Deutschland soll Türkei 500 Flüchtlinge pro Monat abnehmen
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Von Gerd Höhler
Ankara. Angela Merkel besucht erstmals seit dem Putschversuch die Türkei. Die Liste strittiger Themen von Flüchtlingen bis Demokratie ist lang.
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 ist nichts mehr Routine im deutsch-türkischen Verhältnis. Das zeigte sich auch beim Kurzbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Ankara am Donnerstag. Am Vormittag traf Merkel zunächst mit Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammen, danach stand eine Begegnung mit Ministerpräsident Binali Yildrim auf dem Programm. Die wichtigsten Themen der Gespräche waren die Flüchtlingspolitik, die Entwicklung im Syrienkrieg und der Kampf gegen den Terror. Aber auch die innenpolitische Entwicklung in der Türkei kam zur Sprache.
Es war der erste Besuch Merkels in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch, der sich immer mehr als der tiefste Einschnitt in der jüngeren Geschichte des Landes erweist – auch weil er Erdogan den Vorwand lieferte, mit noch größerer Härte gegen seine Kritiker vorzugehen und seine Pläne für ein Präsidialsystem voranzutreiben. Die Kanzlerin mahnte im Gespräch mit Erdogan die Einhaltung von Freiheitsrechten an.
Erdogan verteidigte seine Pläne für ein Präsidialsystem
Es sei wichtig, dass bei der Aufarbeitung des Putschversuchs die Meinungsfreiheit beachtet und die Gewaltenteilung gewahrt würden, sagte Merkel nach dem zweieinhalbstündigen Treffen. „Opposition gehört zur Demokratie dazu“, unterstrich die Kanzlerin. Sie habe mit dem türkischen Präsidenten auch erörtert, dass bei der für Anfang April geplanten Volksabstimmung über die Verfassungsänderung Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eingesetzt werden könnten. Erdogan verteidigte seine Pläne für ein Präsidialsystem. Von einer Aufhebung der Gewaltenteilung könne keine Rede sein.
An kontroversen Themen gab es keinen Mangel während dieses Besuchs. Der fragile Flüchtlingspakt, den die EU im März 2016 unter maßgeblichem Einsatz Merkels mit der Türkei ausgehandelt hatte, hat sich zwar aus europäischer Sicht bewährt. Der Flüchtlingsstrom aus der Türkei zu den griechischen Inseln ist deutlich zurückgegangen. Aber immer wieder kommen aus Ankara Drohungen, das Abkommen aufzukündigen.
Die Türkei wirft der EU vor, sie halte versprochene Finanzhilfen für die Versorgung syrischer Flüchtlinge zurück. Auch die Kontroverse um die versprochene Visumfreiheit steht weiter im Raum. Die EU fordert eine Entschärfung der türkischen Anti-Terror-Gesetze, was Ankara aber mit Hinweis auf die Sicherheitslage ablehnt.
Merkel bescheinigte der Türkei am Donnerstag große Anstrengungen bei der Aufnahme von drei Millionen Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. Von den vereinbarten drei Milliarden Euro Unterstützung seien inzwischen 2,2 Milliarden projektgebunden festgelegt und davon 750 Millionen Euro ausgegeben. Deutschland werde sich weiterhin an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen, versicherte Merkel. „Wir haben jetzt beschlossen, 500 Flüchtlinge auch in jedem Monat zu nehmen, um auch hier in bestimmten Fällen hilfreich zu sein“, sagte sie, ohne Details zu nennen.
Neue Forderungen sorgen für zusätzliche Spannungen
Neben der Flüchtlingsfrage ist seit dem Putschversuch neuer Konfliktstoff hinzugekommen. Die willkürlich wirkenden „Säuberungen“, mit denen Staatschef Erdogan seither gegen mutmaßliche Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen, aber auch gegen Menschenrechtler, kritische Journalisten und kurdische Politiker vorgeht, stoßen in Berlin auf Kritik. Dazu kommen offene Fragen zur Rolle des aus der Türkei gesteuerten Islamverbandes Ditib bei der Ausspähung von Erdogan-Kritikern in Deutschland. Merkel warnte nach dem Treffen mit Erdogan, der deutsche Rechtsstaat werde gegen Bespitzelungen vorgehen.
Derweil sorgen türkische Forderungen nach Auslieferung geflüchteter Diplomaten und Soldaten für zusätzliche Spannungen. Etwa 40 Botschaftsmitarbeiter und ranghohe türkische Nato-Offiziere suchen aus Angst vor Verfolgung in ihrer Heimat in Deutschland Asyl. Der türkische Vizepremier Veysi Kaynak beschuldigte Deutschland, es empfange „jede Art von Terroristen, die in der Türkei eine Plage sind, mit offenen Armen“.
Tourismus in der Türkei leidet deutlich unter den Terroranschlägen
Schon Erdogan hatte kürzlich den Vorwurf erhoben, Deutschland sei „ein sicherer Hafen für Terroristen“. Solche Anwürfe zeigen: Die Kanzlerin bewegte sich bei ihrem Türkeibesuch in einer Art politischem Minenfeld. Erdogan kann allerdings nicht daran gelegen sein, die Spannungen auf die Spitze zu treiben. Wirtschaftlich geht sein Land durch schwere Turbulenzen: Investoren und Anleger ziehen sich zurück.
Der zunehmend autoritäre Kurs des Staatschefs alarmiert nicht nur die Opposition, die das Land auf dem Weg in eine Diktatur sieht. Auch die Wirtschaft ist verunsichert. Man sorgt sich um die Rechtssicherheit. Hinzu kommt die Bedrohung durch den Terror. Eine Welle von Anschlägen hat der Tourismuswirtschaft im vergangenen Jahr ein Minus von rund 30 Prozent beschert.
Opposition hatten den Zeitpunkt der Reise kritisiert
Die EU ist der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt für die türkischen Exporteure. Eine besonders wichtige Rolle spielen die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland. Rund 6700 deutsche Unternehmen sind in der Türkei tätig. In der Flüchtlingspolitik mag die EU auf die Türkei angewiesen sein, in der Wirtschaftspolitik braucht dagegen die Türkei Europa – und insbesondere Deutschland.
Das ist Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Türkische Oppositionspolitiker hatten den Zeitpunkt der Merkel-Reise kritisiert und die Befürchtung geäußert, Erdogan werde den Besuch der Kanzlerin als internationale Unterstützung im Wahlkampf für das bevorstehende Verfassungsreferendum ausschlachten. Um dem vorzubeugen und sich aus erster Hand über die Lage der Opposition zu informieren, wollte Merkel am Donnerstagabend nach dem Ende des offiziellen Besuchsprogramms mit Vertretern der beiden größten Oppositionsparteien, der Mitte-Links-Partei CHP und der prokurdischen HDP, zusammentreffen. Einige Oppositionelle wären wohl besonders gern zu dem Gespräch mit Merkel gekommen, waren aber verhindert: Elf Abgeordnete der HDP sitzen wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ in Untersuchungshaft.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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