Berlin. In „urbanen Gebieten“ dürfen Häuser nach einem Gesetzentwurf höher und enger gebaut werden. Es wird mehr Lärm auf Sportplätzen erlaubt.

Ob in Millionenmetropolen, Groß- oder Universitätsstädten: Immer mehr Menschen zieht es in Deutschland in die Städte. Die Immobilienpreise klettern dort längst überdurchschnittlich, günstige Mietwohnungen sind knapp. Um die Situation zu entspannen und Stadtplanern mehr Möglichkeiten für Neubauten zu ermöglichen, bringt Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) jetzt eine umfangreiche Novelle des Baurechts auf den Weg.

Künftig dürfen Kommunen sogenannte „urbane Gebiete“ schaffen, in denen Wohnen, Arbeiten und Freizeit noch stärker kombiniert werden können, als es heute in Mischgebieten möglich ist. So können dort Wohnhäuser höher und enger gebaut werden. Es darf dort auch mehr Lärm geben. Auch Ferien- und Zweitwohnungen sollen möglich sein, wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, der dieser Redaktion vorliegt.

Besondere Regeln für „urbane Gebiete“

„In absehbarer Zeit werden jährlich 350.000 zusätzliche Wohnungen benötigt“, begründet Hendricks den Vorstoß. „Viele Städte sind jetzt schon am Limit. Sie brauchen Wachstumsperspektiven und vor allem mehr bezahlbaren Wohnraum.“

Die Baurechtsnovelle soll an diesem Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Bundestag und Bundesrat müssen dem Entwurf zustimmen. Das Ministerium will durchsetzen, dass die Gesetzesnovelle spätestens im Sommer 2017 in Kraft tritt. Die Planungen im Detail:

Jede Kommune kann selbst bestimmen, ob und wo sie die neue Kategorie von „urbanen Gebieten“ in ihren Bebauungsplänen ausweist. Im Gegensatz zu Gewerbe- und Industriegebieten oder Wohngebieten und Kleinsiedlungen ist in diesem Bereich eine gemischte Nutzung ausdrücklich erwünscht. Konkret können dort Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäude entstehen, sich Einzelhändler niederlassen, Gaststätten und Hotels.

Idealerweise gibt es in dem Gebiet auch Sportplätze sowie kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Einrichtungen. In Ausnahmen können auch Tankstellen und Vergnügungsstätten wie Diskotheken oder Nachtlokale genehmigt werden, definiert das Baurecht die neue Kategorie.

Besonders großer Bedarf an Wohnungen

Ziel ist es, mehr Wohnungsneubauten in den Innenstädten zu ermöglichen. „Wir wollen kompakte, nachhaltige Städte mit Arbeitsplätzen und kurzen Wegen“, begründet Hendricks den Vorstoß. Junge Familien, Singles, aber auch kleine Fahrradwerkstätten und Kulturclubs leben somit in enger Nachbarschaft, so die Idee.

Auch heute gibt es schon sogenannte Mischgebiete im Baurecht, in dem Leben und Arbeiten kombiniert werden. Doch die bisherigen Vorgaben empfinden viele Stadtplaner als unflexibel. Da Innenstädte besonders begehrt sind, gibt es dort besonders großen Bedarf an Wohnungen. Und mehr Wohnungen können über höhere Gebäude und eine engere Bebauung geschaffen werden.

Dafür ebnet das Gesetz den Weg. In den „urbanen Gebieten“ können 80 Prozent der Grundstücksflächen bebaut werden – bislang sind in Mischgebieten nur 60 Prozent erlaubt. Auch darf die genutzte Fläche zweieinhalbmal so groß sein wie bisher. Im Klartext: Alle Häuser dürfen höher gebaut werden. Es ist denkbar, dass Städte die Neuregelung auf Brachen oder in ehemaligen Gewerbegebieten umsetzen werden.

