Berlin. Schließen sich die übrigen EU-Staaten nach dem Brexit umso enger zusammen? Ein gemeinsames deutsch-französisches Papier klingt danach.

Als Antwort auf den Brexit haben die Außenminister Deutschlands und Frankreichs weitreichende Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit in der EU gemacht. In einem gemeinsamen neunseitigen Papier, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, fordern Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault unter anderem einen Sicherheitspakt für eine viel engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der inneren und äußeren Sicherheit. Zudem wird für die Eurozone ein stärkerer Ausgleich zwischen Überschuss- und Defizit-Ländern gefordert.

Stärkere militärische Zusammenarbeit

Steinmeier und Ayrault erkannten an, dass die „Ambitionen“ der Staaten bei der Integration sehr unterschiedlich seien und man daher flexibel sein müsse. Das informelle „non-paper“ war auch den Außenministern der sechs Gründerstaaten der Europäischen Währungsgemeinschaft am Samstag vorgelegt worden.

Die EU solle als unabhängiger und globaler Akteur aktiver auftreten, fordern beide Außenminister. „Frankreich und Deutschland wollen eine integrierte EU-Außen- und Sicherheitspolitik mit allen EU-Politikinstrumenten vorantreiben“, heißt es. Für einen aktivere Rolle der EU sollten auch gemeinsame Marine-Verbände geschaffen werden. Ausdrücklich wird gefordert, dass die EU-Staaten sich an ihre internationalen Zusagen für Militärausgaben halten sollten – bei Nato-Mitgliedern wie Deutschland wären dies zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Derzeit sind es aber nur 1,2 Prozent. Gleichzeitig sollten die Investitionen in Krisenprävention verstärkt werden.

Gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenzen

„Der Schutz unserer Außengrenzen ist nicht länger ausschließlich eine nationale Angelegenheit, sondern eine gemeinsame Verantwortung“, heißt es weiter. Die EU müsse den „weltweit ersten multinationalen Grenz- und Küstenschutz“ schaffen.

Auch in Migrationsfragen wird eine sehr viel engere Zusammenarbeit gefordert: Asylbewerber sollten in allen EU-Staaten auf Grundlage der Genfer Konvention Schutz erhalten können. „Solidarität bleibt ein Pfeiler unseres europäischen Projektes“, wird betont. Zugleich wird eine gemeinsame Antwort auf die Ankunft von Wirtschaftsmigranten gefordert. Es solle legale Wege in die EU geben, die aber auch die Situation auf den Arbeitsmärkten der EU-Staaten in Betracht ziehen müssten. Hintergrund ist die hohe Arbeitslosigkeit etwa in Frankreich und der Arbeitskräftemangel in einigen Bereichen in Deutschland, was auch in der Flüchtlingskrise zu unterschiedlichen Verhalten beider Regierungen geführt hatte.

Grundsätzliche Widersprüche bleiben

Beide Außenminister machen auch Vorschläge zur Wirtschafts- und Währungsunion. So wird eine größere Übereinstimmung der Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten gefordert. Besonders umstritten dürfte in der Bundesregierung der Passus sein: „Überschuss- und Defizitländer müssen sich bewegen, da eine einseitige Ausrichtung politisch unmöglich ist.“ Beide Außenminister treten für Strukturreformen in ihren Ländern ein sowie für die Vollendung des Binnenmarktes. Die Euro-Staaten sollten sich gemeinsame, auch kurzfristige Ziele für Investitionen und eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Digitalisierung, Forschung und Berufsausbildung setzen.

„Die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion bedeutet eine intensivere politische Zusammenarbeit und eine finanzielle Lastenteilung“, heißt es, ohne dass Details genannt wurden. Weil es verschiedene politische Ansätze in den Euro-Staaten gebe, solle die künftige Architektur der Eurozone weder nach rein politischen noch nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet werden.

Mehr Abstimmung bei Besteuerung von Konzernen

Der Eurogruppen-Chef solle zunehmend von einem Sonder-Ausschuss des EU-Parlaments (EP) kontrolliert werden, schlagen Steinmeier und Ayrault vor. Auch der Euro-Schutzmechanismus ESM solle schrittweise der parlamentarischen Aufsicht des EP unterstellt werden. Ab 2018 sollte zudem ein neuer Stabilisierungsfonds in der Eurozone Investitionen in angeschlagenen Euro-Ländern mitfinanzieren. Um die öffentliche Zustimmung zum Euro zu sichern, müsse zudem an einer „sozialen Dimension“ und einer fairen Besteuerung zwischen den Mitgliedstaaten gearbeitet werden. Eine engere Abstimmung sei vor allem bei der Besteuerung von multinational tätigen Konzernen nötig. (rtr)