Istanbul. Erstmals ist während des Ausnahmezustandes in der Türkei ein deutscher Journalist in Polizeigewahrsam: Deniz Yücel von der „Welt“.
Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel befindet sich seit Dienstag in türkischem Polizeigewahrsam. Das berichtet die Zeitung unter der Rubrik „In eigener Sache“ auf ihrer Website. Nach den Regeln des derzeit geltenden Ausnahmezustands kann er bis zu 14 Tage ohne Anhörung durch Richter in Gewahrsam gehalten werden. Eine Anfrage unserer Redaktion an die Chefredaktion der „Welt“ vom Freitag blieb zunächst unbeantwortet.
Den Anwälten des 43-Jährigen sei gesagt worden, dass gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, wegen Terrorpropaganda und wegen Datenmissbrauchs ermittelt werde.
Wohnung in Istanbul durchsucht
Dabei scheint es um gehackte E-Mails zu gehen, die vom Mailkonto von Energieminister Berat Albayrak stammen sollen, dem Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Yücel hatte über die von einer Gruppe namens Redhack verbreiteten Mails zwei Artikel verfasst. Redhack gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der Putschversuch in der Türkei 2016
Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist. Nach Angaben der „Welt“ wurde Yücels Istanbuler Wohnung durchsucht, nachdem der Korrespondent sich der Polizei gestellt hatte.
Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, hatte in den vergangenen Monaten laut Eigenangaben immer wieder Kontakt mit dem Journalisten Yücel. „Mich hat verwundert, dass er plötzlich bei Facebook verstummte.“ Er hatte gehofft, dass Deutschland den Korrespondenten auf diplomatischen Wege zurück in die Bundesrepublik holt.
Der Erdogan-Kritiker Toprak sieht im Fall Yücel den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die sich schon seit 2015 abzeichnet. „Das Land wurde immer autoritärer. Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch gibt es kaum noch kritische Medien“, so Toprak. Journalisten, die kritisch über die Türkei berichteten, prägten auch die öffentliche Meinung in Deutschland – und eben das wolle Erdogan unterbinden. „Auch deutsche Journalisten sollen eingeschüchtert werden und mundtot gemacht. Mit der Aktion wird ein Exempel statuiert.“
In der Türkei sitzen zahlreiche regierungskritische Journalisten unter Terrorvorwürfen in Haft. Menschenrechtsorganisationen halten die Anschuldigungen häufig für konstruiert und für politisch motiviert. Die Regierung weist solche Kritik zurück.
Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) übt Kritik. „Es zeigt, dass Präsident Erdogan versucht, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen“, sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall der Deutschen Presse-Agentur. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Fall aufgreift und ihre diplomatischen Kanäle nutzt, um unseren Kollegen zu schützen.“
Ankara weist Kritik zurück
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in der vorvergangenen Woche bei einem Besuch in Ankara gesagt, sie habe mit Erdogan „sehr ausführlich“ über das Thema Pressefreiheit gesprochen. Sie habe außerdem auf die Akkreditierungen deutscher Journalisten in der Türkei hingewiesen „und auf verschiedene Fälle, wo wir uns auch durchaus Sorgen machen“. Die Regierung in Ankara weist Vorwürfe, sie schränke die Pressefreiheit ein, regelmäßig zurück.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. (mit Material dpa)