Stuttgart. Die FDP verbreitet auf dem Dreikönigstreffen Optimismus. Scheitert aber der Wiedereinzug in den Bundestag, geht es um ihre Existenz.

„Bereit für 2017“ steht über der Bühne der Staatsoper. Das Dreikönigstreffen in Stuttgart ist das liberale Hochamt zum Anfang jedes Jahres. In diesem Schicksalsjahr der FDP ist es gleichzeitig der Start in den wichtigsten Bundestagswahlkampf in ihrer Geschichte: Parteichef Christian Lindner ist aufgekratzt, verbreitet Angriffslust. Oliver Luksic, der junge Spitzenkandidat aus dem Saarland spricht sogar vom „Reformationsjahr der Liberalen“. Doch trotz stabiler Umfragewerte ist noch längst nicht sicher, ob der FDP das Comeback im Bundestag gelingt.

„Man mag die FDP unterstützen oder ablehnen“, ruft Lindner, aber nach mehr als drei Jahren ohne die FDP im Bundestag sei klar: „Deutschland hat nur eine liberale Partei – und das sind die Freien Demokraten.“ Doch so selbstbewusst der Parteichef auch klingt – satte Siegesgewissheit sieht anders aus. Im Gegenteil: In der Parteispitze ist die Sorge vor Übermut mit Händen zu greifen. Allein im letzten Jahr gab es 4000 Neueintritte, in Umfragen liegt die Partei stabil über fünf Prozent. Mancher in der Partei hat deswegen nun das Gefühl: Die Trendwende ist geschafft, die FDP ist noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen.

Vernunft ist das neue Lieblingswort der Liberalen

In der Parteispitze beobachten sie diese Stimmung genau: „Es waren drei harte Jahre. Aber wir gewinnen wieder Wahlen, die Umfragen sehen gut aus – da ist es normal, wenn mancher ein erleichtertes ,Pfff‘ ausstößt und meint, wir wären schon am Ziel“, sagt der liberale EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff dieser Zeitung. „Das ist menschlich nachvollziehbar, aber viel zu früh.“ Und brandgefährlich für die FDP. „Das Ding ist noch nicht gegessen“, warnt auch FDP-Generalsekretärin Nicola Beer am Rande des Treffens in Stuttgart.

Heikel ist auch die Sache mit den Posten: Natürlich machen sie sich in der Parteiführung Gedanken darüber, was kommt, wenn die FDP im Herbst wieder eine Bundestagsfraktion bilden sollte. Wer sie leitet und wer welches Fachgebiet beackert – und wer im Ernstfall Minister werden könnte. Christian Lindner gilt als Fraktionschef gesetzt, der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki als Innen- und Rechtsexperte. Auch Nicola Beer wird eine wichtige Rolle spielen – genauso wie Katja Suding aus Hamburg, die mit ihrem Erfolg bei der Bürgerschaftswahl 2015 der Partei neuen Mut eingeflößt hatte. Doch die meisten würden sich lieber auf die Zunge beißen, als jetzt über Posten zu reden – das Signal, ahnen sie, wäre verheerend.

Die Liberalen wollen Mut und Zuversicht verbreiten

Stattdessen reden sie lieber über das V-Wort, das neue Lieblingswort der Liberalen: Vernunft, vernünftige Politik – mit diesem Etikett wollen die Freien Demokraten die Menschen in Zeiten von Terrorangst und Abstiegssorgen für sich gewinnen. Sie möchten Mut verbreiten, Zuversicht und Selbstvertrauen. „Wir müssen uns der Ängstlichkeit entgegenstellen“, fordert Lindner seine Parteifreunde in Stuttgart auf. „Überall wird mit Angst Politik gemacht – vor Überfremdung, vor Chlorhühnchen, vor Terror.“ Viele Deutsche, glaubt Lindner, hätten in der Flüchtlingspolitik eine „Stimme der Vernunft“ vermisst.

Vernunft – das heißt in den Augen der Liberalen: Begrenzung des Zuzugs, klare Regeln für Zuwanderer, das Ganze aber, ohne Angst und Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Lindners Problem bei solchen Sätzen: Sie könnten heute von maßvollen Politikern aller Parteien bis tief in die Union hinein kommen. Und: Vernunft ohne Emotionen – das zieht im Wahlkampf nicht. Aber deshalb die Vernunft aufgeben? Dann lieber die Emotionen: „Wir stehen nun mal weder für Volksgemeinschaft und Nationalismus, noch für Klassenkampf“, sagt einer aus der Parteispitze.

Ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl sind die Liberalen scharf in der Diagnose, aber unscharf bei den Therapievorschlägen. Beispiel Rechtsstaat: „Wehe, du gibst deine Steuererklärung zu spät ab, wehe, du trennst den Müll nicht, wehe, die Parkuhr ist abgelaufen“, beklagt Lindner die angebliche Bevormundung der Bürger, während der Staat gleichzeitig Terroristen wie Anis Amri nicht beikommen könne. Doch was die Liberalen konkret verändern würden, sagt er nicht.

Die Liberalen wollen keine schärferen Gesetze – sondern mehr Polizisten

Ein anderes Beispiel, die innere Sicherheit. Die Liberalen sind gegen die Ausweitung der Videoüberwachung, warnen vor einem Überwachungsstaat und erklären, Videokameras hätten noch keinen Terroranschlag verhindert. Umgekehrt aber müssen sie einräumen, dass es Videokameras waren, mit deren Hilfe in der Vergangenheit zum Teil erfolgreich nach Tätern gefahndet wurde. Oder: Sie wollen keine schärferen Gesetze, sondern mehr Personal, allein 15.000 zusätzliche Polizisten. Für eine Partei, die bislang eher den schlanken Staat gefordert hat und gar nicht genug öffentliche Stellen abbauen konnte, ist die Forderung nach mehr Staat eine 180-Grad-Wende.

Besorgt schauen die Liberalen auf die wirtschaftliche Lage des Landes – trotz guter Wirtschaftsdaten und historisch niedriger Arbeitslosigkeit. Lindner versucht mit schmissigen Begriffen („Wohlstandshalluzination“) zu erklären, dass das alles nur gut läuft, solange Zinsen und Ölpreis niedrig sind und die Babyboomer noch nicht in Rente. Doch der Rettungsplan der Liberalen bleibt vage – eine der wenigen konkreten Ideen: Lindner will den Staatsanteil an der Deutschen Post verkaufen, um mit dem Erlös den Glasfaserausbau in ländlichen Gebieten zu finanzieren.

Auf zwei Parteitagen im April und kurz vor der Wahl im September wollen die Liberalen ihr Profil weiter schärfen. Und wenn es trotzdem nicht klappt mit dem Comeback? „Es gibt keinen Plan B“ sagt Alexander Graf Lambsdorff. Er trägt einen Anstecker am Jackett. Darauf steht: German Mut.