Ansbach/Berlin. Das bayrische Städtchen Ansbach ist nach dem Anschlag eines Asylbewerbers erschüttert. Für ihn war es ein „Racheakt gegen Deutsche“.

Gregor Meyle und seine Band spielen das Lied noch zu Ende. Dann sagt der Künstler oben auf der Bühne ruhig in das Mikrofon, dass dieses Konzert nun unterbrochen werde. Die Scheinwerfer gehen an, die Besucher sollen über den Hinterausgang das Gelände verlassen. Es ist ein paar Augenblicke her, da hat es in Ansbach geknallt. Da schoss eine Flamme in einer der engen Gassen des bayerischen Städtchens hoch. Nicht jeder im Publikum hat die Detonation gehört, weil die Musik so laut war. So erzählen es Zeugen und Organisatoren am Tag danach. Doch in den hinteren Reihen blicken sich die Menschen um, als es knallt. Ein Silvesterböller? Ein Spaß? Das hätten manche erst gedacht.

Dann rennen die Wachleute los.

Meyle hatten sie hier zu ihrem kleinen Festival nach Ansbach eingeladen. Am Tag nach dem Angriff schreibt der Musiker auf Facebook: „Bitte verliert nicht den Glauben an das Gute und lasst Euch niemals davon abhalten, Euer Leben selbstbestimmt zu leben.“

Attentäter hatte keine Eintrittskarte

Es war kein Silvesterknaller. Es war Sprengstoff. Der Angreifer hatte keine Eintrittskarte für Meyles Konzert. Er kam nicht durch die Kontrollen. Und doch endete der Abend blutig, 12 Menschen wurden durch die Bombe verletzt, drei von ihnen schwer. Der Angreifer starb. Er bekannte sich zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“.

„Oh Gott, wenn sie den Täter reingelassen hätten und der sich nach vorn gedrängt hätte – das wäre eine Katastrophe gewesen“, sagt Werner Finsterer zu „Spiegel Online“. Der 70 Jahre alte Mann schenkte zur Zeit der Tat auf dem Musikfestival Wein und Sekt aus.

2000 Menschen hören Meyle und anderen Musikern an diesem Sonntagabend vor der Bühne in der 40.000-Einwohner-Stadt Ansbach zu. Um 21.45 Uhr fällt den Sicherheitsleuten vor dem Haupteingang in der Pfarrstraße ein Mann auf, der „über einen längeren Zeitraum auf und ab“ geht, heißt es in der Meldung der Polizei. Die Veranstalter hatten das Gelände mit der Bühne abgesperrt. Die Sicherheit war nach dem Amoklauf von München verstärkt worden – jede Tasche der Besucher wurde durchsucht, nicht nur, wie in vergangenen Jahren, mit Stichproben.

Sprengstoff hatte er im Rucksack versteckt

Irgendwann verschwindet der Mann vom Eingang und geht zu einem Weinlokal direkt daneben. Er setzt sich draußen auf einen Stuhl, er sitzt allein am Tisch. Um 22.10 Uhr beugt sich der Täter kurz nach vorne und zündet den Sprengstoff in seinem Rucksack auf dem Rücken. Darin: kleine Metallteile, die die Auswirkungen der Detonation für das Umfeld noch verstärken sollen. Ralph Millsaps kann sich fotografisch genau an die Sitzordnung in „Eugens Weinstube“ erinnern: „Gestern Abend habe ich hier gesessen“, er zeigt auf einen Stuhl, „neben mir meine Freundin und dort ein Freund.“

Er weiß noch im Detail, wer an diesem Abend wo auf der Terrasse saß. Dann zeigt er auf einen runden Einzeltisch, vielleicht neun Meter von ihm entfernt. „Dort saß der Attentäter.“ Warum er das so genau weiß? „Ich bin bei der Army“, sagt der gebürtige Amerikaner aus North Carolina, der seit April in Ansbach wohnt. „Bei der Army lernen wir das genaue Hinsehen, das kann Leben retten.“ Er ist 59 Jahre alt, war schon in Afrika, Asien und dem Nahen Osten stationiert. „Es war meine vierte Bombe“, sagt er, „zwei in Afghanistan, eine im Irak.“ Dann bröckelt sein selbstbewusster Ton für einen Moment. „Aber jede Bombe ist anders und jede hinterlässt andere Spuren.“

Flüchtling ist über Österreich nach Deutschland eingereist

Und jeder Täter. Mohammad D., 27 Jahre alt, aus Syrien, ist am 3. Juli 2014 aus Österreich nach Deutschland eingereist. Er beantragte vier Tage später Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Bamf.

