Waagschale zu werfen, sei Trump in der Vergangenheit mehr als einmal seltsam unscharf geblieben.
Beim Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu wurde Trump zum Phänomen des wachsenden Antisemitismus gefragt – und antwortete sachfremd mit einem Verweis auf seinen „phänomenalen“ Wahlsieg. Als wenige Tage später ein jüdisch-orthodoxer Journalist den Präsidenten im Weißen Haus ebenfalls zu der besorgniserregenden Zahl von Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen einvernehmen wollte, bezeichnet Trump die Frage als ungehörig, befahl dem Fragesteller sich zu setzen und stellte kategorisch fest: „Ich bin die am wenigsten antisemitische Person, die Sie jemals in Ihrem Leben gesehen haben.“
Trump verwies auf seine Familie
Vorher verwies er auf seine bei der Heirat zum Judentum übergetretene Tochter Ivanka und seinen jüdisch-orthodoxen Schwiegersohn und Berater Jared Kushner. Botschaft: Das muss doch reichen als Ausweis meiner Juden-Freundlichkeit. Zur Frage, ob der Staat mehr tun kann, um die Attacken gegen jüdische Gemeinden abzustellen und die Drahtzieher dingfest zu machen, sagte Trump nichts.
Leitartikler in den USA erinnerte dieses wie Verdrängung anmutende Verhalten daran, dass Trump zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar eine merkwürdige Pressemitteilung herausgeben ließ. In dem Papier erinnerte er allgemein an die „Opfer, Überlebenden und Millionen von Toten“. Ohne aber dabei die von Nazi-Deutschland generalstabsmäßig versuchte Ausrottung der europäischen Juden zu erwähnen. Das Wort „Juden“ kam nicht ein einziges Mal vor.
Trumps Kontakte zum Ku-Klux-Klan
Das in Alabama ansässige Southern Poverty Law Center, eine anerkannte Beobachtungsstelle für jede Form von Extremismus, stellt dazu fest, dass Trump bereits im Wahlkampf die oft hasserfüllte antisemitische Rhetorik vieler seiner randständigen Unterstützer nicht „entschieden“ genug und nur auf Drängen von Medien zurückgewiesen habe.
Lange weigerte sich Trump, den ihn anhimmelnden ehemaligen Ku-Klux-Klan-Chef David Duke oder den weißen Rassen-Ideologen und Neonazi Richard Spencer („Heil Sieg, Heil Trump!“) auf Distanz zu halten. Stattdessen verwies er darauf, dass einige seiner Familien-Mitglieder jüdisch sind. Und er versteckte sich hinter dem Lob des israelischen Premierministers. „Es gibt keinen größeren Freund und Helfer der Juden als Donald Trump“, hatte Benjamin Netanjahu bei seiner Visite in Washington gesagt.
Rücksicht auf Chefplaner Bannon
Vermutungen, dass Trump auf seinen sehr umstrittenen Chef-Berater Stephen Bannon Rücksicht nimmt, stehen seit langem im Raum. Auf dem von ihm bis Mitte 2016 geführten Internet-Portal Breitbart finden sich bis heute in vielen Nutzer-Kommentaren rassistische, rechtsextreme und eindeutig antisemitische Töne.
Anstatt dem unmissverständlich zu begegnen, bediente sich Trump bei einer der letzten Konfrontationen mit dem Thema eines Ablenkungsmanövers, das ihn aus Sicht jüdischer Zeitzeugen noch mehr ins Zwielicht rückte. Nicht seine Wähler steckten hinter den Angriffen gegen jüdische Einrichtungen, sagte Trump, sondern der politische Gegner, die Demokraten.
In St. Louis konnten die Oberen des Friedhofs der „Chesed Shel Emeth Society“ damit nicht viel anfangen. Sie brauchen Unterstützung, um die verwüsteten Gräber in Ordnung zu bringen. Die Hilfe kam prompt in Form von über 80.000 Dollar. Aber nicht von Präsident Donald Trump. Muslimische Verbände hatten die Spenden eingetrieben.
Weltweite Proteste gegen Donald Trump