Washington/Ottawa . US-Präsident Barack Obama trifft Kanadas Premierminister Justin Trudeau in Ottawa. Warum das Verhältnis der beiden ein besonderes ist.

Als Justin Trudeau im Frühjahr samt Gattin Sophie Grégoire zum pompösen Staats-Dinner mit Alaska-Heilbutt und Ahorn-Pekan-Kuchen ins Weiße Haus geladen wurde, schenkte Barack Obama dem Gast aus dem Norden eine von Regisseur J.J. Abrams handsignierte Ausgabe des jüngsten „Star Wars“-Drehbuchs.

Die für Obamas Verhältnisse selten emphatische Botschaft war damit klar: Möge die Macht (noch möglichst lange) mit dem neuen Premierminister Kanadas sein. Nicht ohne Grund.

In einem halben Jahr ist Obamas achtjähriges Gastspiel als Lichtgestalt auf der internationalen Bühne vorbei. Die Rolle der in Zeiten von Radikalpopulisten und Bürokratschnikks bitter benötigte Sehnsuchtsfigur eines Staatsmanns wird wieder vakant, der Lässigkeit mit Weitsicht und Weltoffenheit mit der Hoffnung auf Wandel verbindet. Obama, das wurde am Mittwoch beim Dreier-Gipfel USA-Kanada-Mexiko in Ottawa schnell spürbar, ist davon überzeugt, dass Trudeau den Staffelstab übernehmen kann.

Obama imponiert, wie Trudeau seinen Vorgänger vergessen macht

Dem ersten Mann Washingtons imponiert, wie leicht der Sohn des legendären Pierre Trudeau, der Kanada als Regierungschef in den 60er und 70er Jahren den Mief der Holzfällerhemd-Mentalität austrieb, durch die ersten Amtswochen gefedert ist und seinen grauen Vorgänger Stephen Harper vergessen gemacht hat.

In sein Kabinett berief er demonstrativ viele Frauen und Angehörige verschiedener Ethnien. Verteidigungsminister Harjit Sajjan ist ein Sikh. Warum? „Weil wir 2015 haben“, sagte Trudeau kurz nach seiner Wahl im Oktober und lächelte seine Multikulti-Zweifler in Grund und Boden.

Komplizierter geht’s nicht: Mexikos President Enrique Pena Nieto, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und US-Präsident Barack Obama versuchen sich beim Dreier-Gipfel in Ottawa an einem Handschlag für drei.
Komplizierter geht’s nicht: Mexikos President Enrique Pena Nieto, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und US-Präsident Barack Obama versuchen sich beim Dreier-Gipfel in Ottawa an einem Handschlag für drei. © REUTERS | CHRIS WATTIE

Trudeau öffnete sein Riesenland für syrische Flüchtlinge, begrüßte sie demonstrativ mit Teddybären für die Kinder am Flughafen. In der Weltklima-Konferenz in Paris stellte sich der ehemalige Türsteher, Boxer, Gelegenheitsschauspieler und Highschool-Lehrer in die erste Reihe der Treibhausgas-Reduzierer. Daheim reichte er Schwulen und Lesben genau so die offene Hand wie muslimischen Frauen, denen bei der Einbürgerung der Gesichtsschleier nicht mehr wie früher verboten wurde.

Dass Trudeau sich in den sozialen Netzwerken wie ein Fisch im Wasser bewegt, dass er auf Fotos in der Yoga-Pose des „Pfaus“ unangestrengt horizontal über einem Tisch schwebt, dass seine Muskeln den gelegentlich oben ohne reitenden Wladimir Putin wie einen welken Kirmesboxer aussehen lassen, dass er bis in die Körpersprache Bürgernähe zeigt, all das hat den 44-Jährigen, Sternkreiszeichen Steinbock, für Obama zu einem Hoffnungsträger gemacht, auf den man setzen kann.

