Berlin. Es war nur ein kurzer Satz der Bundeskanzlerin – doch der hatte gravierende politische Folgen. Nicht nur für Angela Merkel selbst.

31. August 2015. Bundespressekonferenz Berlin. „Wir schaffen das“, sagt die Kanzlerin. Dann öffnet Angela Merkel gemeinsam mit Österreichs Kanzler Werner Faymann die Grenzen für Zehntausende Flüchtlinge, die auf der Balkanroute gestrandet sind.

Die massenhafte, unkontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien und Tunesien, aus Eritrea und Afghanistan setzt eine Entwicklung in Gang, die Faymann das Amt kosten und Merkel in die schwerste Krise ihrer Kanzlerschaft stürzen wird. Mehr noch: Die Flüchtlingskrise spaltet die schwarz-rote Koalition ebenso wie die Europäische Union.

Umstrittener Deal mit der Türkei

Rechtspopulisten gehen mit fremdenfeindlichen Parolen auf Wählerfang, die etablierten Parteien haben kein Rezept dagegen. Ein umstrittener Deal mit der Türkei soll den Flüchtlingsstrom dauerhaft bremsen.

So sehen die Flüchtlingsrouten heute aus

Im Herbst 2015 war die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt. Wie wichtige Orte entlang der Route durch Europa damals aussahen und wie die Lage heute ist, zeigt die Bildagentur Getty in Fotomontagen. Oben: Flüchtlinge erreichen die Insel Lesbos im Oktober 2015. Unten: Im Juli 2016 ist die Küste verlassen.
Im Herbst 2015 war die Flüchtlingskrise auf ihrem Höhepunkt. Wie wichtige Orte entlang der Route durch Europa damals aussahen und wie die Lage heute ist, zeigt die Bildagentur Getty in Fotomontagen. Oben: Flüchtlinge erreichen die Insel Lesbos im Oktober 2015. Unten: Im Juli 2016 ist die Küste verlassen. © Getty Images | Spencer Platt/Milos Bicanski
Oben: Am Strand von Lesbos sammeln sich im November 2015 Rettungswesten, die die Flüchtlinge bei ihrer Überfahrt von der Türkei nach Griechenland getragen haben. Unten: Im Juli 2016 sind keine Spuren mehr von den gefährlichen Bootsfahrten zu sehen.
Oben: Am Strand von Lesbos sammeln sich im November 2015 Rettungswesten, die die Flüchtlinge bei ihrer Überfahrt von der Türkei nach Griechenland getragen haben. Unten: Im Juli 2016 sind keine Spuren mehr von den gefährlichen Bootsfahrten zu sehen. © Getty Images | Milos Bicanski
Oben: Ehrenamtliche Helfer waten im November 2015 durch das Wasser, um ein Flüchtlingsboot an Land zu ziehen. Unten: Im Sommer 2016 scheint die Krise weit entfernt zu sein.
Oben: Ehrenamtliche Helfer waten im November 2015 durch das Wasser, um ein Flüchtlingsboot an Land zu ziehen. Unten: Im Sommer 2016 scheint die Krise weit entfernt zu sein. © Getty Images | Milos Bicanski
Was für ein Kontrast! Oben: Hunderte Flüchtlinge marschieren im Oktober 2015 entlang slowenischer Felder. Sie werden von Polizisten begleitet. Unten: An gleicher Stelle nutzt eine Radfahrerin das schöne Sommerwetter für eine Tour.
Was für ein Kontrast! Oben: Hunderte Flüchtlinge marschieren im Oktober 2015 entlang slowenischer Felder. Sie werden von Polizisten begleitet. Unten: An gleicher Stelle nutzt eine Radfahrerin das schöne Sommerwetter für eine Tour. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Während sich der Flüchtlingsstrom im Oktober 2015 seinen Weg in Richtung eines Zeltlagers bei Rigonce in Slowenien macht (oben), ist auf dem kleinen Feldweg ein knappes Jahr später kein Mensch unterwegs (unten).
Während sich der Flüchtlingsstrom im Oktober 2015 seinen Weg in Richtung eines Zeltlagers bei Rigonce in Slowenien macht (oben), ist auf dem kleinen Feldweg ein knappes Jahr später kein Mensch unterwegs (unten). © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Im September 2015 machen sich Hunderte Migranten auf den Weg vom ungarischen Hegyeshalom nach Österreich. Unten: In der Nähe der Bahnstation von Hegyeshalom überquert eine einsame Radfahrerin die Straße.
Oben: Im September 2015 machen sich Hunderte Migranten auf den Weg vom ungarischen Hegyeshalom nach Österreich. Unten: In der Nähe der Bahnstation von Hegyeshalom überquert eine einsame Radfahrerin die Straße. © Getty Images | Christopher Furlong/Matt Cardy
