Berlin. Nizza, Würzburg und Ansbach: Trotz mehrerer Anschläge warnt Innenminister Maizière davor, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.

Die Reihe der Attentate mit islamistischem Hintergrund verlängert sich nach Deutschland. Verstörend hierzulande ist weniger die Dimension der Anschläge als die Herkunft der Attentäter: In Ansbach war es ein 27-jähriger Flüchtling aus Syrien, der sich am Eingang zu einem Open-Air-Festival mit einer Bombe selbst tötete und fünfzehn Menschen zum Teil schwer verletzte.

In der Woche davor hatte ebenfalls ein Flüchtling, wahrscheinlich aus Afghanistan, in einem Regionalzug bei Würzburg vier Menschen mit einer Axt attackiert. Ein Opfer schwebt weiter in Lebensgefahr.

Kann man daraus ein Muster herleiten? Nein, so die eindeutige Antwort von Regierung und Sicherheitsbehörden. Sie warnen davor, Flüchtlinge pauschal zu verurteilen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte dieser Redaktion: „Wir dürfen Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen, auch wenn es in einzelnen Fällen Ermittlungsverfahren gibt.“

Seinen Angaben zufolge gibt es derzeit 59 Ermittlungsverfahren gegen Flüchtlinge wegen des Verdachts der Verwicklung in terroristische Strukturen. „Und das bei vielen Hunderttausend neu angekommenen Menschen“, so der Innenminister.

Oft konnte ein Terrorverdacht nicht erhärtet werden

Das Bundeskriminalamt (BKA) präzisiert diese Zahlen. So seien die Behörden insgesamt 410 Fällen nachgegangen, erklärt die Behörde auf Anfrage. Häufig gäben Flüchtlinge Hinweise auf andere Geflüchtete, die sie bei der Überfahrt, in der Unterkunft oder auf Fotos gesehen haben, und die ihrer Auffassung nach in terroristischen Vereinigungen aktiv gewesen oder mit ihnen sympathisiert haben sollen.

Viele dieser Hinweise hätten sich jedoch als Verwechslungen, bewusste Denunziationen oder als nicht nachweisbar herausgestellt. Daher seien Nachforschungen fallen gelassen worden, bevor die Staatsanwaltschaften überhaupt Ermittlungen übernommen haben. In den konkreten 59 Fällen jedoch sei der Anfangsverdacht so deutlich, dass auch ermittelt werde.

Für den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, ist das eine hohe Zahl. „Die aber vor allem zeigt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz doch viele Menschen feststellen, die solche gravierenden Straftaten planen“, sagte er dieser Zeitung. Der erfahrene Polizeibeamte spricht aufgrund der gehäuften Terrorfälle durchaus auch von einer Verschlechterung des Sicherheitsgefühls in Deutschland.

Eine Million Menschen sind aus Krisengebieten geflohen

Dass dafür die Flüchtlinge verantwortlich sein sollen, weist er allerdings zurück. Fakt sei, dass über eine Million Menschen aus Regionen nach Deutschland gekommen seien, wo das Leben nicht so kommod sei wie hier. „Da könnten auch Menschen darunter sein, die bewusst nach Deutschland gekommen sind, um hier Terror zu organisieren. Aber wir sollten den Blick auf die Flüchtlinge nicht verengen, denn in anderen Ländern sind es Einheimische mit Migrationshintergrund gewesen, die diese Taten begangen haben“.

Nicht die Herkunft sei entscheidend, sondern die Motivlage jedes Einzelnen. Eine genauere Registrierung der hier lebenden Flüchtlinge hält er dennoch für nötig. „Wir müssen organisieren, dass jeder, der sich in Deutschland aufhält, regis­triert und behördlich erfasst ist.“ Doch eine umfassende Sicherheit gebe es dennoch nicht: „Auch mit besseren Regis­trierungen können wir diese Taten nicht grundsätzlich ausschließen.“

Strobl: Mit der Zahl von Zuwanderern steigt die Zahl der Straftaten

Die CSU jedoch besteht vehement auf härteren Maßnahmen, hält Selbstauskünfte für nicht mehr ausreichend. CSU-Chef Horst Seehofer hatte sich gegenüber dieser Redaktion bereits am Wochenende für eine stärkere Kontrolle und Überwachung ausgesprochen „Wir müssen uns sicher sein, dass keine Verbindungen zum ‚Islamischen Staat‘ bestehen“. Die Bevölkerung erwarte vom Staat, dass er sie schütze. „Dafür müssen alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft werden.“ Gegenüber dem „Münchner Merkur“ kündigte der Ministerpräsident eine deutliche personelle Verstärkung der Polizei an. „Die Aufstockung wird signifikant sein“, sagte er laut Vorabbericht vom Montag. Die Sicherheitslage sei „ernst und bedrohlich“, und die Bevölkerung habe einen Anspruch darauf, „dass alles Menschenmögliche für ihre Sicherheit getan wird“.

Parteivize Thomas Strobl betont, alle Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, sollten so schnell wie möglich erkennungsdienstlich behandelt werden. „Mit einer steigenden Zahl von Zuwanderern steigt auch die absolute Zahl der Straftaten, die diese Personengruppe begeht. Das hat nichts damit zu tun, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.“

Was ist das Problem bei der Regis­trierung? Bis vor wenigen Monaten herrschte bei der Registrierung von neu ankommenden Flüchtlingen Chaos. Gleich mehrere Stellen wie Polizei, Länder und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nahmen Daten oder Fingerabdrücke auf, konnten diese jedoch nicht miteinander austauschen. Zudem kam das BAMF im vergangenen Jahr aufgrund der großen Zahl von etwa 1,1 Millionen Flüchtlingen mit der Registrierung der Menschen nicht hinterher. Behördenchef Frank-Jürgen Weise sprach vor Kurzem noch von etwa 300.000 Menschen, die zwar in Deutschland seien, aber noch keinen Asylantrag gestellt hätten.

Diese Zahl ist laut BAMF inzwischen auf etwa 150.000 gesunken. Um das Verfahren zu verbessern, wurde Mitte Februar das sogenannte Integrierte Identitätsmanagement mit dem „Ankunftsnachweis“ eingeführt. Seit Mitte des Jahres wird dieser „Flüchtlingsausweis“ deutschlandweit an alle neu ankommenden Asylbewerber ausgegeben. Der Ausweis enthält neben einer Identifikationsnummer die wichtigsten Daten zur Person. Auch Fingerabdrücke werden bei der Ausstellung genommen.

Behörden haben nicht genug Referenzdaten

De Maizière räumt jedoch Probleme bei der Registrierung ein. Die bloße Feststellung der Identität von Asylbewerbern sei nicht ausreichend zur Vermeidung von Sicherheitsrisiken. Dazu seien weitere Referenzdaten zum Gegenchecken notwendig, die es häufig nicht gebe. Auch er würde sich wünschen, dass mehr Flüchtlinge nicht nur ein Handy, sondern auch Personaldokumente haben.

Seine Konsequenz sei eine legal gesteuerte Aufnahme mit Sicherheitsüberprüfungen vor der Einreise. Dies sei der richtige und sicherheitspolitisch zwingende Weg: „Und daran arbeiten wir.“