Rom/Brüssel. Nach dem Scheitern von Regierungschef Renzi verliert Europa einen verlässlichen Verbündeten. Sein Nachfolger erbt ein gespaltenes Land.

Es ist ein neuer Stresstest für Europa: Nach dem gescheiterten Referendum in Italien und der Rücktrittsankündigung von Regierungschef Matteo Renzi ist offen, wer die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone in Zukunft führen wird. In Brüssel waren die Finanzminister am Montag deswegen darum bemüht, nicht zusätzlich für Unsicherheit zu sorgen. Es gilt die Devise: Solange die Finanzmärkte Ruhe bewahren, werden wir keine Unruhe herbeireden.

Am Montagabend wollte Renzi seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella einreichen. Dann bat ihn Mattarella offenbar, noch im Amt zu bleiben, bis das Haushaltsgesetz für das kommende Jahr durchs Parlament gegangen ist. Das teilte der Präsidentenpalast auf Twitter mit. Zuvor hatten Medien berichtet, Renzi sei ohne Erklärung vor dem Palast wieder abgefahren.

Wie es jetzt im hoch verschuldeten Italien mit seinen Krisenbanken weitergeht, liegt in den Händen des Staatsoberhaupts. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Präsident eine Übergangsregierung einsetzt. Im Gespräch für Renzis Nachfolge sind der amtierende Finanzminister Pier Carlo Padoan, der seine Teilnahme am Treffen der Euro-Finanzminister am Montagmorgen in Brüssel absagte, und der Präsident des italienischen Senats, Pietro Grasso. Außerdem wird Verkehrsminister Graziano Delrio genannt.

Euro sackte zunächst ab

Weil Finanzminister Padoan in Rom geblieben war, stimmte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor Beginn der Sitzung der Eurogruppe telefonisch mit seinem Amtskollegen ab. Tenor: Jawohl, an den Märkten bleiben sie locker. Der Euro war zunächst zwar leicht abgesackt, nachdem Renzi den Rücktritt angekündigt hatte. Dann aber ging es schon wieder aufwärts. Auch die Einbußen an den Aktienbörsen hielten sich in Grenzen. Von Panik keine Spur. Also fand Schäuble: „Es gibt keinen Grund, von einer Euro-Krise zu reden.“

Dem konnten die Kollegen nur beipflichten. „Wenn das die Markt-Reaktionen sind, dann erübrigen sich zusätzliche Maßnahmen“, erklärte Jeroen Dijsselbloem, Finanzminister der Niederlande und Chef der Eurogruppe, des Zusammenschlusses der Länder mit der gemeinsamen Währung. Auch EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici fürchtete keine neue Euro-Krise: „Ich glaube, wir haben die Mittel, jeder Art von politischem Schock zu widerstehen.“

Krachende Mehrheit gegen Renzi

Dabei lag das Ergebnis der Volksabstimmung in Italien hart an der Alarmschwelle. Dass Renzi das Referendum verlieren würde, schien zwar ausgemacht – zu deutlich hatten die Meinungsforscher das No-Lager in Front gesehen. Am Ende aber stimmte sogar eine krachende Mehrheit von 59 Prozent der Italiener gegen Renzi und seine Reformpläne – und sorgte international für Enttäuschung, auch in Berlin: Der italienische Regierungschef habe „das Richtige und Notwendige getan, aber er ist dafür von den Wählern nicht belohnt worden“, bedauerte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Vor allem im armen Süden des Landes stimmten die Menschen mit „Nein“. Auf Sizilien beispielsweise gab es weniger als 30 Prozent für das „Ja“. Die meiste Zustimmung gab es in Südtirol, aber auch in der heimatlichen Toskana kam Renzi klar über 50 Prozent. Gegen den Regierungschef stimmte der in langen Jahren der Rezession verarmte Mittelstand, der keine Chancen für seine Kinder und Enkel mehr sieht. Junge Menschen ohne Arbeit und ohne Aussicht auf eine in Italien als oberstes Ziel geltende Festanstellung liefen in Scharen Beppe Grillo zu.

Viele Italiener sind frustriert

Wie kein anderer schreit der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung den Frust vieler Italiener über eine angeblich durch und durch korrupte Politikerkaste hinaus. Derweil fühlten sich Arbeiter, die zum traditionellen Wählerpotenzial der Sozialdemokraten gehören, von den Parolen von Lega-Nord-Chef Matteo Salvini angezogen, der Sicherheit und ein Ende des Flüchtlingszustroms verspricht.

Viele italienische Wähler stimmten beim Referendum aber auch mit „Nein“, um den Reformen eine Absage zu erteilen, mit denen Renzi Italien wieder wettbewerbsfähig machen und zum Hauptakteur in Europa machen wollte. Statt des gewünschten Endes des angeblich von Brüssel aufgezwungenen Sparkurses drohen nun jedoch zunächst Steuererhöhungen. So wird die nächste Regierung gezwungen sein, das Gegenteil von dem zu tun, was die Mehrheit der Wähler erhofft hatte.

Renzi war umstritten

So umstritten Renzi zu Hause war – so geschätzt war er in Brüssel: Zwar hatte der Sozialdemokrat mitunter als oberforscher Dampfplauderer die anderen irritiert und bei Gipfeln mit Alleingängen genervt. Doch gilt er als verlässlicher Europäer und als jemand, der zu Hause unerlässliche Reformen anpackt – besonders verdienstvoll in einem politischen System mit ausgeprägtem Beharrungsvermögen. „Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll“, lobte etwa das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft Renzis Reformbilanz.

Was aber nichts daran ändert, dass sich Italien, von exorbitanten Staatsschulden und einer Bankenkrise beschwert, keine lange Phase politischer Unsicherheit leisten kann. „Die Probleme von heute sind dieselben wie die gestern“, sagte Eurogruppenchef Dijssel­bloem. Er habe dem italienischen Finanzminister telefonisch zugestanden, dass gerade jetzt nicht die Stunde weiterer Maßnahmen gegen das Schuldenproblem sei. Die Eurogruppe fordere aber die Italiener auf, entsprechende Schritte „in naher Zukunft“ zu tun.

Fünf-Sterne-Bewegung fordern Neuwahlen

Schäuble bekräftigte: „Italien muss den Weg, den der Ministerpräsident Renzi in den letzten drei Jahren gegangen ist, fortsetzen.“In Italien sehen das viele anders. Die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung forderte bereits Neuwahlen. „Die Italiener sollten schnellstens zur Wahl gerufen werden“, schrieb Anführer und Starkabarettist Beppe Grillo in seinem Blog. Auch der politisch tot geglaubte ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi sieht eine Chance für eine Rückkehr an die Macht.

„Nur ich bin inder Lage, die Stimmung der Leute einzufangen“, glaubt der Medienunternehmer. Und auch die rechtspopulistische Lega Nord schreibt sich den Sieg über Renzi auf die Fahnen. „JP Morgan, die Bundesregierung und die EU-Kommission sind bei den Italienern von heute an nicht mehr erwünscht“, strahlt Lega-Nord-Chef Salvini.