Oben: Neben der kleinen Kirche bei Dobova (Slowenien) erstreckt sich der Flüchtlingstross bis zum Horizont. Unten: Inzwischen trifft man hier wieder nur selten auf Menschen.
Oben: Neben der kleinen Kirche bei Dobova (Slowenien) erstreckt sich der Flüchtlingstross bis zum Horizont. Unten: Inzwischen trifft man hier wieder nur selten auf Menschen. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Flüchtlinge laufen im vergangenen September über eine Autobahn im ungarischen Roszke. Sie hatten sich zuvor geweigert, zur Registrierungsstelle zu reisen. Unten: Auf der M5/E-75 sind im Juli 2016 nur Autos unterwegs.
Oben: Flüchtlinge laufen im vergangenen September über eine Autobahn im ungarischen Roszke. Sie hatten sich zuvor geweigert, zur Registrierungsstelle zu reisen. Unten: Auf der M5/E-75 sind im Juli 2016 nur Autos unterwegs. © Getty Images | Matt Cardy
Oben: Hunderte Flüchtlinge nutzen im September 2015 die Autobahn im ungarischen Roszke als Flüchtlingsroute. Unten: Die Autobahn kann wieder von Autos befahren werden, Menschen sind nicht mehr zu sehen.
Oben: Hunderte Flüchtlinge nutzen im September 2015 die Autobahn im ungarischen Roszke als Flüchtlingsroute. Unten: Die Autobahn kann wieder von Autos befahren werden, Menschen sind nicht mehr zu sehen. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Die ungarische Grenzpolizei setzt im September 2015 Wasserwerfer ein, um den Übergang nach Serbien in der Stadt Horgos zu sichern: Unten: Die Grenze ist heute so gut wie unbewacht.
Oben: Die ungarische Grenzpolizei setzt im September 2015 Wasserwerfer ein, um den Übergang nach Serbien in der Stadt Horgos zu sichern: Unten: Die Grenze ist heute so gut wie unbewacht. © Getty Images | Christopher Furlong/Matt Cardy
Oben: Hunderte Flüchtlinge bahnen sich im kroatischen Tovarnik ihren Weg zum Bahnhof, um nach Zagreb zu kommen. Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien dicht gemacht hat, suchen viele Flüchtlinge den Weg über Kroatien. Unten: Im Juli 2016 ist Ruhe eingekehrt in Tovarnik.
Oben: Hunderte Flüchtlinge bahnen sich im kroatischen Tovarnik ihren Weg zum Bahnhof, um nach Zagreb zu kommen. Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien dicht gemacht hat, suchen viele Flüchtlinge den Weg über Kroatien. Unten: Im Juli 2016 ist Ruhe eingekehrt in Tovarnik. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Der Bahnhof im kroatischen Tovarnik platzt im September 2015 aus allen Nähten. Unten: Im Juli 2016 ist weit und breit kein Fahrgast in Sicht.
Oben: Der Bahnhof im kroatischen Tovarnik platzt im September 2015 aus allen Nähten. Unten: Im Juli 2016 ist weit und breit kein Fahrgast in Sicht. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Im Spätherbst 2015 suchen Tausende Flüchtlinge den Weg von der Türkei über die griechischen Inseln nach Mitteleuropa. Im November ist der Hafen von Mytilene auf Lesbos überfüllt mit Flüchtenden, die auf eine Fähre nach Athen warten. Unten: Der Hafen von Mytilene im Juli 2016 bietet Reisenden viel Freiraum.
Oben: Im Spätherbst 2015 suchen Tausende Flüchtlinge den Weg von der Türkei über die griechischen Inseln nach Mitteleuropa. Im November ist der Hafen von Mytilene auf Lesbos überfüllt mit Flüchtenden, die auf eine Fähre nach Athen warten. Unten: Der Hafen von Mytilene im Juli 2016 bietet Reisenden viel Freiraum. © Getty Images | Carl Court/Milos Bicanski
Oben: Hunderte Flüchtlinge kampieren im August 2015 entlang einer Bahnstrecke im ungarischen Roszke. Unten: Wenn im Juli 2016 nicht gerade ein Zug anrollt, herrscht Ruhe in Roszke.
Oben: Hunderte Flüchtlinge kampieren im August 2015 entlang einer Bahnstrecke im ungarischen Roszke. Unten: Wenn im Juli 2016 nicht gerade ein Zug anrollt, herrscht Ruhe in Roszke. © Getty Images | Matt Cardy
Oben: Der Keleti-Bahnhof in Budapest ist im September 2015 einer der größten Flüchtlings-Hotspots in Europa. Zwischenzeitlich verlassen keine Züge mehr den zentralen Bahnhof in der ungarischen Hauptstadt. Unten: Im Juli 2016 herrscht Normalität im Keleti-Bahnhof.
Oben: Der Keleti-Bahnhof in Budapest ist im September 2015 einer der größten Flüchtlings-Hotspots in Europa. Zwischenzeitlich verlassen keine Züge mehr den zentralen Bahnhof in der ungarischen Hauptstadt. Unten: Im Juli 2016 herrscht Normalität im Keleti-Bahnhof. © Getty Images | Matt Cardy
Oben: Als sich die Lage am Budapester Keleti-Bahnhof im September 2015 immer weiter zuspitzt, werden Busse eingesetzt, um die Flüchtlinge Richtung Österreich weiterzubringen. Der Busbahnhof entwickelt sich zu einem riesigen Zeltlager. Unten: Der Busbahnhof am Keleti-Bahnhof ist im Juli 2016 am Abend zeitweise menschenleer.
Oben: Als sich die Lage am Budapester Keleti-Bahnhof im September 2015 immer weiter zuspitzt, werden Busse eingesetzt, um die Flüchtlinge Richtung Österreich weiterzubringen. Der Busbahnhof entwickelt sich zu einem riesigen Zeltlager. Unten: Der Busbahnhof am Keleti-Bahnhof ist im Juli 2016 am Abend zeitweise menschenleer. © Getty Images | Matt Cardy
Oben: Nicht nur am Busbahnhof, sondern überall rund um den Keleti-Bahnhof in Budapest ist ein Flüchtlings-Camp entstanden. Viele Menschen bringen Kleiderspenden, um den Flüchtenden zu helfen. Unten: Vor dem Keleti-Bahnhof wird es im Juli 2016 allenfalls zur Rush Hour ein wenig unruhig.
Oben: Nicht nur am Busbahnhof, sondern überall rund um den Keleti-Bahnhof in Budapest ist ein Flüchtlings-Camp entstanden. Viele Menschen bringen Kleiderspenden, um den Flüchtenden zu helfen. Unten: Vor dem Keleti-Bahnhof wird es im Juli 2016 allenfalls zur Rush Hour ein wenig unruhig. © Getty Images | Jeff J Mitchell/Matt Cardy
Oben: Vielfach müssen ungarische Polizisten und Helfer im September 2015 entkräftete Flüchtlinge aus der großen Menschenmenge am Budapester Keleti-Bahnhof bergen und sie versorgen. Unten: Die Wartehallen im Keleti-Bahnhof .
Oben: Vielfach müssen ungarische Polizisten und Helfer im September 2015 entkräftete Flüchtlinge aus der großen Menschenmenge am Budapester Keleti-Bahnhof bergen und sie versorgen. Unten: Die Wartehallen im Keleti-Bahnhof . © Getty Images | Win McNamee/Matt Cardy
Oben: Der Vorplatz vor dem Haupteingang des Budapester Keleti-Bahnhofs ist Anfang September 2015 von Hunderten Flüchtlingen besetzt. Auf Plakaten und mit Sprechchören bitten sie vor allem Angela Merkel immer wieder um Hilfe. Unten: Große Flüchtlingsgruppen hat man im Juli 2016 am Keleti-Bahnhof schon länger nicht mehr gesehen.
Oben: Der Vorplatz vor dem Haupteingang des Budapester Keleti-Bahnhofs ist Anfang September 2015 von Hunderten Flüchtlingen besetzt. Auf Plakaten und mit Sprechchören bitten sie vor allem Angela Merkel immer wieder um Hilfe. Unten: Große Flüchtlingsgruppen hat man im Juli 2016 am Keleti-Bahnhof schon länger nicht mehr gesehen. © Getty Images | Matt Cardy
Oben: Nicht nur am Hafen, sondern im gesamten Stadtgebiet von Mytilene auf Lesbos warten Flüchtlinge im November 2015 auf ihre Weiterreise. Eines der vielen wilden Camps auf den griechischen Inseln liegt in einem Olivenfeld. Unten: Im Juli 2016 gibt es auf dem Olivenfeld in Mytilene nichts zu sehen als Olivenbäume.
Oben: Nicht nur am Hafen, sondern im gesamten Stadtgebiet von Mytilene auf Lesbos warten Flüchtlinge im November 2015 auf ihre Weiterreise. Eines der vielen wilden Camps auf den griechischen Inseln liegt in einem Olivenfeld. Unten: Im Juli 2016 gibt es auf dem Olivenfeld in Mytilene nichts zu sehen als Olivenbäume. © Getty Images | Milos Bicanski
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Ein Jahr nach Merkels berühmt gewordenem Satz und der folgenschweren Grenzöffnung ist klar: Die letzten zwölf Monate haben Deutschland und Europa verändert, die politischen Folgen sind enorm, alle Auswirkungen noch gar nicht absehbar. Drei überraschende Lehren aus zwölf Monaten:

