Cannon Ball. Im Indianer-Reservat in North Dakota läuft die Frist für die Protestler ab: US-Präsident Trump hat die Öl-Pipeline neu genehmigt.

Es ist nicht lange her, da blickte Tom B. K. Goldtooth vom Stamm der Navajo morgens trotz bitterster Kälte mit Stolz und Zufriedenheit auf die flache Ebene am Missouri-River bei Cannon Ball.

Der Kampf der Indianer des Standing Rock-Reservats gegen die „Dakota Access Öl-Pipeline“ hatte über fast zehn Monate Tausende Demonstranten aus dem ganzen Land in diesen von Menschen sonst fast leer gefegten Zipfel North Dakotas gebracht.

Medien weltweit berichteten über das Aufbegehren der Nachfahren der Ureinwohner. Die sehen durch den Bau der „schwarzen Schlange“, die täglich unterhalb des Oahe-Stausees 500.000 Barrel Rohöl von der kanadischen Grenze bis nach Chicago schleusen soll, die Reinheit ihrer Wasserquellen bedroht. Und noch mehr den spirituellen Frieden ihrer Heiligen Stätten.

Demonstranten von Trump und Gerichten besiegt

Das Oceti Sakowin Camp an der Landstraße 1806, ausgestattet mit Psycho-Betreuung und indianischer Sauna (sweat lodge), war das Epizentrum des Protests. Und Tom Goldtooth, ein sanfter, weltgewandter Aktivist, seit April 2016 so etwas wie der gutgütige Geist. Vorbei.

Aktivist Tom Goldtooth protestiert seit Monaten in Standing Rock gegen die Dakota Access Pipeline.
Aktivist Tom Goldtooth protestiert seit Monaten in Standing Rock gegen die Dakota Access Pipeline. © FMG | Dirk Hautkapp

Als der 63-Jährige mit dem schwarzen Pferdeschwanz unserer Redaktion vom „Facebook Hill“ aus, der wegen des besseren Handy-Empfangs so heißt, mit weit ausholenden Armbewegungen die Lage erklärt, steht ihm die Enttäuschung ins zerfurchte Gesicht geschrieben.

Manche Tipis unten am Fluss stehen im Schlamm. Viele Zelte und Hütten sind abgebaut oder vom Schmelzwasser aufgeweicht. Zig Trucks stecken fest. Alle paar Meter türmen sich Müllberge, die trotz der Schneereste unangenehme Gerüche über die Prärie treiben. Dazwischen huschen niedergeschlagen wirkende Menschen in dreckigen Thermo-Hosen umher. Sie räumen auf und packen ein. Besiegt von Präsident Donald Trump und den Gerichten.

Protestler müssen bis Mittwochmittag das Camp verlassen

Bis Mittwochmittag 14 Uhr (Ortszeit, 21 Uhr MEZ) müssen die letzten gut 200 Protestler das Camp verlassen haben. Sonst helfen Polizei und Nationalgarde, vertreten mit Dutzenden Beamten auf den Hügeln ringsum und Überwachungs-Drohnen und Hubschraubern in der Luft, spätestens am Donnerstag unbarmherzig nach.

