Falludscha. Die irakische Armee will Falludscha, die Hochburg der IS-Terroristen befreien. Sowohl vor Ort wie auch im Ausland fragt man sich: Wie?

Der Name dieser Stadt 50 Kilometer westlich der irakischen Hauptstadt Bagdad lässt viele amerikanische Veteranen des Irak-Kriegs noch heute schaudern. Der Aufstieg der al-Qaida im Irak nahm hier seinen Anfang. In der „Stadt der Moscheen“ begann der Widerstand gegen die US-Besatzung. In Falludscha tobten 2004 erbitterte Häuserkämpfe bei denen die Amerikaner gewaltige Verluste erlitten. Seit Januar 2014 herrscht in der einst reichen Industriestadt, die heute eine graue, zertrümmerte Ruine ist, der sogenannte „Islamische Staat“ (IS).

Falludscha war die erste Stadt, die komplett unter der Kontrolle der Terrormiliz stand. Jetzt wird in der Stadt wieder erbittert gekämpft. Die irakische Armee hat mit dem Sturm auf die Islamisten-Hochburg begonnen. Gleichzeitig haben kurdische Einheiten fast 400 Kilometer nördlich eine groß angelegte Offensive gegen den IS in der Ninive-Ebene im Nordirak gestartet.

In den vergangenen Tagen hatten irakische Truppen gemeinsam mit schiitischen Milizen und sunnitischen Stammeskämpfern den Belagerungsring um Falludscha immer enger gezogen und einige kleinere Dörfer in der Umgebung befreit. Dabei und bei Luftangriffen sollen nach US-Angaben bislang mehr als 70 IS-Kämpfer getötet worden sein, unter ihnen der örtliche Kommandeur Maher al-Bilawi.

Am Montagmorgen drangen Anti­terroreinheiten und Spezialkräfte der irakischen Armee mit der Unterstützung durch alliierte Luftschläge von drei Seiten in Falludscha ein. Der IS, der die Stadt mit bis zu 1000 Kämpfern verteidigt, leistet heftigen Widerstand. Die Terrormiliz hatte die Verteidigungsstellungen zuletzt massiv ausgebaut und unzählige Minen und Sprengfallen platziert. Bei den Vorbereitungen auf die Erstürmung der Stadt hat die irakische Armee den Süden Falludschas geflutet, um Sprengkörper auszuspülen.

Viele Einwohner sind verhungert oder unter Trümmern begraben

Noch immer sind in der früheren 300.000-Einwohner-Stadt Zehntausende Zivilisten eingeschlossen. Sie müssen schon in den vergangenen Monaten unter fürchterlichen Bedingungen gelebt haben. Etliche Menschen sollen verhungert, andere unter den Trümmern ihrer von den Luftschlägen zerbombten Häuser begraben sein.

Das irakische Militär hat die Einwohner zur Flucht aufgerufen, es soll aber bislang lediglich 3000 Zivilisten nach Angaben der norwegischen Hilfsorganisation NRC gelungen sein, sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Wer von den Dschihadisten auf der Flucht erwischt wird, dem droht ein grausamer Tod. Männliche Einwohner Falludschas, die sich weigerten, für den IS zu kämpfen, sollen exekutiert worden sein.

Immer wieder kommen Selbstmordattentäter nach Bagdad

Dass der IS so kurz vor Bagdad eine Hochburg hat, ist für die irakische Hauptstadt eine ständige Bedrohung. Von Falludscha aus sickerten in den vergangenen Jahren immer wieder Selbstmordattentäter nach Bagdad. Die irakische Hauptstadt wird täglich von Anschlägen erschüttert, auch am Montag starben dort Dutzende Menschen.

Wird Falludscha zurückerobert, hätte der IS nach der Befreiung der Städte Ramadi und Tikrit seine letzte große Bastion im Zentralirak verloren. Die Offensive ist auch eine Bewährungsprobe für die irakische Armee, die zwar mit modernstem Gerät ausgerüstet ist, aber unter einem Mangel an Moral leidet.

„Wenn sie es schaffen, Falludscha zu befreien, wird das ein Motivationsschub für die irakische Armee sein“, sagt General Ahmat Koye von den kurdischen Zerevani-Spezialeinheiten unserer Redaktion. Er hält die Rückeroberung der Stadt zwar für möglich. „Aber nur für den Preis großer Zerstörung.“

Scharfschützen verstecken sich in Tunneln

Koye ist der befehlshabende Zerevani-Kommandeur am Frontabschnitt bei Khazer, etwa 40 Kilometer südlich der Millionenstadt Mossul, die seit Juni 2014 vom IS besetzt ist. Seit fast zwei Jahren haben sich die Peschmerga hier eingegraben, hinter einfachstem Schutz aus aufeinander gestapelten staubigen Sandsäcken, untergebracht in provisorischen Baracken und in Verschlägen ausharrend, den Feind in Sichtweite.

Keine 300 Meter entfernt lauern in vorgelagerten Stellungen feindliche Scharfschützen, die sich in Tunneln verstecken, häufig kommt es zu Giftgasangriffen. 26 größere Offensiven gab es bei Khazer seit dem Sommer vor zwei Jahren, regelmäßig setzt der IS Selbstmordattentäter und „Mad-Max-Fahrzeuge“ ein, gewaltige, mit Stahlplatten versehene rollende Bomben, die häufig nur durch den Einsatz der deutschen Milanraketen gestoppt werden können. Dutzende Peschmerga starben allein im Frontabschnitt Khazer im Kampf. Bricht der IS hier durch, ist das nahe­gelegene Erbil in Gefahr, die Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan.

Am Sonntag haben kurdische Peschmerga und Zerevani-Einheiten ihrerseits bei Khazer mit 5000 Mann und massiver Luftunterstützung einen Vorstoß begonnen. Am Montag berichtet General Koye, dass die kurdische Offensive erfolgreich sei. „Die Moral unserer Peschmerga ist sehr hoch. Wir haben Dutzende von IS-Kämpfern töten können und zwanzig Kilometer weit nach Westen vorstoßen können.“ Die Kurden haben vier Dörfer der Minderheit der Kakai und fünf von Arabern bewohnte Siedlungen vom IS befreien und zahlreiche Waffen und gepanzerte Fahrzeuge erbeuten können. „Wir haben allerdings auch einige Märtyrer und viele Verletzte zu beklagen“, sagt der General.