Abuja. Syrien, Irak und Afghanistan bestimmen die Schlagzeilen. Im Schatten dieser Konflikte spielt sich aber in Nigeria eine Katastrophe ab.

Hunger, Flucht, Tod – nach Einschätzung von Experten in Nigeria, Niger, dem Tschad und Kamerun sind 9,2 Millionen Menschen in der Region um den Tschadsee dringend auf Nahrung und Wasser angewiesen. Rund eine halbe Million Kinder leiden nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) unter Mangelernährung.

Von den Betroffenen benötigen zudem 2,7 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen der Terrororganisation Boko Haram und Regierungsarmeen befinden, Notunterkünfte. Laut UN handelt es sich um die schwerste humanitäre Krise in Afrika.

„Wir haben Städte ohne Kinder gesehen“

Vor allem das Leben der extrem mangelernährten Kinder sei in Gefahr, wenn sie nicht rasch Hilfe bekämen, erklärte Toby Lanzer, der bei den UN für die humanitäre Hilfe in der Sahel-Zone zuständig ist. „Wir haben Dörfer und Kleinstädte gesehen, die total zerstört waren, die zwei oder drei Jahre lang komplett von der Außenwelt abgeschnitten waren“, so Lanzer. „Wir hatten Orte, wo es keine zwei, drei oder vier Jahre alten Kinder mehr gab, weil sie gestorben sind.“

Die Folgen des Terrors von Boko Haram

Seit Jahren bedroht die islamistische Terrorgruppe Boko Haram die Menschen in der Region. Bei Anschlägen und Angriffen von Boko Haram wurden seit 2009 im Nordosten Nigerias mindestens 14.000 Menschen getötet. Die Gruppe kontrollierte zeitweise eine Fläche etwa von der Größe Belgiens. Viele Gebiete wurden jedoch seit letztem Jahr vom Militär zurückerobert.

Toby Lanzer, UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in der Sahel-Zone.
Toby Lanzer, UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in der Sahel-Zone. © dpa | Rick Bajornas

„Wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nicht einschreitet, dann wird die Krise noch schlimmer. Es wird dann noch mehr kosten, der Krise beizukommen“, mahnt UN-Experte Lanzer. Er sieht darin auch ein Bekämpfung von Fluchtursachen: Wenn Menschen vor Ort keine Zukunft mehr hätten, würden künftig immer mehr von ihnen nach Europa fliehen, warnt er.

„Die Menschen sind ausgehungert“

„Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region sind Hunderttausende Menschen teilweise seit mehreren Jahren nicht mehr in der Lage, ihre Felder zu bestellen“, heißt es in einer Mitteilung von Caritas International, die zu Spenden aufruft. In einigen Regionen im Norden von Nigeria liege die Rate der Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren bei über 50 Prozent: „Das ist vergleichbar mit dem Ausmaß in Somalia im Jahr 2011, als von den Vereinten Nationen eine Hungersnot ausgerufen wurde.“

„Die Menschen kommen nach tagelangen Märschen ausgehungert und durstig bei unserer Klinik an“, schildert auch Frauke Ossig, die Nothilfekoordinatorin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Bundesstaat Borno. „Am schlimmsten ist es, wenn Menschen erschüttert erzählen, welche Familienmitglieder sie nicht mitnehmen konnten, weil diese schon zu schwach zum Laufen waren.“ (W.B./dpa)