Indianer-Protest gegen Öl-Pipeline

Demonstranten im Indianer-Reservat Standing Rock im US-Bundesstaat North Dakota: Die „Dakota Access Pipeline“, die Öl aus dem Norden nach Illinois transportieren soll, würde am Reservat der Sioux vorbeiführen.
Demonstranten im Indianer-Reservat Standing Rock im US-Bundesstaat North Dakota: Die „Dakota Access Pipeline“, die Öl aus dem Norden nach Illinois transportieren soll, würde am Reservat der Sioux vorbeiführen. © REUTERS | LUCAS JACKSON
Die Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner sehen heilige Stätten und Wasserreservoirs bedroht, außerdem würden Gebietsverträge verletzt.
Die Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner sehen heilige Stätten und Wasserreservoirs bedroht, außerdem würden Gebietsverträge verletzt. © imago | ZUMA Press
Der Protest begann im April 2016, als die Route der Pipeline verlegt wurde. Sie soll unter dem Lake Oahe verlaufen und Öl von den tausenden Frackingbohrstellen im Norden ins Landesinnere transportieren, jeden Tag mehr als 450.000 Barrel.
Der Protest begann im April 2016, als die Route der Pipeline verlegt wurde. Sie soll unter dem Lake Oahe verlaufen und Öl von den tausenden Frackingbohrstellen im Norden ins Landesinnere transportieren, jeden Tag mehr als 450.000 Barrel. © REUTERS | STEPHANIE KEITH
Die Dakota Access Pipeline – DAPL –  soll insgesamt fast 1900 Kilometer lang sein und rund 2,7 Milliarden US-Dollar kosten.
Die Dakota Access Pipeline – DAPL – soll insgesamt fast 1900 Kilometer lang sein und rund 2,7 Milliarden US-Dollar kosten. © REUTERS | TERRAY SYLVESTER
Hunderte Stämme schlossen sich dem Protest an.
Hunderte Stämme schlossen sich dem Protest an. © REUTERS | STEPHEN YANG
Auch viele Veteranen unterstützten die Demonstranten.
Auch viele Veteranen unterstützten die Demonstranten. © imago | ZUMA Press
Am Cannonball River wurden Lager errichtet. Die Facebookseite des Reservats zeigte Besucher aus Lateinamerika, von Priestern und Familien.
Am Cannonball River wurden Lager errichtet. Die Facebookseite des Reservats zeigte Besucher aus Lateinamerika, von Priestern und Familien. © REUTERS | TERRAY SYLVESTER
Über Monate kam es immer wieder zu Scharmützeln mit der Polizei.
Über Monate kam es immer wieder zu Scharmützeln mit der Polizei. © imago | ZUMA Press
In den überregionalen US-Medien war das alles zu dem Zeitpunkt kein großes Thema, es war schließlich Wahlkampf. Die Demonstranten veröffentlichten Videos, die beweisen sollten, wie wenig zimperlich der Staat gegen friedlichen Protest vorging.
In den überregionalen US-Medien war das alles zu dem Zeitpunkt kein großes Thema, es war schließlich Wahlkampf. Die Demonstranten veröffentlichten Videos, die beweisen sollten, wie wenig zimperlich der Staat gegen friedlichen Protest vorging. © imago | ZUMA Press
Die Polizei setzte Tränengas in großem Stil ein, Panzerwagen, Pfefferspray, Granaten, ließ ihre Hunde los. Es gab Verletzte.
Die Polizei setzte Tränengas in großem Stil ein, Panzerwagen, Pfefferspray, Granaten, ließ ihre Hunde los. Es gab Verletzte. © imago | ZUMA Press
In allen 50 Staaten der USA gab es Solidaritätsaktionen und -Kundgebungen, etwa in New York City.
In allen 50 Staaten der USA gab es Solidaritätsaktionen und -Kundgebungen, etwa in New York City. © imago | Pacific Press Agency
US-Präsident Obama ließ das Projekt vorläufig stoppen: Am 4. Dezember 2016 teilte das United States Army Corps of Engineers mit, dass statt des Verlaufs entlang des Reservats alternative Routen für die Pipeline geprüft werden sollen.
US-Präsident Obama ließ das Projekt vorläufig stoppen: Am 4. Dezember 2016 teilte das United States Army Corps of Engineers mit, dass statt des Verlaufs entlang des Reservats alternative Routen für die Pipeline geprüft werden sollen. © imago | ZUMA Press
Am 7. Februar 2017 verkündete die zuständige Abteilung des Verteidigungsministeriums, dass der Bau entlang der geplanten Route fortgesetzt werden soll. Inzwischen ist Donald Trump US-Präsident: Als Unternehmer hatte er in die Pipeline-Betreiberfirma (ETP.N) und eine Holding (Phillips 66) investiert. Die Protestler bekamen eine Frist gesetzt: Sie sollten ihr Camp bis zum 22. Februar   räumen.
Am 7. Februar 2017 verkündete die zuständige Abteilung des Verteidigungsministeriums, dass der Bau entlang der geplanten Route fortgesetzt werden soll. Inzwischen ist Donald Trump US-Präsident: Als Unternehmer hatte er in die Pipeline-Betreiberfirma (ETP.N) und eine Holding (Phillips 66) investiert. Die Protestler bekamen eine Frist gesetzt: Sie sollten ihr Camp bis zum 22. Februar räumen. © dpa | Tom Stromme
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Später übernimmt das „Army Corps of Engineers“, eine Einheit von Bauingenieuren der Armee, wieder das Kommando. Die Konstruktion des von Obama bis zum Abschluss einer Umweltverträglichkeitsstudie auf Eis gelegten und von Trump wieder in Gang gesetzten Teilabschnitts der knapp 1900 Kilometer langen Pipeline geht weiter. Schon in wenigen Wochen fließt das Öl.

Größter Indianer-Protest seit Wounded Knee ist Geschichte

Der größte Indianer-Protest, den Amerika seit der blutigen Besetzung der Kultstätte Wounded Knee 1973 gesehen hat, ist damit Geschichte. Selbst verschuldet, wie Terry Wilkerson findet.

Das Oceti Sakowin Camp wird abgebrochen.
Das Oceti Sakowin Camp wird abgebrochen. © FMG | Dirk Hautkapp

Die 58-Jährige ist seit fast vier Monaten im Oceti Sakowin Camp. Im Medien-Zelt betreut sie anreisende Journalisten, trichtert ihnen mit strenger Miene die kulturellen Fettnäpfchen ein, in die man im Land der Sioux schnell treten kann. „Keine Fotos bei religiösen Zeremonien. Niemals!“

Die Immobilien-Maklerin aus Michigan hat nicht einen Tropfen indianisches Blut in sich. Trotzdem ließ sie Mann und Sohn zu Hause und ging mit Daunenmantel und Polarkreis-tauglichen Handschuhen in die Einöde North Dakotas. „Ich wollte nicht wieder still zusehen, wie dieses Land seine Verträge mit den Indianern bricht.“

Viele halten Aufgeben für einen Fehler

Gemeint sind die Abkommen von Fort Laramie, unterzeichnet 1851 und 1868. Darin hatte Amerika den Indianern die riesigen Weiten westlich des Missouri als Heimat versprochen – „für alle Zeiten“. Der Goldrausch in den Black Hills im Süden und der Druck der Siedlerströme legten bald das Fundament für den historischen Wortbruch, der letztlich auch das Aufbäumen gegen die Öl-Pipeline entfachte.

