Berlin. Union und SPD sind sich einig: Das Sexualstrafrecht erhält eine umfassende Reform. Die große Mehrheit der Deutschen findet das gut.

Deutschland soll ein neues Sexualstrafrecht bekommen: Union und SPD haben sich nach monatelangen Debatten auf eine umfassende Strafrechtsreform verständigt. Sie folgt dem Prinzip „Ein Nein ist ein Nein“: Wer gegen den erkennbaren Willen eines anderen handelt, macht sich in Zukunft strafbar. Es wäre ein Paradigmenwechsel: Nicht die Methode des Täters, sondern der Wille des Opfers wird zum zentralen Maßstab vor Gericht.

In einem gemeinsamen Papier, das unserer Redaktion vorliegt, schlagen die Rechtspolitiker der beiden Regierungsfraktionen die Einführung eines neuen Straftatbestands „Sexueller Übergriff“ vor. „Der Grundsatz ‚Ein Nein ist ein Nein‘ wird in einer neuen Strafvorschrift verwirklicht werden. Damit wird erstmals die sexuelle Selbstbestimmung der Frau auch im Strafrecht voll zur Geltung gebracht“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Union, Elisabeth Winkelmeier-Becker, unserer Redaktion. „Das ist ein Meilenstein für die Wahrung der Rechte der Frauen.“ Der alte Vergewaltigungsparagraf, der unter anderem eine Gewaltanwendung oder Nötigung des Opfers voraussetzt, werde aufgehoben.

Weiterhin gilt: Straftaten müssen bewiesen werden

Künftig soll es ausreichen, wenn das Opfer sein Nein deutlich zeigt: Der entgegenstehende Wille sei erkennbar, wenn das Opfer ihn mit Worten oder zum Beispiel durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung nach außen zum Ausdruck bringe, heißt es im Eckpunktepapier. „Ein lediglich innerer Vorbehalt des Opfers gegen die sexuelle Handlung ist nicht ausreichend.“ Aber: Fälle, in denen das Opfer seinen Willen nicht erklären konnte, weil es schlief oder etwa durch K.-o.-Tropfen betäubt worden war, oder weil es aus Angst zugestimmt hatte, sollen ebenfalls vom neu zu schaffenden Strafrechtsparagrafen § 177 erfasst werden. Bislang dagegen konnten Fälle straflos bleiben, bei denen das Opfer nur mit Worten widersprochen hatte oder eine Gegenwehr für aussichtslos hielt.

Nach wie vor aber gilt: Straftaten müssen bewiesen werden. Die „Nein ist Nein“-Regelung wird daher möglicherweise viele Täter abschrecken, die Rechtsprechung aber wird sie nicht unbedingt erleichtern.

86 Prozent der Deutschen sind für die Verschärfung

Eine große Mehrheit der Deutschen ist für die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Im Deutschlandtrend für das ARD-„Morgenmagazin“ befürworten 86 Prozent der Befragten es, wenn das Gesetz dahingehend verschärft wird, dass ein eindeutiges „Nein“ des Opfers bei einer Vergewaltigung ausreicht, um den Täter zu bestrafen. Zehn Prozent der Befragten halten dagegen die bisherige Gesetzeslage für ausreichend.

Geeinigt haben sich die beiden Regierungsfraktionen nach Angaben der Union auch mit Blick auf sexuelle Belästigungen, etwa durch Grabscher: Ein Griff an den Po, ein Grabscher an die Brust im Gedrängel in der U-Bahn, im Schwimmbad oder im Aufzug, ein erzwungener Kuss beim Schützenfest – in Deutschland gilt das bislang nicht als eigenständige Straftat.

Jetzt soll es einen neuen, gesonderten Straftatbestand „Sexuelle Belästigung“ geben, heißt es im Eckpunktepapier. Der neue Paragraf soll die Lücke im Strafrecht schließen: „Bisher gibt es keinen strafrechtlichen Schutz vor sexualbezogenen Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit“, heißt es in dem Papier. Grabschen werde in diesem Sinne bislang nicht als erheblich angesehen.

Neues Gesetz soll noch im Juli beschlossen werden

Darüber hinaus konnten sich Union und SPD auf einen neuen Tatbestand verständigen, der sexuelle Straftaten wie in der Kölner Silvesternacht speziell ahndet. „Übergriffe aus Gruppen heraus bringen die Opfer in eine besondere Schutzlosigkeit“, heißt es im Papier der Rechtspolitiker. „Jeder, der sich an einer Gruppe beteiligt, aus der heraus sexuelle Übergriffe oder Ähnliches vorgenommen werden, sollte sich künftig als Täter verantworten müssen.“ Gemeint sind damit auch diejenigen, die selbst nicht tätig werden – oder denen keine Tat nachgewiesen werden kann. Voraussetzung ist, dass sich mindestens drei Personen zum gemeinsamen Handeln zusammengeschlossen haben. „Die Gruppen können sich von vornherein zur Begehung von Straftaten verabredet haben. Sie können sich aber auch erst spontan zusammenfinden.“

Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte Ende April einen Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts in den Bundestag eingebracht. Politiker von Union und SPD ging er jedoch nicht weit genug.

Von Seiten der SPD hieß es, dass mit der Union eben lange Zeit nicht mehr zu machen gewesen sei, erst durch die Kölner Fälle sei der Koalitionspartner bereit gewesen, das Sexualstrafrecht zu verschärfen. Die Union dagegen sagt: SPD-Minister Maas müsse „zum Jagen getragen werden“. Wochenlang warfen sich Sozialdemokraten und Unionspolitiker gegenseitig vor, die Reform zu blockieren.

Nach der Einigung mit der SPD geht Winkelmeier-Becker jetzt davon aus, dass der Änderungsentwurf der Fraktionen noch vor der Sommerpause beschlossen werden kann.