Reykjavík. Gudni Th. Jóhannesson ist Islands neuer Präsident. Seine Landsleute interessieren sich allerdings derzeit ausschließlich für Fußball.

Fußball, Fußball, Fußball. Etwas anderes haben die Isländer gerade nicht im Kopf, seit ihre Nationalmannschaft bei der EM in Frankreich ins Achtelfinale eingezogen ist. Fast nebenbei haben die Inselbewohner am Wochenende einen neuen Präsidenten gewählt. Da trifft es sich gut, dass der Historiker Gudni Th. Jóhannesson riesiger Fußballfan ist. Deshalb macht es ihm nichts aus, dass seine Landsleute ihre Aufmerksamkeit eher den isländischen Fußballhelden widmen als der Politik. Ihm selbst geht es schließlich nicht anders.

Am Sonntag wollte der fünffache Vater zwar erst einmal seinen Sieg - und seinen 48. Geburtstag - mit seiner Familie feiern. Aber: „Dann packen wir unsere Sachen und fliegen nach Nizza, um unsere Fußball-Jungs zu sehen“, sagt Jóhannesson dem Sender „RUV“.

Fußball ist auch etwas, das Menschen zusammenbringt, meint der neue Präsident. Sein Volk zu einen, das ist in diesen Wochen und Monaten erste Priorität für den Newcomer im Amt, der das politische Geschehen in seinem Land bislang immer als Experte im Fernsehen kommentiert hatte, anstatt daran teilzunehmen. „Ich habe nie eine aktive Rolle in der Politik spielen wollen“, sagt der 48-Jährige.

Die „Panama Papers“ brachten die Wende

Die „Panama Papers“ brachten ihn dazu, seine Meinung zu ändern. „Nach dem spektakulären Zusammenbruch der Banken 2008 haben wir als Nation das Vertrauen in das Bankensystem, in die Welt der Wirtschaft, das politische System und das Parlament verloren“, sagt er. Während die Isländer gerade dabei waren, dieses Vertrauen wiederzugewinnen, rissen die Enthüllungen der „Panama Papers“, die ihren Regierungschef schließlich zum Rücktritt zwangen, die Wunden empfindlich wieder auf. Der Politikverdruss in Island ist seitdem noch größer geworden.

Auch deshalb ist der sensationelle Einzug des Fußballzwergs in das EM-Achtelfinale eine willkommene Abwechslung für die Inselbewohner. Ein Zehntel der Bevölkerung war schon bei der Vorrunde in Frankreich dabei. Nach dem sensationellen Einzug ihrer Nationalmannschaft ins Achtelfinale bestürmten Tausende Isländer Reiseveranstalter und Fluglinien, um auch noch einen Weg zu finden, beim Spiel gegen England am Montag dabei zu sein.

An dem Ausgang der Wahl, da sind sich die allermeisten sicher, hat die unerwartete Fußball-Euphorie der Isländer aber nichts geändert. Jóhannesson hatte in Umfragen schon Wochen vor dem Wahltag weit vorn gelegen. Die Wahlbeteiligung am Samstag war nach ersten Prognosen überraschend doch etwa so hoch wie bei den letzten Wahlen.

Der nächste Kater kommt bestimmt

Nachdem der Politik-Neuling seinen Hut in den Ring geworfen hatte, waren die Chancen der anderen acht Kandidaten, Islands Präsident zu werden, dramatisch geschrumpft. Nur die Unternehmerin Halla Tómasdóttir, die ihre Finanzgesellschaft erfolgreich durch die schwere Krise 2008 manövriert hatte, war Jóhannesson am Wahltag auf den Fersen gewesen. Dem einzigen Kandidaten mit großer Politik-Erfahrung, dem früheren Ministerpräsidenten David Oddsson, schenkten die Isländer dagegen nur wenige Stimmen.

Dank der EM-Feierlaune – und der Geburtstagsparty mit vielen Ständchen am Sonntag – hat Jóhannesson einen Traumstart in sein Präsidentenamt erwischt. Doch der nächste Kater kommt bestimmt. Spätestens, wenn er und die anderen Isländer in Scharen aus Frankreich zurückkehren und der Herbst die Tage wieder kürzer und dunkler werden lässt. Dann soll es in Island vorgezogene Parlamentswahlen geben. Und Jóhannesson steht bei der Regierungsbildung vor seiner ersten großen Aufgabe als Präsident. (dpa)