Essen. Lügen in der Biografie und eine SPD, die nichts über Petra Hinz weiß: Über eine Bundestagsabgeordnete und ihren gescheiterten Traum.

Es soll ranghohe Sozialdemokraten in Berlin und Düsseldorf geben, die zusammenzucken, wenn sie die Worte „Essener SPD“ nur hören. Verständlich wäre es: Seit vielen Jahren leidet die in der Ruhrmetropole einst allmächtige Partei unter einer nicht endenden Kette von Skandalen, Intrigen, Wahl-Misserfolgen und persönlichen Tragödien, wobei die Politik und das allzu Menschliche unauflösbar miteinander verwoben sind. Der Fall des in weiten Teilen erlogenen Lebenslaufs der Bundestagsabgeordneten Petra Hinz ist durch seine Dreistigkeit, die mediale Wucht und die Schockwellen bis in die Bundespolitik allerdings in ei­ne neue Dimension vorgestoßen.

Wer ist die Person Petra Hinz, wie konnte die 54-Jährige drei Jahrzehnte lang eine solche Legende aufrechterhalten? Wer sich in der Essener SPD umhört, bekommt Antworten, die auf eine maskenhafte Persönlichkeit hindeuten. Petra Hinz gilt in Essen als typische Gremien-Politikerin, die viel Zeit da verbrachte, wo Karrieren vorbereitet und geschmiedet werden: in Arbeitskreisen, Ratsausschüssen und auch in Versammlungen an der Basis, wo im Vorteil ist, wer die größte Ausdauer zeigt. „Freunde im engeren Sinn hatte sie keine“, sagt ein Vorstandsmitglied, das ungenannt bleiben will. Man habe es mit einem „schwierigen Charakter“ zu tun, über die trockene politische Materie hinaus habe Hinz keinerlei Nähe zugelassen. „Eigentlich wussten wir nichts über sie.“ Ihre Reden allerdings waren gefürchtet wegen der Gestelztheit und einer latenten Aggressivität.

Für die Hinterbank im Bundestag wird’s schon reichen

Dass sie trotzdem höhere Weihen erlangte, ist im politischen Betrieb nichts besonderes. Als Bürger könnte man zwar mit Recht erwarten, dass der jeweilige Partei-Stadtverband seine größten politischen Talente als Kandidat für Bundestag oder Landtag aufbietet, und das kommt sicherlich auch vor. Nicht selten sind es aber die robusten Naturen, die im internen Machtkampf mit allen Wassern gewaschen sind, die zum Zuge kommen; Pokerspieler, die Abhängigkeiten stiften, Parteiflügel gegeneinander ausspielen oder sich in verfahrenen Situationen als Kompromisskandidat anbieten. Die Partei-Granden haben dabei womöglich sogar Bauchschmerzen, aber für die Hinterbank im Bundestag wird’s auch ohne viel Kompetenz, Wissen oder Analysefähigkeit schon reichen.

Auf ihrer Internetseite entwirft Petra Hinz im Biografie-Teil die typische sozialdemokratische Ruhrgebiets-Erzählung, bei der Aufstieg durch Bildung eine zentrale Rolle spielt: Aufgewachsen als Kind kleiner Leute, sei in ihrem Elternhaus immer schon „sehr viel über Politik und über die Mitverantwortung für die Gesellschaft gesprochen“ worden. Neben den Mai-Kundgebungen an der Hand des Vaters habe sie als Siebenjährige ihr SPD-Schlüsselerlebnis gehabt, als sie 1969 in Essener bei einer Kundgebung Willy Brandt reden hörte. „Schon vor dem Auftritt, aber vor allem danach schaute sie sich politische Sendungen im Fernsehen an, las die politischen Teile der Tageszeitung“, heißt es.

Fachabitur am Berufskolleg

Für ein Kind im frühen Grundschulalter wäre das beachtlich, aber es klingt nicht gerade glaubwürdig. Auch die NS-Zeit sei im Elternhaus Thema gewesen. „Ich lernte früh, dass so etwas nicht mehr passieren darf. Die Bücherverbrennung war dem ,Bücherwurm’ Petra Hinz ein Gräuel.“ In derart gestelzten Sätzen mit Poesiealbum-Charme ist der Hang zur Stilisierung der eigenen Persönlichkeit herauszulesen, der sich offenbar wie ein roter Faden durch ihr Leben zog – und der im erfundenen Abitur und Jura-Studium seinen Höhepunkt fand.

Gesichert ist, dass sie eine Essener Hauptschule besuchte, schließlich an einem Berufskolleg das Fachabitur schaffte. Abseits des Erfundenen gibt es zum beruflichen Werdegang dann nur Wolkiges: „Anschließend absolvierte sie ein einjähriges Praktikum bei der Sparkasse und von 1985 bis 1987 eine Ausbildung im Bereich Moderation und Kommunikation.“

Mit 17 war Hinz in die SPD eingetreten, mit 27 dann in den Rat gewählt worden. Es kommt viel häufiger vor als bekannt, dass Ratspolitiker ohne ausgeübten Beruf dastehen und mehr schlecht als recht versuchen, von Sitzungsgeldern, Aufsichtsrats-Tantiemen und ähnlichen Einnahmen zu leben. Ziel ist eine Stelle als Referent in einer Fraktion oder Parteigliederung oder ein bezahltes Parlamentsmandat. Das war offensichtlich auch der Traum von Petra Hinz.

Fleißige Berichterstatterin im Wahlkreis

2005 war es soweit, im für die SPD damals noch ziemlich sicheren Essener Wahlkreis 120 wurde sie direkt in den Bundestag gewählt. Über die Jahre blieb Hinz trotz Mitgliedschaft im wichtigen Haushaltsausschuss eher Hinterbänklerin, was nicht von vornherein kritisch zu sehen ist. Nicht jeder hat das Zeug zum Talkshow-Helden oder Fraktionschef, solide bürgernahe politische Arbeit lässt sich auch aus hinteren Reihen heraus machen. Hinz galt als fleißige Berichterstatterin im Wahlkreis und in ihrem SPD-Ortsverein Essen-Frohnhausen.

Ende Juni dann verdichteten sich schon länger schwelende Gerüchte zu einem anonymen offenen Brief: In ihrem Büro habe Petra Hinz ein Schreckensregiment geführt, ehemalige Mitarbeiter klagten über Mobbing härtester Art. Hinz wies das zurück, sah eine Verschwörung mit dem Ziel, ihre erneute Kandidatur zu torpedieren. Unstrittig ist: Hinz verschliss auffallend viele Mitarbeiter, einige sollen noch heute in ärztlicher Behandlung sein, um die „irrsinnigen Schikanen“ und „Erniedrigungen“ zu therapieren. Von der Arbeitsgemeinschaft der SPD-Mitarbeiter im Bundestag wurde sie zu einem Gespräch gebeten, das sie aber ausschlug. Bei ihr sei alles in Ordnung, ließ sie wissen. Ein Fall von eingeschränkter Selbstwahrnehmung.

Ihr größtes Geheimnis war zu dieser Zeit aber, wenn überhaupt, nur wenigen bekannt. Juristen erkennen sich oft am Jargon. Parteifreunde, die selbst Juristen sind, sollen sich gewundert haben über die so andere Sprache der „Juristin“ Hinz. Man ließ es laufen. Warum sich Ärger einhandeln. Und es schadet am Ende noch der Partei.

Dieser Schaden für die SPD ist nun tatsächlich immens.

Dieser Artikel ist zuerst auf derwesten.de erschienen.