In der Nacht durchsuchen Polizisten Leiche und Unterkunft des Täters. Sie finden in dem Haus zwei Handys, Sim-Karten und einen Laptop, die sie dem Attentäter zuordnen. Darauf entdecken die Beamten dschihadistische Gewaltvideos, aber auch Videos, die den selbsternannten „Islamischen Staat“ verherrlichen.

Und sie finden mehr Materialen, mit dem Bomben hergestellt werden können: Benzinkanister, Wasserstoffperoxid, Salzsäure, einen Lötkolben, Batterien und Drähte. Auch ein Bekennervideo taucht in dem Zimmer des Mannes auf. Er kündigt laut Innenministerium darin einen „Racheakt gegen Deutsche als Vergeltung“ an, weil sie „Muslime umbrächten“. Einer ersten Übersetzung des arabischen Textes zufolge heiße es, der Täter handle „im Namen Allahs“. Er beruft sich auf den Anführer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi.

Zweiter Anschlag in einer Woche von der Terrororganisation IS

Es ist nach derzeitigem Ermittlungsstand der zweite Anschlag innerhalb einer Woche in Deutschland, in dem der Täter angeblich im Namen der Terrororganisation IS handelt.

Am Tag nach dem Anschlag verbreitet auch die IS-nahe „Nachrichtenagentur“ Amaq eine Nachricht, in der die Gruppe den Angreifer von Ansbach als „Soldaten des IS“ bezeichnet. Das lässt Parallelen zum Fall in Würzburg erkennen, wo am Montag vor einer Woche ein Teenager mit Axt vier Menschen schwer verletzte. Auch er war Asylbewerber.

Mohammad D. sollte abgeschoben werden: nach Bulgarien. Dort war er bereits 2013 als Asylsuchender registriert und als Schutzsuchender anerkannt. Dennoch zog er weiter nach Deutschland. Im Dezember 2014 lehnte das Bamf den Antrag auf Asyl ab. Denn nach der „Dublin-Verordnung“ gilt innerhalb der EU: Ein Geflüchteter muss in dem Mitgliedstaat ein Asylantrag stellen, indem er zuerst registriert wurde.

Auch kann ein Mensch keine zwei Asylanträge zeitgleich in der EU stellen. Doch der junge Syrer reichte im Dezember 2015 Klage gegen den Abschiebebescheid ein. Das Verwaltungsgericht in Ansbach lehnte den Widerspruch zunächst ab. Im Februar dieses Jahres hob das Bamf jedoch den Abschiebebescheid auf. Der Mann hatte laut Innenbehörde in dieser Zeit offenbar mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

In drei Tagen wäre Duldung in Deutschland geendet

Aufgrund seines psychisch labilen Zustands wurde der Mann vorerst in Deutschland geduldet, laut Bamf ein übliches Verfahren. Auch psychische Störungen kommen bei Asylbewerbern häufig vor. Etwa jeder vierte oder fünfte sei aufgrund der Flucht behandlungsbedürftig, sagt Jan Kizilhan von der Hochschule Villingen-Schwenningen, der seit 15 Jahren zu Traumata von Flüchtlingen forscht.

Ein Teil dieser Menschen komme damit zurecht, anderen könne ambulant geholfen werden. „Nur ein sehr, sehr geringer Teil der Flüchtlinge muss in einer Klinik behandelt werden.“ So wie der Täter von Ansbach. Eine längere Zeit wurde er in einer Klinik behandelt.

Doch der 27 Jahre alte Syrer suchte seinen Weg aus dem Leben nicht mit Selbstmord – sondern mit Terror. Die Bundesanwaltschaft hat nun die Ermittlungen zu der Tat übernommen.

Am 30. Juni, vor knapp einem Monat, hatte der Täter wieder Post vom Bamf bekommen. Seine Duldung sei nun abgelaufen, er solle innerhalb von 30 Tagen Deutschland in Richtung Bulgarien verlassen. Am 27. Juli hätte diese Frist geendet. Drei Tage nach dem Anschlag.