Angela Merkel - Die angeschlagene Kanzlerin

Lehre Nummer eins: Angela Merkel ist nicht mehr unantastbar. Die bisher so souveräne „Teflon“-Kanzlerin, an der alle Kritik folgenlos abperlt, gerät in den Wochen nach der Grenzöffnung in die Defensive. Die Öffnung der Grenze, ihr „Wir-schaffen-das“-Mantra, die Selfies mit Flüchtlingen – nicht zuletzt aus den eigenen Reihen kommt Kritik an Merkels Kurs. Vor allem die CSU schießt sich verbal auf die Chefin der Schwesterpartei ein.

Eine nachdenkliche Kanzlerin: Angela Merkel steht längst nicht mehr außerhalb der Kritik.
Eine nachdenkliche Kanzlerin: Angela Merkel steht längst nicht mehr außerhalb der Kritik. © dpa | Bernd Wüstneck

CSU-Chef Horst Seehofer spricht im Zusammenhang mit der Grenzöffnung von einer „Kapitulation des Rechtsstaats“ und einem „Fehler“ Merkels. Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich attestiert Merkels Regierung sogar eine „beispiellose politische Fehlleistung“. Beim CSU-Parteitag am 20. November in München watscht Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne ab. Merkel steht da wie ein Schulmädchen.

Auch in der Bevölkerung verliert Angela Merkel an Rückhalt. Die Sorge, die Kanzlerin steuere mit ihrer Betonung auf der Willkommenskultur einen falschen Kurs, wächst. Merkel rutscht von einem Zustimmungstief ins nächste. Überschriften wie „Deutsche zweifeln an Angela Merkel“ waren zuvor nie zu lesen. Die CSU streut Spekulationen, die Christsozialen könnten zur Wahl im Herbst 2017 einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen. Merkel selbst lässt ihre Kandidatur noch offen. Hat sie den Zenit ihrer Macht überschritten?

Die AfD im Siegesrausch

Lehre Nummer zwei: Die AfD wird zum Machtfaktor. Während Merkels Koalitionspartner SPD von Merkels Tief nicht profitiert, feiert die AfD einen Wahlerfolg nach dem anderen. In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt fahren die Rechtspopulisten, die nach dem Abgang von Parteigründer Bernd Lucke eigentlich schon vor dem Aus schienen, satte zweistellige Ergebnisse ein.