Folgt man Wilkerson und anderen Ortsfremden, die aus Oregon, Kalifornien, Florida, ja selbst aus Europa gekommen sind, dann hat ausgerechnet David Archambault II, der Stammesfüher der Sioux, einen großen Fehler gemacht, als er die Demonstranten vor wenigen Wochen zur Abreise aufrief.

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„Das hat unser Momentum gekillt“, sagt Wilkerson. Sie vermutet hinter den Kulissen Geldzahlungen der Pipeline-Betreiber an das Reservat, das außer einem Spielcasino kaum eigene Einnahmequellen hat. Dass Harold Frazier, führender Kopf der rivalisierenden Cheyenne River Sioux, die Aufgabe der Protestkulisse abgelehnt hat und weiter auf legal geleastem Land in der Nähe Präsenz zeigen will, dient ihr als Indiz für undurchsichtige Machenschaften.

Eil-Gesetze gegen gewaltsame Proteste erlassen

Was North Dakotas republikanischer Gouverneur Doug Burgum von sich weist. Die Anordnung zur Evakuierung der Protest-Camps folgt den Gesetzmäßigkeiten der Natur, ließ er erklären. Heißt: Mit der Schneeschmelze droht eine Überflutung und damit Lebensgefahr für die Demonstranten. Nicht zu verschweigen die Aussicht auf massenweise Wohlstandsmüll, den die selbst ernannten „Wasserschützer“ hinterlassen haben. Ihr Motto „Mni Wiconi“ (übersetzt: Wasser ist Leben) dürfe nicht konterkariert werden, sagen die Politiker.

Dass tatsächlich alle Demonstranten friedlich abziehen, erwartet in Cannon Ball kaum jemand.
Dass tatsächlich alle Demonstranten friedlich abziehen, erwartet in Cannon Ball kaum jemand. © FMG | Dirk Hautkapp

Dass tatsächlich alle Demonstranten friedlich abziehen, erwartet in Cannon Ball kaum jemand. Das Landesparlament in Bismarck hat darum vorsorglich drei Eil-Gesetze verabschiedet, die den Druck erhöhen sollen. Wer gewaltsame Proteste herbeiführt, muss mit bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen. Wer den Abzug verweigert oder sich der Staatsgewalt widersetzt, kann bis zu einem Jahr hinter Gittern landen.

Brutale Einsätze der Nationalgarde gegen Demonstranten

Tom Goldtooth beeindruckt das gemessen an dem, was bereits geschehen ist, wenig. Im Laufe des Protests gab es mehrfach brutale Einsätze von Nationalgardisten und Polizei, die in Kampf-Montur mit Schlagstöcken, Pfefferspray, Dumdum-Geschossen, Lärmkanonen, bissigen Hunden und Hubschraubern gegen die Demonstranten vorgingen. Verletzte wurden auf beiden Seiten gemeldet. An einigen Tagen wurden über 100 Menschen, Alte, Frauen und Kinder verhaftet. Über Facebook verfolgten Hunderttausende weltweit die hässlichen Szenen in Echtzeit mit.

Standing Rock wurde so zum „Identifikationssymbol für jenes Amerika, das sich nicht lautlos fügt, wenn riesige Infrastrukturprojekte die Interessen der Betroffenen unterpflügen und Umweltbedenken ignoriert werden“, schrieb eine Zeitung im Mittleren Westen.

„Donald Trump wird noch lange unseren Zorn spüren“

Auch darum haben mehrere Städte weit ab vom Reservat symbolisch die Initiative ergriffen und Anteilnahme gezeigt. Nach Seattle hat auch New Yorks Bürgermeister Bill De Blasio Kreditinstituten, die das Pipelineprojekt finanzieren (darunter die Bayrische Landesbank) das Ende der Zusammenarbeit angedroht.

Das ist es, was Tom Goldtooth meint, wenn er das Aus des Protests heute nicht als Schlusspunkt begreift. „Zum ersten Mal seit 140 Jahren haben sich Dutzende ehemals verfeindete Stämme zusammengetan. Das war wie ein Erweckungserlebnis. Das bleibt.“

Am 10. März wollen die Gegner der Dakota-Pipeline in Washington vor dem Kongress ihre Tipis aufbauen. „Es gibt viele Wege, die Tyrannei zu bekämpfen“, sagt Tom Goldtooth und zeigt die Zähne, „Donald Trump wird noch lange unseren Zorn spüren.“