Huamuxtitlán. Millionen arme Mexikaner sind auf Überweisungen ihrer Verwandten in den USA angewiesen. Der Wahlsieg Donald Trumps macht ihnen Angst.

An einem heißen November-Nachmittag sitzen die Eltern im Hof ihres kleinen Hauses und ringen noch immer um Worte. Delfina Sánchez klammert sich an ein Glas mit Guaven-Saft. Ihr Mann Francisco nestelt an seinem Käppi. „Was wird denn jetzt“, sagt Delfina mit gepresster Stimme, als erwartete sie die Antwort vom Besucher.

Delfina (59) und Francisco Sánchez (64) wissen nur eines: Nach diesem 8. November und der Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten wird nichts mehr so sein, wie es bisher war. Nicht für sie und nicht für die Mehrzahl der Menschen hier in Huamuxtitlán, einem Dorf in den rauen Bergen von Guerrero, südlich von Mexiko-Stadt. Von hier sind über die Jahrzehnte Tausende Menschen in die USA ausgewandert, um ein würdiges Auskommen zu finden.

Junge Leute ernähren von den USA aus ihre Familien in Mexiko

Wie Hunderte andere Dörfer im ganzen Land lebt auch Huamuxtitlán zwischen den Welten. Ein Leben in Mexiko, finanziert mit dem Geld aus den USA. Auch bei Familie Sánchez ist es so. Zwei der drei Söhne sind in „el Norte“, wie sie hier sagen: Oben im Norden schuften Santiago (32) und Raúl (36) seit 18 Jahren im fast 4500 Kilometer entfernten New York auf dem Bau.

18 Jahre lang hat die Mutter ihre Jungs nur am Telefon gehört, weil sie als Migranten ohne Papiere kaum einen Heimatbesuch wagen können. Der einzig regelmäßige Kontakt ist die monatliche Überweisung. 250 Dollar schicken die beiden an die Eltern. Das Geld ist im wahrsten Sinne lebenswichtig. Delfina Sánchez ist zuckerkrank und kauft von der Überweisung ihre Medikamente. „Wir haben sonst kaum Einkünfte, nur unser dritter Sohn, der hier im Dorf Handys verkauft, hilft uns“, sagt Vater Francisco.

24,5 Milliarden Dollar wurden 2015 überwiesen

„Dieser Señor Trump bringt nichts Gutes“, weiß er. Der künftige US-Präsident hat sich besonders auf die Mexikaner und alles eingeschossen, was die beiden Nachbarn und engen Partner miteinander verbindet. Seine Wahl ist für Mexiko eine Katastrophe. Jedenfalls dann, wenn er das wahr macht, was er zuvor angedroht hat: Bau einer Grenzmauer, Blockade oder Besteuerung der Auslandsüberweisungen, Deportation von Millionen Mexikanern ohne Papiere, Annullierung oder Neuverhandlung der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, die für Mexikos Wirtschaft lebenswichtig ist.

Trump könnte dem südlichen Nachbarn den ökonomischen und sozialen Kollaps bringen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas erwarte einen „Hurrikan der Kategorie 5“, hatte Zentralbankpräsident Agustín Carstens vor der Wahl noch gesagt.

Den Beginn der massiven Abschiebungen hat Trump bereits angekündigt. Zwei bis drei Millionen Migranten ohne Dokumente und „mit krimineller Vergangenheit“ sollen nach dem Amtsantritt zügig des Landes verwiesen werden. So viele straffällig gewordene Einwanderer gibt es gar nicht. Aber je größer die Konfusion, desto größer die Angst. Huamuxtitlán und ganz Mexiko fürchten den „Efecto Trump“. Schließlich leben bis zu sechs Millionen Mexikaner ohne Papiere in den USA.

Seitdem US-Importe von Mais billiger sind, müssen Bauern aufgeben

Am Tag nach der Wahl haben die Eltern Sánchez mit ihren Söhnen telefoniert. Diese versuchten zu beruhigen: „Wir wissen nicht, was passiert, warten wir ab“, sagte der jüngere der Mutter. Aber genau das fällt schwer. „Diese Ungewissheit macht uns Angst“, sagt sie mit kaum hörbarer Stimme. „Ohne die Remesas ginge es uns hier doch noch schlechter als ohnehin“, ergänzt Vater Francisco. „Remesas“ heißen in Mexiko die Auslandsüberweisungen, die so überlebenswichtig sind für Millionen von Menschen in dem Land.

