Bukarest. Der umstrittene Korruptions-Erlass ist vom Tisch, aber die Rumänen protestieren trotzdem weiter. Wird sich die Regierung halten können?
Mit dem größten Massenprotest der Landesgeschichte haben Hunderttausende Rumänen ihre sozialliberale Regierung unter Handlungsdruck gesetzt. Fast eine halbe Million Menschen gingen bei landesweiten Protesten am Sonntagabend auf die Straße, doch Ministerpräsident Sorin Grindeanu schließt einen Rücktritt bislang mit Nachdruck aus.
„Ich trete nicht zurück“, bekräftigte Grindeanu im Sender Antena3. Allenfalls das Parlament könne ihn entmachten, doch dort sei ihm eine Mehrheit sicher, sagte er. Bislang ist völlig unklar, wie die Regierung die innenpolitische Krise beenden will.
Große Demonstrationen in mehr als 20 Städten
Für die nächsten Tage wurden in den sozialen Netzwerken weitere Proteste angekündigt. Allein in der Hauptstadt Bukarest gingen etwa 250.000 Menschen auf die Straße. Mit Taschenlampen und leuchtenden Mobiltelefonen bildeten sie ein eindrucksvolles Lichtermeer.
Die Metrostation am Platz des Regierungssitzes wurde geschlossen, um Gedränge in den Unterführungen zu vermeiden. Viele junge Leute waren aus der Provinz zum Protest nach Bukarest gereist. Sie nutzten dabei einen neuen Regierungsbeschluss, demzufolge Studenten kostenlos Eisenbahn fahren dürfen. In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils Tausenden oder sogar Zehntausenden Demonstranten.
Grindeanu Parteichef steht selbst vor Gericht
Dass Grindeanu zuvor eine umstrittene Eilverordnung zurückgenommen hatte, die den Kampf gegen Korruption einschränkte, scheint die Regierungsgegner nicht groß zu beeindrucken. Grindeanu hatte die Verordnung in einer Dringlichkeitssitzung des Kabinetts aufgehoben und umgehend im Gesetzblatt veröffentlichen lassen.
Sie sah vor, dass Amtsmissbrauch nur noch dann strafrechtlich verfolgt wird, wenn die Schadenssumme mindestens 200.000 Lei (etwa 45.000 Euro) beträgt. Diese Regelung begünstigte den Vorsitzenden der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, der wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch mit einem Schaden von 100.000 Lei vor Gericht steht.
Nationalhymne, Vaterunser, Kniefall
In Bukarest und anderen Städten sangen die Menschen die Nationalhymne. Im westrumänischen Timisoara (Temeswar) und im nordostrumänischen Iasi beteten die Demonstranten das Vaterunser im Chor. In Ploiesti, 60 Kilometer nördlich von Bukarest, knieten rund 3000 Demonstranten vor dem Sitz der regierenden Sozialdemokraten (PSD) nieder, um den Rücktritt der Regierung zu erflehen.
Vor dem Amtssitz des bürgerlichen Staatspräsidenten Klaus Iohannis kam es zu einer kleinen Gegendemonstration. Die etwa 2000 Anhänger der Regierung warfen Iohannis vor, das Land zu spalten. Der Präsident hatte ebenfalls eine Aufhebung der auch international scharf kritisierten Verordnung verlangt. (dpa)