Trudeaus Faszination wurzelt in dessen Herkunft

Gerade jetzt, wo sich in Washington und weit darüber hinaus die Angst breit macht vor einer amerikanischen Präsidentschaft mit dem Nachnamen Trump. Bei ihren Gesprächen setzten Obama, Trudeau und Mexikos Regierungschef Enrique Peña Nieto darum gestern bewusst den Kontra-Akzent zu Trumps massiven Angriffen gegen das nordamerikanische Handelsbündnis Nafta, von dem zwischen Mexiko-City bis Montreal rund 14 Millionen Arbeitsplätze abhingen. „Mehr Partnerschaft und nicht weniger“, lautet der Tenor der „drei Amigos“, die auch in der Energiepolitik komplett auf der Gegengeraden zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten liegen.

Trump hatte erst am Dienstag angekündigt, die durch Weltmarktpreise und aggressive Umweltschutzregulierung in Bedrängnis geratene Kohle-Industrie in den USA aufzupäppeln. Stattdessen verpflichteten sich die drei Staatsmänner in Ottawa zum Frommen des Weltklimas dazu, bis 2025 rund 50 Prozent der benötigten Elektrizität in ihren Ländern aus erneuerbaren Energiequellen zu schöpfen. Und, natürlich, es verstand sich von selbst, dass sie Trumps seit Monaten versprochenes Bollwerk gegen Einwanderer an der Grenze zu Mexiko als töricht und rückwärtsgewandt zurückwiesen.

Trudeaus Faszination, der sich auch Obama nicht entziehen kann, wurzelt in dessen Herkunft. Für Kanada sind die Trudeaus in etwa das, was die Kennedys für Amerika sind: ein Dynastie, deren Wirken weit über das Politisch hinaus reicht. Justins Mutter Margaret wird bis heute mit Jackie Kennedy verglichen. Dass sie im legendären New Yorker „Studio 54“ gern ausgelassen feierte und Affären mit Ryan O’Neal und mindestens einem Rolling Stone gehabt haben soll, tut der Verehrung keinen Abbruch. Von ihr, sagt Justin Trudeaus Biograph Jonathan Kay, hat der neue Premier Kanadas den Sinn fürs Gesellige und Fröhliche. Und die Lebensfreude, die ansteckend wirkt, sobald der dreifache Vater auch nur sein Zahnpastalächeln zeigt.

Obama und Trudeau beneiden sich gegenseitig

Dass sein Coolness-Faktor – einschlägige britische Gossenblätter haben ihn längst zum „most sexy“ Staatsmann auf Erden gekürt – die ökonomischen Dunkelkammern Kanadas überlagert (30 Milliarden Dollar Staatsschulden), weiß auch Obama. Von ihm kann Justin Trudeau lernen, wie holprig der Aufstieg zum Polit-Messias ist. Und wie rasend schnell die Entzauberung geschieht. Von der Stahlkraft, die der „Yes, we can“-Obama 2008 auf die globale Bühne gebracht hat, sind heute nur noch homöopathische Dosen vorhanden. Die Gesetze der politischen Schwerkraft und die irreparabel vergiftete Parteienlandschaft in Amerika haben den ersten Schwarzen im höchsten Staatsamt bis in die Haarwurzeln mit einem Grauschleier überzogen.

Steht Obama direkt neben Trudeau, entsteht der sympathische Eindruck einer Großer-Bruder-kleiner-Bruder-Beziehung. Wechselseitig beneiden sich die beiden um ihre seltenen Gaben. „Obama hat die Rolle des Mentors übernommen, ohne auf Trudeau herabzublicken, wie Regierungsberater Ben Rhodes sagt. Sollte er auch besser bleiben lassen. Ende August erscheint das neue Comic-Epos aus dem Reich der Phantasie-Fabrik Marvel. Justin Trudeau ist auf dem Titelbild zu sehen. In Boxer-Pose. Mit entschlossenem Blick. Die Autoren haben ihm im Buch die Rolle der grauen Eminenz einer Superhelden-Truppe zugedacht. Obama kann beruhigt in den Ruhestand gehen.