Brüssel. Syrien, Türkei, Flüchtlinge: In wichtigen Punkten hat die EU nur Appelle zu bieten. Die Russland-Sanktionen werden noch mal verlängert.

Nach dem Brexit-Referendum Ende Juni war der Schock in der EU groß. Künftig wolle man sich zusammenraufen und ein offenes Ohr für die Sorgen der Bürger haben, gelobten die 27 Staats- und Regierungschefs von Rest-Europa. Die tief zerstrittene Gemeinschaft werde künftig liefern, hieß es Mitte September auf dem EU-Gipfel in Bratislava. Doch beim Spitzentreffen am Donnerstag in Brüssel fällt die Bilanz in wichtigen Punkten erneut ziemlich dürftig aus.

Syrien

Die größte Niederlage ist schon vor Beginn des Gipfels bittere Realität. Die EU, stolzer Bannerträger westlicher Zivilisation, hat dem Bürgerkrieg in Syrien und zuletzt dem Untergang Aleppos hilflos zugesehen. Der Bürgermeister des Ostteils der geschundenen Stadt, Brita Hagi Hasan, ist nach Brüssel gekommen, um den EU-Führern ins Gewissen zu reden. 50.000 Menschen seien vom Tode bedroht. „Ich bitte Sie, durch die Öffnung eines humanitären Korridors die Überlebenden, unsere Frauen und Kinder zu retten.“ Es ist ein Appell an Ohnmächtige.

Der Gipfel-Vorsitzende Donald Tusk empfängt den unangekündigten Gast. „Das Letzte, was Ihre Leute brauchen, sind weitere Worte der Sympathie“, sagt der Pole. „Es geht um Taten.“ Doch außer moralischer Unterstützung hat die EU nicht viel zu bieten. Frankreichs Präsident François Hollande plädiert für „ein humanitäres Ultimatum“ an das Assad-Regime in Damaskus und dessen Verbündete Russland und Iran.

Türkei

Trotz des Unmuts über die autoritären Bestrebungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan – der Gipfel hält am Flüchtlingsabkommen mit Ankara „in allen Aspekten“ fest. Zu denen gehört allerdings auch die Intensivierung der Beitrittsverhandlungen. Doch davon ist die EU angesichts der Demontage des Rechtsstaats in der Türkei abgerückt. Wie weit, ist strittig. Das Europa-Parlament und die Regierung Österreichs wollen die Verhandlungen bis auf Weiteres stornieren. Die große Mehrheit möchte sich damit begnügen, keine weiteren „Kapitel“ (Sachgebiete) in Angriff zu nehmen.

Flüchtlinge

Am Morgen setzt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Präsidenten Nigers zusammen. Sein Land zählt zu den fünf afrikanischen Staaten, mit denen die EU „Migrationspartnerschaften“ abgeschlossen hat – Hilfe im Gegenzug für die Eindämmung der Auswanderung.

Doch die Verteilung der Zuwanderungslasten in der EU kommt nicht voran. Weil sich mehrere osteuropäische Länder gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperren, werden Wege gesucht, wie sie sich in anderer Form – durch Geld oder Abstellung von Personal – an der Aufnahme beteiligen sollen.

Verteidigung

Die EU will endlich Ernst machen mit ihrer militärischen Selbstertüchtigung. Die Außen- und Verteidigungsminister und die Brüsseler Kommission haben dazu ausführliche Pläne erarbeitet, der Gipfel erteilt seinen Segen. „Unsere Schwäche in den vergangenen Jahren hat damit zu tun, dass wir keine gemeinsame Verteidigungspolitik entwickelt haben“, erläutert der belgische Premier Charles Michel. Syrien, das Chaos in Libyen und die Trump-Wahl in den USA zeigten, dass Europa auch eine gemeinsame Industriepolitik für den Rüstungssektor brauche.

Ukraine

Das einzige Thema, bei dem vom Gipfel ein Fortschritt erwartet wurde: Wie kann man den Niederländern die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit Kiew schmackhaft machen, obwohl sie im April dagegen gestimmt haben? Antwort: Mit einer Gipfel-Erklärung. Darin gibt der Europäische Rat Garantien ab. Das Abkommen führe nicht zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine, verschaffe Ukrainern keinen Zugang zum EU-Arbeitsmarkt, enthalte keine Verpflichtung zum militärischen Beistand.

Russland-Sanktionen

Schon vor dem Gipfel hatten sich die EU-Regierungen verständigt, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verlängern. Der Gipfel hat das formalisiert. Die Zwangsmaßnahmen bleiben mindestens bis zum Sommer in Kraft, weil Moskau seinen Verpflichtungen nach dem Minsker Abkommen weiter nicht nachkommt. Unklarheit herrscht bei der Frage, ob Russland als Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit zusätzlichen Sanktionen bestraft werden soll.

Brexit

Hier ist die EU vergleichsweise gut aufgestellt. Es bleibt bei der Devise, dass über den Scheidungsvertrag erst verhandelt wird, wenn London die Austrittsabsicht offiziell nach Brüssel gemeldet hat. Das soll bis Ende März passieren. Bei einem Dinner ohne Premierministerin Theresa May wollten die anderen eine Botschaft zum Verfahren verabschieden. Tenor: Wir wären dann so weit, können jederzeit losverhandeln. Allerdings ist das EU-Parlament unzufrieden, das den Trennungsvertrag am Ende billigen muss. Es verlangt eine Mitwirkung schon während der Verhandlungen. So nicht, warnt der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD).