Duisburg. Es ist eine eigenartige Allianz, die im Kampf gegen den IS zusammenfindet. Mittendrin findet sich ein 21-Jähriger aus Duisburg.

Irgendwann kam der Tag, an dem Andreas müde geworden war. Müde vom Kampf, der ständigen Anspannung an der Front, den toten Freunden. Das war der Tag, an dem er sich entschloss, Rojava zu verlassen, wo seine Freundin Ivana starb, und wieder nach Hause zu gehen, ins Ruhrgebiet, wo Jan schon auf ihn wartete. Jan, der bei den Gefechten mit den IS-Milizionären sein Auge verloren hatte. „Ich bereue nichts“, sagt Andreas.

Andreas ist nicht der richtige Name des 21-Jährigen. Seine Geschichte ist die eines deutschen Linksradikalen, der in den Kampf zog, weil er die Selbstverwaltung der syrischen Kurden für eine Revolution hält, die er gegen die Fanatiker des sogenannten „Islamischen Staates“ verteidigen wollte. Dabei wurde er mit unzähligen ideologischen Widersprüchlichkeiten konfrontiert. Sie ist auch die Geschichte von Eltern, die um ihren Sohn gebangt haben.

Die Geschichte beginnt vor fünf Jahren in Essen. Damals begann sich Andreas für Politik zu interessieren. Er wurde Zeuge einer Schlägerei zwischen Türken und Nazis, mischte sich ein. „Ich habe mich danach in der Antifa engagiert“, erzählt Andreas.

Aus dem Engagement erwuchs das Interesse für internationale Politik. „Ich habe kurdische und türkische Freunde kennengelernt, das hat den Blick geweitet. Es ist krass, dass heute noch ganze Völker unterdrückt werden, wie die Kurden.“ Andreas begab sich auf die Spur von Befreiungskämpfen, reiste nach Nordirland, in die Türkei, zusammen mit Ivana Hoffmann, die im März 2015 als erste Deutsche im Kampf gegen den IS fallen sollte. Nach der Antifa ging es zu „Young Struggle“, einer linksradikalen Jugendorganisation.

„Da hat die ideologische Schulung eingesetzt. Da ist uns zum ersten Mal aufgefallen, dass er zu einem Betonbrocken wurde“, sagt der Vater. Stalin als Schlüsselanhänger, lange Debatten, Freunde, die vergeblich versuchten, gegen Andreas zu argumentieren, Schulabbruch, zwei angefangene und abgebrochene Ausbildungen. „Er sagte, dass er Politiker werden will.“

Die Entscheidung

Im Vereinsheim von „Young Struggle“ in einer Seitenstraße in Duisburg drehten sich die Gespräche vor allem um Rojava. Anfang 2013 schälte sich aus den Bürgerkriegswirren im Norden Syriens das kurdische Selbstverwaltungsprojekt heraus, eine Räterepublik, die zum Sehnsuchtsort vieler Linker weltweit werden sollte. Im September 2014 begann die Schlacht um die Stadt Kobane. Linke, säkulare Kurden gegen die Kämpfer des „Islamischen Staates“, die Andreas und seine Freunde als Faschisten bezeichneten. Ein halbes Jahr tobte diese Schlacht, dann vertrieben die Kurden die Terroristen mit der Hilfe amerikanischer Luftangriffe.

Ein Schlüsselereignis, das viele junge Linke für die kurdische Sache begeistern sollte. Ivana Hoffmann war im Herbst 2014 die erste aus der Duisburger Gruppe, die nach Rojava ging. „Sie war eine Kämpferin“, sagt Andreas. Auch für ihn wurde rasch klar: „Ich wollte mehr tun, als nur auf der Straße zu demonstrieren. Ich wollte vor Ort helfen, Teil der Revolution sein. Das war eine politische und emotionale Entscheidung.“ Eine, die er für sich alleine traf, nachdem die linksradikale türkische MLKP, eine marxistisch-leninistische Kaderpartei, dazu aufgerufen hatte, nach Rojava zu gehen. „Das ist eine wichtige Entscheidung, man zieht ja in den Krieg. Das muss man mit sich selbst ausmachen.“ Auch seinen Eltern erzählte er nichts. „Man sagt aus Sicherheitsgründen nichts.“ Für ihn war sein Entschluss, in den Krieg zu ziehen, ein Akt „praktischer Solidarität“. Für die Eltern war sie ein Schock.

Am 16. Dezember 2014 erhielten sie einen Brief. „Darin stand, dass er nach Rojava gegangen sei, um dort den Waisen und Verletzten zu helfen und um sich um das Volk zu kümmern, das so viel leiden müsse. Das sei eine ganz wichtige Aufgabe“, erinnert sich der Vater. In dem Brief stand auch, dass Genossen sich bei ihnen melden würden, um Nachrichten von ihrem Sohn zu übermitteln. Es kam nie jemand.

Andreas reiste über die irakische Kurdenhauptstadt Erbil nach Rojava. In der Nähe von Qamischli, einer kurdischen Stadt im Nordwesten Syriens, befand sich das Ausbildungscamp für ausländische Freiwillige, in dem er auf den Kampf vorbereitet wurde.

Im Lager die ersten ideologischen Irritationen. Andreas traf Amerikaner und Engländer, unpolitische Freiwillige, die früher in Kolumbien oder Nordirland gegen linke Bewegungen wie Farc oder die IRA gekämpft hatten. „Die haben wir Cowboys genannt.“ Leute, die ausgeschlossen blieben.

Die Kämpfe

„Ich wollte nach vorne. Die Aufgabe eines Soldaten ist es doch zu kämpfen.“ Sein erstes Gefecht erlebte er am 7. März 2015 bei Tell Tamer. Es war das Gefecht, in dem Ivana Hoffmann starb, 19 Jahre jung. Sie wurde an diesem Tag zu einer Ikone der Linken. „Da wird man von der Realität eingeholt. Das hat nichts mit der romantischen Vorstellung von Krieg zu tun, nichts mit den Videos“, sagt Andreas. An diesem Tag wurden die Kurden unterstützt von Hubschraubern der syrischen Armee. Die nächste Verwirrung. Die in Syrien regierende Baath-Partei ist durch und durch nationalistisch.

Das erste Mal schoss Andreas auf einen Gegner mit einem Dragunov-Scharfschützengewehr. „Ich habe getroffen“, erzählt er ruhig. „Daesh ist ein barbarischer Feind.“ Daesh, so nennen Kurden und Araber den IS. Angst, sagt Andreas, hat er in den ersten Monaten nie gehabt. „Die Genossen geben einem viel Kraft.“ Sie aßen zusammen, sie sangen zusammen, sie kämpften zusammen. „Man lacht viel. Es gab aber auch schreckliche Zeiten.“ Tage wie den 8. Juni 2015, dem Tag, an dem sein Freund Jan das Auge verlor. An diesem Tag wurden sie in einem kleinen Dorf in der Nähe der syrischen IS-Hauptstadt Rakka angegriffen. Fünf Selbstmordattentäter, Dutzende IS-Milizionäre. „Plötzlich haben wir das Geräusch von Panzern gehört. Wir haben gedacht, es ist vorbei.“ Die Panzer des IS wurden von einem amerikanischen Kampfflugzeug bombardiert. „Die Genossen haben gerufen: ,Hoch lebe der Imperialismus‘“. Im Scherz, natürlich, beteuert Andreas.

Er erlebte immer wieder Situationen, die nicht in sein Weltbild passten. Verängstigte Bewohner arabischer Dörfer, die ihn als Besatzer ansahen. Bettelnde Kinder in kurdischen Städten, deren Eltern aber nichts von der herrschenden Partei PYD annehmen wollten, für deren militärischen Arm Andreas kämpfte. Korruption in den Reihen der Kurden. Irgendwann wurde er müde. „Ich hatte ja erreicht, was ich erreichen wollte. Ich hatte ein politisches Zeichen gesetzt.“

Die Heimkehr

Am 2. Februar 2016 klingelt bei seinem Vater das Telefon. Andreas ist dran.

Der Vater sagt: „Die Kinder, die für die Kurden oder für Daesh in den Krieg ziehen, wissen gar nicht, was sie ihren Eltern antun. In Europa haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg mit friedlichen Mitteln stabile Gesellschaftsordnungen geschaffen. Wir haben versucht, den Krieg von den Kindern fernzuhalten. Und jetzt ziehen die jungen Menschen freiwillig in den Krieg.“

Die Schwester (16) sagt: „Ich fand’s nicht gut, dass er gegangen ist, ohne etwas zu sagen. Aber ich bin ein bisschen stolz auf ihn, weil er etwas für andere getan hat.“

Jan und Andreas berichten jetzt in linksradikalen Kreisen von ihren Erfahrungen in Rojava. Sie wollen auch in Deutschland gegen den Islamismus vorgehen. Mit Worten.

Dieser Text erschien zuerst in der „NRZ“.