Berlin. Kanzlerkandidat Martin Schulz liegt in einer Umfrage gleichauf mit Angela Merkel. Doch auch Peer Steinbrück hatte zuerst gute Werte.

Für einen Moment erlaubte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Einblick in seine Gefühlswelt: „Manchmal ist man irritiert, wie viele Leute klatschen, wenn man zurücktritt“, sagte Gabriel am Donnerstag im Bundestag bei seinem letzten Auftritt als Chef des Wirtschaftsressorts. Die Erlösung über seinen Entschluss, fügte er mit Blick auf die SPD hinzu, sei „spürbar, auf beiden Seiten.“

Der scheidende SPD-Chef, der am Freitag sein neues Amt als Außenminister antritt, hat durchaus Grund zur Nachdenklichkeit: Nicht nur in Teilen der SPD herrscht plötzlich Aufbruchstimmung. Auch in neuen Umfragen begrüßen die Bundesbürger mehrheitlich die Entscheidung Gabriels, auf die Kanzlerkandidatur und den SPD-Vorsitz zu verzichten und Martin Schulz beides zu überlassen. Im ARD-Deutschlandtrend erklären 79 Prozent der Bürger, sie fänden es gut, dass Gabriel Schulz den Vortritt gelassen habe.

Schulz und Merkel gleichauf

Wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte, lägen Schulz und Merkel jetzt gleichauf: 41 Prozent der Befragten würden sich für Merkel entscheiden, ebenso viele würden Schulz wählen. „Demoskopisch ist Schulz für Merkel gefährlicher als Gabriel“, sagte der Meinungsforscher Richard Hilmer. Schulz steht für eine Erneuerung der Partei, es gebe jetzt für die SPD die Hoffnung, wieder „in Richtung 25 Prozent“ der Stimmen zu gehen.

Doch sicher ist das keineswegs. „Ob das trägt, muss man abwarten“, sagte etwa Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner. Das Risiko, dass die Umfragewerte zurückgingen, sobald sich Schulz positioniere, sei vorhanden. Denn der Kanzlerkandidat sei nur als Präsident des Europaparlaments bekannt. In Deutschland habe er noch kein Profil. Güllner erinnert daran, dass vor der Bundestagswahl 2013 der SPD-Kandidat Peer Steinbrück demoskopisch gut dastand.

Gabriel wechselt ins Auswärtige Amt

Das gibt auch vielen in der SPD zu denken – Führungsleute warnten lange davor, auf Schulz nur wegen der besseren Umfragen zu setzen. Steinbrück lag vor seiner Nominierung als Kanzlerkandidat in Umfragen lange fast gleichauf mit der Kanzlerin, zeitweise sogar vor ihr. Der ARD-Deutschlandtrend zeigte im November 2011: 45 Prozent der Befragten würden bei einer Direktwahl des Kanzlers für Steinbrück stimmen, 42 Prozent für Merkel.

Kaum war Steinbrück nominiert, gingen seine Umfragewerte in den Keller, was auch an persönlichen Fehlern des Kandidaten lag. Am Ende verlor er die Wahl haushoch. Am Freitag wechselt Gabriel als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier (SPD), der im Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden soll, ins Auswärtige Amt. Brigitte Zypries, bisher parlamentarische Staatssekretärin, wird Bundeswirtschaftsministerin.

Entscheidung des SPD-Präsidiums

Ob Gabriel die personellen Veränderungen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorab mitgeteilt hat, ist nicht bekannt. Notwendig war es nicht. Zuständig für die Besetzung der ihnen zugesprochenen Ministerposten sind in Koalitionen ohnehin die jeweiligen Parteien. Kritiker werfen Gabriel allerdings vor, er habe hier eigenmächtig gehandelt.

Im „Stern“-Interview nahm er die Entscheidung des SPD-Präsidiums, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeweiht war, vorweg. Gabriel hatte gesagt: „Ich werde Deutschlands neuer Außenminister.“