Berlin. Innenminister der Union beenden ihren Streit um mehr Sicherheit und fordern statt eines Burka-Verbots ein „Gebot zum Gesicht zeigen“.

Gut eine Woche lang stritt die Union über ein Burka-Verbot in Deutschland, jetzt steht der Kompromiss: Die Vollverschleierung soll nur begrenzt untersagt werden, etwa beim Autofahren oder bei Behördengängen. Nach der Einigung der Unionsinnenminister in nächtlicher Sitzung sahen sich am Freitag alle als Sieger. Berlins Innensenator Frank Henkel, der eigentlich ein Komplettverbot verlangt hatte, meinte: „Ich bin sehr zufrieden, die Debatte hat sich gelohnt.“

Aber auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dem die ursprünglichen Vorschläge seiner Länderkollegen zu weit gingen, zeigte sich erfreut. Die doppelte Staatsbürgerschaft etwa soll nun doch nicht abgeschafft, sondern allenfalls islamistischen Kämpfern entzogen werden.

„Berliner Erklärung“ eher fürs Profil der Union

Allerdings: Was aus den Beschlüssen der „Berliner Erklärung“ in der Praxis wird, muss sich noch zeigen. Die SPD reagierte zwar am Freitag überraschend milde auf die Vorstöße – aber einiges ist schon mit den Sozialdemokraten in der Koalition nicht zu machen, vieles können auch die Grünen im Bundesrat bremsen. De Maizière hatte vor einer Woche einen abgeschwächten Maßnahmenkatalog vorgelegt, der auf Konsens mit der SPD zielt.

Bei der „Berliner Erklärung“ gehe es stärker um das Profil der Union, räumte der Minister ein. Konsequenterweise stellten die CDU-Spitzenkandidaten bei den nahenden Landtagswahlen, Berlins Innensenator Henkel und der Schweriner Innenminister Caffier, das Papier mit de Maizière vor.

Burka-Verbot

„Wir lehnen die Vollverschleierung ab“, sagte de Maizière. „Gesichtzeigen ist für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft konstitutiv.“ Henkel sprach von einem „frauenfeindlichen Unterdrückungsinstrument“. Ein generelles Verbot ist vor allem wegen verfassungsrechtlicher Bedenken vom Tisch. Das „Gebot zum Gesichtzeigen“ soll nun etwa im öffentlichen Dienst, in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, vor Gericht, bei Behördengängen, Passkontrollen und Demonstrationen gelten – und beim Autofahren. Verstöße würden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Die Innenminister lenkten auch rhetorisch ein: Die Ablehnung der Burka habe nichts mit der Sicherheit zu tun. Der Vorschlag findet sich deshalb in einem Extrakapitel zur Integration.

Unterschiede von Burka, Niqab und Co.

Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind...
Burka, Niqab, Hidschab: In der islamischen Welt tragen Frauen verschiedene Verschleierungen. Sie unterscheiden sich stark voneinander. Die extremste Form der Verschleierung ist die Burka. Das Ganzkörpergewand, das die Augen mit Stoff verdeckt, ist vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet. In Afghanistan sind die Burkas meist blau, sie werden aber auch in anderen Farben gefertigt. Am meisten verbreitet in europäischen Ländern sind... © imago/Paulo Amorim | imago stock&people
... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung.
... die schwarzen Burkas. Die Vollverschleierung dient auch dazu, ärmere Kleidung zu verbergen. Bis zum Ende der Taliban-Herrschaft in Afghanistan galt eine Burka-Pflicht. Trotzdem verlassen die meisten Frauen das Haus nach wie vor nicht ohne die Verschleierung. © REUTERS | © Gonzalo Fuentes / Reuters
Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem...
Das zweite traditionelle Kleidungsstück der Vollverschleierung ist der sogenannte Niqab. Der Unterschied zur Burka besteht darin, dass die Augenpartie sichtbar ist. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinen-Kultur auf der Arabischen Halbinsel, er diente in erster Linie als Sonnenschutz. Es gibt wie auch bei den anderen Kleidungsstücken diverse Variationen. Der einfache Niqab wird hinter dem Kopf verknotet, eine andere Variante wird mit einem Stirnband befestigt. Vor allem... © Gwendoline Le Goff / PanoramiC
... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ...
... in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak tragen Frauen den Niqab. Aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern ist die Vollverschleierung verbreitet. Die Verbote in den europäischen Ländern betreffen die Burka und auch die Niqabs – und somit alle Formen der Vollverschleierung. Der Niqab wird gewöhnlich kombiniert mit dem sogenannten Tschador. Dieser wird auch allein getragen, ... © dpa | Boris Roessler
... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen.
... so dass die Frauen sehr viel mehr Gesicht zeigen. Der Tschador ist vor allem im Iran verbreitet. Die Frauen tragen diesen Umhang um Kopf und Körper, wobei die Motive dafür ganz unterschiedlich sind. Für einige Berufszweige ist diese Verschleierung sogar verpflichtend, zum Beispiel in Schulen. © imago / Xinhua
Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt.
Vor der islamischen Revolution galt im Iran vorübergehend ein Verbot des Hijabs und somit jeglicher Verschleierung. Später durften Frauen nur noch mit Hijab für staatliche Institutionen arbeiten und letztlich wurde der Tschador für alle Mädchen und Frauen ab neun Jahren verpflichtend eingeführt. © imago/JOKER | imago stock&people
Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht.
Der Hidschab, das Kopftuch, ist die häufigste Form der Verschleierung. Ein einfaches Kopftuch bedeckt Haare, Ohren und den Hals. In zahlreichen muslimischen Ländern ist diese Form der Verschleierung Pflicht. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein.
Für viele Frauen ist das Kopftuch nicht nur Bekenntnis zu ihrer Religion, sondern auch ein Ausdruck von Modebewusstsein. © imago/ZUMA Press | imago stock&people
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Dass die Union das Verbot indirekt als Beitrag zum Anti-Terror-Kampf präsentiert hatte, obwohl das religiöse Kleidungsstück mit islamistischem Terror nichts zu tun hat, war Kritikern übel aufgestoßen.

Die SPD prangerte das am Freitag erneut an, zeigte sich aber kompromissbereit: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) erklärte, ein Verschleierungsverbot in bestimmten Bereichen sei „denkbar“. Prognose: Das Verbot kommt. Weil es zum Teil Ländersache ist, werden zunächst unionsregierte Länder aktiv werden. Die bayerische Staatsregierung kündigte umgehend an, noch in diesem Jahr ein Gesetz zum Verschleierungsverbot vorzulegen. Ein Burka-Verbot auf Bundesebene ist vorerst unwahrscheinlich.

Doppelte Staatsbürgerschaft

Die Wahlkämpfer Henkel und Caffier hatten das Ende des Doppelpasses gefordert, setzten sich aber nicht durch. Einziges Zugeständnis: Islamistische Kämpfer in Krisengebieten sollen den deutschen Pass verlieren, wenn sie noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. Bis 2019 soll die Wirkung des Doppelpasses überprüft werden. Prognose: Passentzug für Terroristen dürfte kommen, de Maizière spricht bald mit der SPD.

Mehr Polizisten

In den nächsten Jahren sollen Bund und Länder 15.000 Polizisten zusätzlich einstellen, auch die Ausrüstung etwa mit Schutzwesten, Waffen oder Körperkameras soll verbessert werden. Nichts schaffe so viel Sicherheitsgefühl wie sichtbare Polizeipräsenz, sagte Henkel. Prognose: Mit der SPD ist sich die Union hier einig. Die Koalition berät schon über eine weitere Aufstockung der Bundespolizei. Ob die Länder ihre Polizeien ebenfalls aufrüsten, ist offen.

Mehr Überwachung

Öffentliche Plätze und Verkehrsknotenpunkte sollen intensiver durch Videokameras überwacht werden. Die Vorratsdatenspeicherung soll ausgedehnt werden, auch für den Verfassungsschutz. Das lehnt die SPD ab. Prognose: Das gibt Streit.

Schnellere Abschiebungen

Ausländer sollen mehr und schneller abgeschoben werden können – etwa Hassprediger ohne deutschen Staatsangehörigkeit oder Integrationsverweigerer. Auch eine Absenkung der Asylbewerberleistungen will die Union prüfen. Prognose: kaum durchsetzbar.

Reaktionen

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, und Justizminister Heiko Maas (SPD) warnten vor „Scheindebatten“ , zeigten sich aber gesprächsbereit, vor allem bei der Stärkung der Polizei. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte dagegen unserer Redaktion, die Unionsminister führten „Scheingefechte im Namen der Sicherheit“. Die Burka sei weder ein zentrales Sicherheitsrisiko, noch scherten sich die Minister wirklich um die Rechte der Frauen, die eine Burka tragen. „Es ist reiner Populismus, mit dem die Union auf Stimmenfang im AfD-Lager geht“, sagte Hofreiter.