Berlin. Bundesfinanzminister Schäuble soll zu sehr auf Lobbyisten gehört haben. Dadurch könnten dem Staat Milliarden von Euro entgangen sein.
Das Schöne an Untersuchungsausschüssen im Bundestag ist der hohe Promi-Faktor. Die Abgeordneten können namhafte Zeugen laden, die in der Regel auch aussagen müssen. Am Donnerstag traf es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der zu Steuergeschäften befragt wurde, mit denen Banken und Investoren den Staat um schätzungsweise bis zu 20 Milliarden Euro geschädigt hatten. Offiziell nur Zeuge, musste sich der Politiker jedoch auch verteidigen.
Das Bundesfinanzministerium müsse mit Lobbyisten sprechen, mit ihnen sogar zusammenarbeiten, auch wenn man den Interessenvertretern „nicht alles glauben dürfe“, sagte Schäuble sinngemäß am Donnerstagnachmittag. „Wie soll man einen Gesetzentwurf machen, ohne mit denen zu reden, die ihn umsetzen müssen?“ fragte der Minister in Richtung des Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick. Der Vizevorsitzende des Bundestag-Finanzausschusses hatte Schäuble vorgeworfen, Lobbyisten von Banken auf den Leim gegangen zu sein. Diese habe man an der Gesetzgebung beteiligt, obwohl ihre schlechten Ratschläge zuvor zu Milliarden-Euro-Verlusten für die Staatskasse geführt hätten.
Schäuble spricht von äußerst komplexem Verfahren
Schäuble wies das zurück. Zügig habe er als Finanzminister ab 2009 ein Gesetz auf den Weg gebracht, um das sogenannte Cum-Ex-Steuerschlupfloch zu stopfen. Zum 1. Januar 2012 sei das Gesetz in Kraft getreten. Das äußerst komplexe Verfahren sei „ungewöhnlich schnell“ gegangen, sagte Schäuble.
Das ist das aktuelle Bundeskabinett
Der Bundesfinanzminister trat als letzter Zeuge im Untersuchungsausschuss um die Cum-Ex-Geschäfte auf, die den deutschen Staat zwischen 1999 und 2012 bis zu zwölf Milliarden Euro gekostet haben sollen. Der Begriff bezieht sich auf Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividenden-Anspruch. Das Prinzip: Besitzer der Aktien zahlten einmal Kapitalertragssteuer für die erhaltene Gewinnausschüttung, ließen sich die Steuer aber mehrfach vom Finanzamt erstatten. Möglich wurden die lukrativen Tricks, indem Investoren ihre Aktien im Umkreis des Termins der Dividenden-Zahlung schnell hin- und herverkauften.
Vorwurf des „krassen Organisationsversagens“
Schick warf Behörden und Bundesfinanzministern wie Peer Steinbrück (2005 bis 2009, SPD) „krasses Organisationsversagen“ vor. Die dem Bundesfinanzministerium unterstehende Finanzaufsicht (Bafin) habe spätestens ab 2007 über die nötigen Informationen verfügt, das Ministerium sie jedoch ignoriert. So seien nur halbherzige Versuche unternommen worden, das Finanzloch zu stopfen, bemängelte Schick. Mittlerweile ermitteln Staatsanwälte, Finanzämter fordern Steuern zurück, manche Banken wehren sich dagegen.
Verwandt mit diesem Steuertrick ist das Cum-Cum-Modell. Dabei verleihen ausländische Inhaber deutscher Aktien diese zum Dividenden-Stichtag an inländische Banken. Die können sich die auf die Dividendenausschüttung fällige Kapitalertragssteuer vom Finanzamt zurückerstatten lassen – im Gegensatz zu den ausländischen Investoren. Der Gewinn wird geteilt.
Auch im Cum-Cum-Fall geschah offenbar lange nichts
Auch dazu sagte Schick: „Das Thema tauchte immer wieder auf. Unternommen wurde lange Zeit aber nichts.“ Der geschätzte Verlust in diesem Fall: fünf bis sechs Milliarden Euro. Das Bundesfinanzministerium unter Steinbrücks Nachfolger Schäuble war wohl spätestens seit Frühjahr 2011 im Bilde. Damals erhielt das Haus Hinweise über entsprechende Geschäfte der DekaBank, dem Wertpapier-Institut der Sparkassen. Diese untersteht der direkten Aufsicht des Finanzministeriums. Trotzdem gab es erst 2016 eine Gesetzesänderung, die Cum-Cum erledigte. Bis heute ist freilich nicht geklärt, ob die frühere Praxis rechtswidrig war oder nur kreativ. Finanzämter und Banken streiten über die Rückzahlung der damals erstatteten Steuer.
Um solche Fälle in Zukunft zu vermeiden, forderte die grüne Finanzexpertin Lisa Paus ein Gesetz, das auch Tippgeber aus dem Finanzbereich schützt. „Wenn wir dort Kriminalität aufklären wollen, sind wir auf die Hinweise von Whistleblowern angewiesen“, sagte Paus. Außerdem plädiert sie für eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle, wie sie Großbritannien praktiziert, und ein neues Spezial-Finanzamt auf Bundesebene für große Konzerne, Banken und Einkommensmillionäre.