Vor allem die Angst vor einer Überforderung durch den Flüchtlingszustrom treibt der AfD neue Anhänger zu. Partei-Vizechef Alexander Gauland sagt es ganz unverblümt: „Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise. Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen.“

Etablierte Parteien sind ratlos

Inzwischen sieggewohnt: AfD-Chefin Frauke Petry und Parteivize Alexander Gauland.
Inzwischen sieggewohnt: AfD-Chefin Frauke Petry und Parteivize Alexander Gauland. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Selbst ein innerparteilicher Machtkampf kann den Aufschwung nicht stoppen. Die etablierten Parteien stehen dem oft unverhohlen fremdenfeindlichen Populismus der AfD weitgehend ratlos gegenüber. Merkels „Wir schaffen das“ reicht vielen Bürgern nicht mehr als politisches Programm.

Union, SPD und Grüne reagieren auf den Einzug der AfD in die Landtage mit immer gewagteren Koalitionen: rot-grün-gelbe „Ampel“ in Mainz, schwarz-rot-grünes „Kenia“ in Magdeburg, grün-schwarzes Doppel in Stuttgart. Motto: Alle gegen die AfD. So wird die Partei indirekt zum Machtfaktor.

Und die nächsten Wahlerfolge der Populisten zeichnen sich bereits ab. In den Umfragen für die anstehenden Wahlen in Berlin am 18. September liegt die Partei bei 14 Prozent, in Angela Merkels Heimat Mecklenburg-Vorpommern, wo schon zwei Wochen früher Wahlen anstehen, sogar bei knapp 20 Prozent. Mit der AfD ist weiter zu rechnen.

Europa – der zerstrittene Kontinent

Lehre Nummer drei: Europa ist zerrissen. Zwei bis drei Millionen Flüchtlinge, verteilt auf 28 Staaten mit insgesamt gut 500 Millionen Einwohnern, das müsste problemlos zu schaffen sein. Sollte man meinen. Doch in der Krise zeigt sich, dass es nicht weit her ist mit der viel zitierten „Wertegemeinschaft EU“.

Kompromissloser Kurs: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán lässt in der Flüchtlingsfrage nicht mit sich reden.
Kompromissloser Kurs: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán lässt in der Flüchtlingsfrage nicht mit sich reden. © REUTERS | SERGIO PEREZ

Die Regierungen im Osten der Union, angeführt vom kompromisslosen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, verweigern mehr oder weniger komplett die Aufnahme von Flüchtlingen. Orbán wittert die „Zerstörung Europas“, lässt einen gigantischen Zaun an den Grenzen zu Serbien und Kroatien errichten. Andere folgen seinem Beispiel.

Aber auch Großbritannien lässt nur wenige Flüchtlinge ins Land, Schweden macht zeitweise die Grenze dicht, Dänemark führt Grenzkontrollen ein. Und alle zusammen sehen wochenlang zu, wie im griechischen Idomeni oder auf Lesbos Tausende Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Umständen hausen müssen. Stattdessen setzen die Europäer unter Angela Merkels Führung auf einen fragilen Pakt mit der Türkei.

EU wurde zum fragilen Gebilde

Richtig ist aber auch: Selbst moderate Regierungen wie in Berlin sehen die abschreckende Grenzzaun-Politik entlang der Balkanroute nicht nur negativ – auch wenn sie dies nicht offen sagen. Denn der Flüchtlingsstrom kommt nahezu zum Erliegen, in den deutschen Städten leeren sich die Notunterkünfte. Es gibt keine neuen Bilder von Zügen voller Flüchtlinge. Vorsichtiges Aufatmen.

Umso größer ist der Schock, als die Briten für den Austritt aus der EU stimmen, nicht zuletzt wegen der Angst vor Zuwanderung. Schien die EU noch bis vor kurzem eine gefestigte Gemeinschaft, so entpuppt sie sich nun als fragiles Gebilde aus Staaten, die vor allem eines eint: ihr Egoismus.