Kaum 16 Jahre alt, packen Tausende Jungen jährlich ihr Bündel und gehen. Seit die NAFTA die US-Importe von Mais billiger machte, können viele Landwirte nicht mehr konkurrenzfähig produzieren. In Guerrero bekommt ein Feldarbeiter höchstens 150 Pesos am Tag, das sind 7,30 Dollar. In den USA verdienen das ungelernte Arbeiter auf dem Bau leicht pro Stunde. Bei spezialisierten Jobs bis zu zwölf Dollar.

Rekord an Überweisungen in diesem Jahr

Vergangenes Jahr überwiesen die Mexikaner im Ausland 24,5 Milliarden Dollar an ihre Familien. Nach den Erdölerlösen und dem Tourismus war das die drittgrößte Devisenquelle des Landes. Die spanisch-mexikanische Bank BBVA geht davon aus, dass die Remesa-Zahlungen dieses Jahr auf bis zu 27 Milliarden Dollar steigen, weil viele noch Geld nach Hause schicken wollen. Unzählige Familien in Guerrero, Oaxaca oder Chiapas, den ärmsten Staaten Mexikos, leben nur von diesem Geld.

In Guerrero tragen ihre Dollars knapp acht Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. „Von den 1500 Familien in Huamuxtitlán bekommen 1000 Remesas“, weiß Martín Salas. Er ist Chef der kleinen Finanzkooperative Red Eco, die in vielen Gemeinden Guerreros das Geld der Migranten verwaltet. Red Eco ist eine Art Raiffeisenbank, wie es sie auch in Deutschland gibt. Denn in Mexiko haben gerade mal vier von zehn Erwachsenen ein Bankkonto, auf dem Land sind es noch weniger.

Und damit die Familien der schuftenden Verwandten die Pesos nicht nur in Kühlschränken, Plasmafernsehern und Tequila anlegen, bietet die Kooperative Konten und Kredite für Hausbau und Aussaat. Es lohnt sich, denn die Migranten schicken im Schnitt 400 bis 500 Dollar pro Monat an die Verwandten daheim.

In Mexiko würden Rückkehrer keine Arbeit finden

In Huamuxtitlán, einem Dorf im Schachbrettmuster, findet man viele Hinweise auf die Migration und das Geld, das sie bringt. Große, zweistöckige Häuser, manche mit Säulen und Bögen, verdrängen zunehmend die geduckten kärglichen Hütten aus Lehm. In dem Dorf mit 8500 Einwohnern gibt es acht Pizzerien, ein halbes Dutzend Bäckereien, drei Wäschereien, mehrere Schuhläden und viele Gemischtwarenläden. Genügend Geschäfte für eine Kleinstadt. Aber die Rückkehrer oder ihre Angehörigen investieren das Geld gern in Längerfristiges. Doch was passiert, wenn Trump wirklich die Migranten zurückschickt oder Steuern auf die Remesas erhebt?

Trump will den Bau der Grenzmauer den Mexikanern in Rechnung stellen und kalkuliert die Kosten auf bis zu zehn Milliarden Dollar. Er will das Geld über die Remesas reinholen, da die mexikanische Regierung sich weigert, den Grenzwall zu zahlen. „Die US-Regierung könnte die Überweisungen konfiszieren oder sie besteuern“, sagt Alfredo Coutino, Lateinamerika-Direktor der US-Ratingagentur Moody’s.

Erhöbe Trump Steuern von fünf Prozent auf die Überweisungen der Migranten ohne Dokumente, würde er so pro Jahr 1,3 Milliarden Dollar einnehmen. Geld, das den Familien daheim fehlt. Für die Menschen in Huamuxtitlán wäre das wie „ein Horrorfilm, der Realität wird“, sagt Martín Salas. „Unser Ort und andere in der Umgebung sterben dann.“

Die Mexikaner sagen, dass die Amerikaner auf ihre Arbeit angewiesen sind

Auf die massive Rückkehr von Mi­granten ist weder Mexiko noch Huamuxtitlán vorbereitet. „Es gibt gar keine Jobs für sie“, sagt Salas. Zudem haben die wenigsten im Norden einen Job, mit dem sie daheim was anfangen können. „Für Gärtner, Teppichleger oder Gartenbrunnen-Bauer gibt es bei uns keine Verwendung. Und Pizzabäcker haben wir schon genug.“

Im Hof ihres Hauses machen sich Delfina und Francisco Sánchez derweil Mut. „Die können doch gar nicht ohne uns Latinos da oben“, sagt der Vater. Da würde die Wirtschaft doch zusammenbrechen. „Wer bestellt die Felder, mäht den Rasen, passt auf die Kinder auf und wäscht denen die Teller?“ Mutter Delfina nickt bei jedem Wort ihres Mannes. Ihr rinnen Tränen über die Wangen.