Santiago de Chile. Der Bundespräsident ist zu Besuch in Chile. Bei seinem Empfang war auch ein Colonia-Dignidad-Mittäter anwesend. Gauck bedauert das.

Die Einladung eines Mittäters der früheren Sektensiedlung Colonia Dignidad zu einem Botschaftsempfang für Bundespräsident Joachim Gauck in Chile hat für Irritationen gesorgt. Das Bundespräsidialamt bedauerte die Einladung zu dem Empfang der Deutschen Botschaft. „Wir haben großen Wert auf eine sorgsame Auswahl der Gäste gelegt – vor allem im Hinblick auf die Geschichte der Colonia Dignidad“, sagte eine Sprecherin von Gauck am Donnerstag (Ortszeit). „Wir bedauern mit Blick auf die Opfer sehr, dass diesem Maßstab nicht entsprochen wurde.“ Opfer reagierten fassungslos.

Unter den Gästen des Empfangs zu Ehren Gaucks am Mittwoch in der chilenischen Hauptstadt Santiago war auch der in einem Prozess wegen Kindesmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilte Reinhard Zeitner. Das bestätigten mehrere Teilnehmer der Deutschen Presse-Agentur.

Zeitner gab in der „Villa Baviera“ den Ton an

Die Strafe für Zeitner, der unter anderem als Sicherheitsmann in der Siedlung tätig gewesen sein soll, wurde zur Bewährung ausgesetzt. Er ist heute in führender Position in der „Villa Baviera“ tätig, die auf dem Gelände der ehemaligen Sekte mit bayrischer Folklore Touristen anlockt und sich auf die Herstellung landwirtschaftlicher Produkte spezialisiert hat. Der Filmregisseur Florian Gallenberger, der einen Film über die Schreckensherrschaft der Colonia Dignidad mit Daniel Brühl und Emma Watson in den Hauptrollen gedreht hat, geriet auf dem Empfang mit Zeitner in Streit. Gallenberger, der Gauck auf der Reise nach Chile begleitete, war erstaunt, den Mann auf dem Empfang der Botschaft anzutreffen. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagte er.

Zeitner sei unter Sektengründer Paul Schäfer ein ziemlich berüchtigter Schläger gewesen, sagte Gallenberger. Er gehöre zu denen, die in der „Villa Baviera“ den Ton angäben. Für die Menschen, die unter Zeitner damals gelitten hätten, sei es schwer zu ertragen, dass ihr Unterdrücker beim Empfang dabei gewesen sei. Berichten zufolge soll sich Zeitner bei dem Empfang bei dem Regisseur beschwert haben, dass sein Film Passagen enthalte, „die nicht der Realität entsprechen“. Efraín Vedder, der in der Colonia Dignidad interniert war, sagte der dpa, „die Botschaft lädt immer beide Seiten ein“.

Colonia Dignidad hatte sektenähnliche Strukturen

Der Anwalt Winfried Hempel sagte zu der Anwesenheit des Mannes: „Dafür fehlen mir die Worte“. Hempel hatte früher selbst in der hermetisch abgeriegelten Siedlung rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile gelebt. Die Colonia Dignidad war unter Führung von Paul Schäfer ein befestigtes Lager mit sektenähnlichen Strukturen, sie wurde 1991 in „Villa Baviera“ (Bayerisches Dorf) umbenannt. Schäfer war 1961 mit Anhängern seiner Sekte „Private Sociale Mission“ aus Siegburg bei Bonn nach Südamerika ausgewandert. Zeitner sei damals auf dem Gelände mit einer Pistole herumgelaufen, „und war Teil der Sicherheitsgruppe von Paul Schäfer“, so Hempel.

Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) wurde die Kolonie zu einem Folterzentrum der Geheimpolizei. Schäfer wurde zu langer Haft verurteilt und starb 2010 in Chile in einem Gefängnis. Hempel betonte zudem in einer Mitteilung, es sei enttäuschend, dass Gauck während seines Besuches nicht mit einem Opfer gesprochen habe. „Die Bundesrepublik Deutschland ist mitverantwortlich, da sie wusste, was in der Colonia Dignidad vor sich ging und trotzdem nichts unternahm, um die Verbrechen zu unterbinden“, kritisierte er. Das Auswärtige Amt gab Ende April seine Akten zur Colonia Dignidad vorzeitig für die Öffentlichkeit frei, um die umstrittene Rolle der deutschen Diplomatie in jener Zeit genauer erforschen zu lassen. (dpa)