München. Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, über das Risiko Donald Trump – und den Kampf gegen den Terror.

Acht Jahre lang war Hans-Jürgen Papier Deutschlands höchster Richter. Inzwischen betrachtet der Staatsrechtsprofessor die Welt von der Universität in München aus – und macht sich Sorgen.

Donald Trump regiert im gleichen Stil, in dem er Wahlkampf geführt hat. Sind Sie von seinen ersten Tagen als US-Präsident überrascht, Professor Papier?

Hans-Jürgen Papier: Ich hatte vermutet, dass sein Stil als Präsident dann doch ein anderer sein würde. Das ist offenbar nicht der Fall. Irritierend finde ich vor allem die sehr abfälligen Äußerungen über Richter, die in den Vereinigten Staaten über ein besonders hohes Ansehen und eine besondere Autorität verfügen. Wenn Donald Trump öffentlich von einem „sogenannten Richter“ spricht, ist das ein sehr erschreckendes Ereignis.

Der Zorn des Präsidenten traf den Bundesrichter James Robart, der den per Dekret verfügten Einreisestopp für Muslime außer Kraft setzte. Trump handelt, als stehe er über dem Gesetz ...

Papier: Ich habe großes Vertrauen in den amerikanischen Rechtsstaat und die Gewaltenteilung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses System durch irgendeinen Präsidenten, der meint, die Grenzen austesten zu können, ernsthaft gefährdet werden könnte. Die Gerichte haben die Kraft, den Mut und die Fähigkeit, Fehltritte wie den pauschalen Einreisestopp für Muslime aus bestimmten Ländern zu korrigieren.

Welche Aussichten hätte ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump?

 Hans-Jürgen Papier
Hans-Jürgen Papier © Theo Klein | Theo Klein

Papier: Für einen solchen Schritt sehe ich derzeit noch keinen Anlass. Donald Trump mag manches sagen, was den Grundsätzen der amerikanischen Verfassung widerspricht. Es hat meines Wissens aber noch keine Handlungen des Präsidenten gegeben, die Grundprinzipien der Verfassung – etwa die Unabhängigkeit der Gerichte – tatsächlich beeinträchtigen würden. Einen die Amtsenthebung rechtfertigenden Verfassungsbruch kann ich bisher nicht erkennen. Im Übrigen geht es auch um eine politische Entscheidung.

Haben Sie eine Vorstellung, wohin Trump die Welt führt?

Papier: Ich bin natürlich kein Hellseher. Gefahren bestehen möglicherweise in einer Beeinträchtigung der Nato. Ich halte diese Allianz Deutschlands und Europas mit den Vereinigten Staaten von Amerika für essenziell, was den Fortbestand unserer freiheitlichen Ordnung anbelangt. Auszuschließen ist im Augenblick aber nichts.

Sehen Sie Entwicklungen in Europa, die mit jenen in Amerika vergleichbar wären?

Papier: Gewisse Ähnlichkeiten gibt es schon. Den – sehr beliebigen – Begriff des Populismus möchte ich dabei nicht verwenden. Die Gefahr für die modernen Demokratien in Europa und Amerika besteht darin, dass politische Strömungen sich etablieren, die einfache, einseitige, unausgewogene und extreme Lösungen präsentieren. Den Front National in Frankreich zähle ich genauso dazu wie die AfD in Deutschland. Diese Kräfte führen die Gesellschaft nicht zusammen, sondern spalten sie.

Die Chancen der Rechtsextremistin Marine Le Pen, Präsidentin Frankreichs zu werden, wachsen. Was würde ihre Wahl für die Europäische Union bedeuten?

Papier: Wenn Marine Le Pen französische Präsidentin wird, besteht wohl die Gefahr, dass Europa auseinanderbricht. Der Austritt Großbritanniens stellt bereits einen schweren Schlag gegen die europäische Integration dar. Ein Austritt Frankreichs, den Marine Le Pen propagiert, wäre in meinen Augen der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Der Fortbestand einer Rumpf-Union würde politisch keinen Sinn ergeben.

Sollte auch Deutschland austreten, wenn Frankreich die EU verlässt?

Papier: Für Deutschland war die Europäische Union trotz vieler Schwachstellen immer ein großer Segen. Aber wenn die Bundesrepublik im Grunde politisch alleine steht, gibt es kein Argument mehr, einen solchen Staatenverbund aufrechtzuerhalten. Ich kann mir einen Verbleib Deutschlands in einer Europäischen Union, der auch Frankreich nicht mehr angehört, nicht recht vorstellen. Deutschland und Frankreich sind essenziell für den Fortbestand dieser Gemeinschaft.

Europa ist auch vom islamistischen Terrorismus bedroht – das hat zuletzt der Anschlag in Berlin gezeigt. Die Bundesregierung antwortet mit weiteren Gesetzesverschärfungen. So sollen sogenannte Gefährder, die aus der Haft entlassen werden, elektronische Fußfesseln tragen. Ist das mehr als Aktionismus?

Papier: Festzuhalten ist: Man will den Begriff des Gefährders, der anders als der des Straftäters oder des Verdächtigen gar kein Rechtsbegriff ist, in die Rechtsordnung einführen. Ein Gefährder ist im Vorfeld der Vorbereitung, Planung und Begehung einer konkreten strafbaren Handlung angesiedelt. Das ist ein schwieriges Feld ...

... mit unüberwindbaren Hürden?

Papier: Man darf nicht an irgendwelche Gesinnungen und Religiositäten anknüpfen, sondern muss sich an feststellbare Tatsachen halten. Die Frage, wer ein Gefährder ist, wem also eine Straftat bestimmter Art zuzutrauen ist, muss auch der richterlichen Kontrolle unterliegen. Und bei der Anwendung der elektronischen Fußfessel muss strikt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Aber diese zielgerichteten Maßnahmen sagen mir eher zu als flächendeckende, verdachtslose Überwachungen aller Bürger.

Sie spielen auf die Videoüberwachung an.

Papier: Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ist der Vorschlag von Innenminister de Maizière, die Videoüberwachung auszudehnen, verständlich. Gleichwohl habe ich erhebliche Bedenken gegen eine flächendeckende und verdachtslose Erfassung und Speicherung jedweder öffentlicher Freiheitswahrnehmung. Bei der Videoüberwachung eines Großteils der Bevölkerung sehe ich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Das soll nicht bedeuten, dass ich mich gegen eine moderate Ausweitung der Videoüberwachung auf besonders gefährliche Orte wende. Aber mir ist wichtig, dass wir Maß und Mitte wahren. Wir können nicht den gesamten öffentlichen Raum als gefährlich einstufen. Sonst droht die Totalüberwachung des öffentlichen Raums.

Was bedeutet das – sagen wir – für Weihnachtsmärkte: Ist Videoüberwachung dort geboten?

Papier: Das hielte ich in genereller Form für problematisch. Weihnachtsmärkte als solche sind ja nicht gefährdeter als viele andere Orte in Deutschland, an denen Menschen zusammenkommen. Wenn wir all diese Orte als gefährlich ansehen und eine Überwachung anordnen, sind wir schnell in einem Überwachungsstaat. Eine totale Überwachung sorgt auch nicht für absolute Sicherheit. Eher beeinflusst sie das Verhalten der vielen unbescholtenen Menschen negativ. Die unvoreingenommene Freiheitsentfaltung ist eingeschränkt, wenn die Menschen wissen oder damit rechnen müssen, dass ihr Verhalten festgehalten und irgendwann wieder dargestellt werden kann. Das ist das Risiko eines Überwachungsstaats, den wir auf jeden Fall verhindern müssen.