Mehr Lärm in städtischen Gebieten erlaubt

In diesen neu ausgewiesenen Gebieten darf es etwas lauter zugehen als in Mischgebieten. Der Lärmpegel kann tagsüber bei 63 Dezibel liegen – was einem vorbeifahrenden Auto entspricht. Nachts liegt die Obergrenze bei 48 Dezibel – dem Geräuschpegel eines leisen Radios. Die Werte liegen damit drei Dezibel höher als in Mischgebieten. Gleichzeitig bleiben sie aber dennoch deutlich unter jenen von Gewerbegebieten. Wie bei allen Baugebietskategorien müssen sich auch hier Gewerbetreibende und Haushalte an die Immissionsrichtwerte zur Vermeidung von Gesundheitsrisiken durch Lärm halten.

Geräuschpegel auf Sportplätzen darf steigen

Sport nimmt in der neuen Baukategorie eine Sonderstellung ein. Die dichter werdende Stadt dürfe nicht auf Kosten der Gesundheit und der guten Nachbarschaft gehen, argumentiert Hendricks. „Wir brauchen Sportplätze auch in der Stadt.“ In vielen Städten gibt es immer wieder Konflikte zwischen Bürgern und Vereinen, wie viel Lärm erträglich sei.

Das Bauministerium möchte die Lärmschutzrichtwerte um fünf Dezibel erhöhen – und zwar abends zwischen 20 und 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen auch nachmittags. Damit werden die Werte für die sogenannten Ruhezeiten den allgemein tagsüber geltenden Werten angeglichen. „Wer will schon, dass die Kinder zum Sportverein an den Stadtrand fahren müssen?“, fragt die Sozialdemokratin.

Neue Regeln schafft die Gesetzesnovelle auch für Vereine, die ihre Sportplätze mit Kunstrasen ausgelegt haben – und dafür oft fünfstellige Beträge investierten. Bislang verschärften sich mit der Modernisierung ihrer Anlagen ihre Lärmschutzregeln. Dies soll künftig nicht mehr gelten: Bei Altanlagen, die vor 1991 errichtet wurden, gelten auch nach dem Einbau von Kunstrasen, Flutlichtanlagen oder anderen Modernisierungen die alten, großzügigeren Lärmschutzgrenzwerte. „Der Sportbetrieb muss nicht eingeschränkt werden“, so Hendricks: „Viele Sportvereine im ganzen Land können aufatmen.“

Ferienwohnungen dürfen in Wohngebieten liegen

Darf ich eine Ferienwohnung in Wohngebieten vermieten? Die Antwort lautet, sobald das neue Recht umgesetzt ist: Ja. Zuletzt hatte es Gerichtsurteile gegeben, in denen die Rechtmäßigkeit infrage gestellt wurde. Ferienwohnungen, so die neuen Regeln, gehören zu den „nicht störenden Gewerbebetrieben“ – und sind damit sowohl in Wohn- und Mischgebieten grundsätzlich erlaubt. Allerdings bekommen die Gemeinden künftig ein Mitspracherecht. Städteplaner können entscheiden, ob im Bebauungsplan Gründe gegen eine neue Ansiedlung sprechen.

Neue Vorschriften für Zweitwohnungen

An den Küsten und auf deutschen Inseln besitzen viele Deutsche eine Zweitwohnung. Diese wird oft nur an wenigen Tagen oder einigen Wochen des Jahres genutzt. Bei vielen sind die Rollläden außerhalb der Ferienzeit heruntergelassen. So leiden beispielsweise Borkum oder Wangerooge unter sogenannten Rollladensiedlungen. Dieser Zustand wird als problematisch angesehen, da die Einheimischen gleichzeitig kaum bezahlbaren Wohnraum finden.

Mit der Novelle sollen künftig Kommunen solche Umwandlungen verhindern können – durch einen Genehmigungsvorbehalt. Auch wer seine Ferienwohnung in eine Zweitwohnung umwandeln möchte: für den gelten die neuen Regeln. Für Alteigentümer ändert sich – wie auch bei Ferienwohnungen – nichts.