Leipzig. Nach dem Suizid von Dschaber al-Bakr mehren sich die Stimmen zu dem Fall. Skandal, kritisieren einige. Andere verteidigen die Justiz.

Die sächsischen Justizbehörden wehren sich gegen Vorwürfe wegen des Selbstmords des mutmaßlichen Bombenbauers Dschaber al-Bakr, der sich in der Justizvollzugsanstalt Leipzig erhängt hat. „Das hätte nicht passieren dürfen, aber es ist leider geschehen, obwohl wir nach dem jetzigen Stand alles Mögliche getan haben, um das zu verhindern“, sagte Landesjustizminister Sebastian Gemkow (CDU) am Donnerstag in Dresden.

Bei psychologischen Untersuchungen sei der 22-jährige Syrer nicht als akut selbstmordgefährdet eingestuft worden. Politiker vieler Parteien und Organisationen warfen den sächsischen Behörden Versagen vor. Eine Auswahl von Stimmen.

• SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hat die Arbeit von Polizei und Behörden im Fall Dschaber al-Bakr scharf kritisiert. „Ich bin fassungslos über die fortgesetzten Pannen in Sachsen“, teilte Oppermann mit. „Das ist eine beispiellose Aneinanderreihung von Polizei- und Justizversagen. Es fehlt in Sachsen offensichtlich jede Voraussetzung für eine professionelle Terrorbekämpfung.“

• Linken-Chefin Katja Kipping

Linken-Chefin Katja Kipping hat den Rücktritt des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) gefordert. „Die sächsische Justiz ist eine Schande für jeden Rechtsstaat“, sagte Kipping am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Der Suizid des wegen Terrorverdachts festgenommenen 22-jährigen Syrers ist ein Skandal, der nicht ohne Folgen bleiben darf“, sagte Kipping. Justizminister Gemkow stehe jetzt in der Verantwortung.

• CDU-Vize Thomas Strobl

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) gibt zu bedenken, dass einer Rundumüberwachung suizidgefährdeter Häftlinge datenschutzrechtlich enge Grenzen gesetzt seien. „Im Zweifel bringt man sich in fünf Minuten um“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb müsste eine sehr enge Überwachung vorgenommen werden, die von Rechtsanwälten häufig mit dem Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt werde. Es gebe auch eine asymmetrische Lage, weil Anhängern der Terrormiliz IS ihr Leben nichts wert sei.

• Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention

Kann Selbstmord im Gefängnis verhindert werden? „Ein klares Nein“, meint die Leiterin der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug, die Psychologin Katharina Bennefeld-Kersten. Wer sich umbringen wolle, schaffe das auch. „Sei es mit dem T-Shirt, das in Streifen gerissen wird oder mit dem Bettlaken.“ Selbst eine Überwachung im 15-Minuten-Intervall oder kürzer könne das nicht verhindern. Tatsächlich war al-Bakr bereits 15 Minuten nach der letzten Kontrolle tot aufgefunden worden. „Und Kleidungsstücke muss man den Häftlingen einfach zugestehen“, sagt Bennefeld-Kersten.

• Pflichtverteidiger Alexander Hübner

Der Pflichtverteidiger des Terrorverdächtigen, Alexander Hübner, äußerte sich im WDR fassungslos darüber, dass der Suizid seines Mandanten nicht verhindert wurde. „Ganz offensichtlich muss es wohl so gewesen sein, dass die Überwachungsmaßnahmen nicht ausreichend waren“, sagte der Anwalt.

• Daniela Kolbe, Generalsekretärin der SPD Sachsen

Die SPD hat sich schockiert vom Tod des Inhaftierten gezeigt und „schonungslose Aufklärung“ gefordert. „Nach den Ereignissen der letzten Tage ist das Vertrauen in die sächsische Polizei und Justiz beschädigt“, stellte SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe heraus. „Nach dem Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz und dem Suizid des terrorverdächtigen Syrers sehen wir umfassenden Aufklärungsbedarf“, sagte auch der Innenexperte der SPD-Landtagsfraktion, Albrecht Pallas. In Sachsen regiert eine Koalition aus CDU und SPD.

• CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach

Der Terrorverdächtige Dschaber al-Bakr hätte aus Sicht des CDU-Innenpolitikers Wolfgang Bosbach im Leipziger Gefängnis fortdauernd überwacht werden müssen. „Eine ständige Sitzwache wäre notwendig gewesen“, sagte Bosbach der „Welt“. Al-Bakr war am Mittwoch zunächst regulär alle 30 Minuten kontrolliert worden. Am Abend wurde die Kontrolle bereits nach 15 Minuten außerplanmäßig vorgezogen – dabei wurde er tot in seiner Zelle aufgefunden, stranguliert mit seinem T-Shirt. Zuvor hatte er schon die Elektrik der Zelle manipuliert. „Spätestens nach der Manipulation an der Lampe lag die Vermutung nah, dass der Inhaftierte dazu entschlossen war, sich etwas anzutun“, erklärte Bosbach. (dpa/rtr/les)