Berlin. 245 Straftaten gegen Flüchtlingshelfer, Politiker und Journalisten gab es laut einer BKA-Statistik. Die Täter sind nicht nur Neonazis.

Jeder, der Flüchtlingen hilft, sich für sie einsetzt oder nur über sie berichtet, lebt gefährlich: freiwillige Helfer, Amtsträger, Journalisten. Gegen diese Gruppen sind seit Januar 245 Straftaten verübt worden. Das geht aus einer Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) hervor, die 2016 erstmalig erhoben wird und die unserer Redaktion vorliegt. Am Montag will der SPD-Vorstand dazu aufrufen, die Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Helfer „konsequent“ zu verfolgen. In einem Antrag für einen SPD-Parteikonvent heißt es weiter, „die zunehmende Zahl von Hasskommentaren gegen Flüchtlinge, Helferinnen und Helfer und Ehrenamtliche im Internet dürfen wir nicht hinnehmen“. Wer zu Gewalt aufrufe oder volksverhetzende Inhalte verfasse, müsse zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Kriminalitätsstatistik zeigt für die SPD „das dramatische Ausmaß der menschenfeindlichen Gewalt gegen Flüchtlinge und Helfer“, aber auch gegen Politiker. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte veranlasst, die Zahlen über politisch motivierte Straftaten detaillierter als bisher zu erfassen. Im Ministerium war im vergangenen Jahr aufgefallen, dass die Meldungen über Bedrohungen, Beleidigungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen im Zuge der Asylproblematik zunahmen. Fallzahlen? 2015 noch Fehlanzeige. Erst jetzt wird die ganze Dimension dieser Hasskriminalität sichtbar: In Chemnitz greifen Schläger Sympathisanten der Flüchtlinge an, in Neuhardenberg geht der Bus eines Ehepaares in Flammen auf, das sich bei der Initiative Willkommenskreis engagiert. In Bielefeld findet ein Fotograf im Briefkasten eine Morddrohung; der Mann hatte mit Fotokalendern Geld für Asylbewerber gesammelt.

De Maizière, aber auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beklagen eine Verrohung unserer Gesellschaft. „Kein anständiger Demokrat darf das einfach hinnehmen“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner unserer Redaktion. Und er fordert, „wer Menschen attackiert, die hilfesuchenden Flüchtlingen die Hand reichen, muss die volle Härte des Gesetzes und der Strafverfolgung zu spüren bekommen“.

Nur ein Viertel der Täter war zuvor polizeilich aufgefallen

Nach der BKA-Statistik wurden bis zum 23. Mai 61 Straftaten gegen Flüchtlingshelfer verübt. 141-mal waren Amtsträger, Bürgermeister und Lokalpolitiker, aber auch die Wahlkreisbüros von Abgeordneten das Ziel. Auch Journalisten sind betroffen. Gegen sie wurden 43 Straftaten verübt. Dabei kommen doch immer weniger Flüchtlinge. Im April waren es 5426 Menschen, so viele wie im Herbst 2015 an einem Tag.

Inzwischen weiß man auch mehr über die Täter. Von 61 Straftaten gegen Flüchtlingshelfer gingen 54 auf rechtsmotivierte Angreifer, eine auf politisch motivierte ausländische Kriminelle zurück. Sechs Fälle sind politisch noch nicht zuzuordnen. Auch die große Mehrheit der 141 Straftaten gegen Amtsträger wie Bürgermeister, Lokalpolitiker, aber auch auf die Wahlkreisbüros von Abgeordneten hat zumeist einen rechtsextremen Hintergrund. Bedrohlich waren die 43 Übergriffe auf Journalisten, darunter zwölf Gewalttaten. Zum Vergleich: Freiwillige Helfer waren nur einmal Opfer von Gewalttaten. Acht Straftaten gegen Medienleute gingen auf links motivierte, vier auf politisch motivierte ausländische Kriminelle, 25 auf rechtsextreme Täter zurück. Sechs Übergriffe waren nicht zuzuordnen.

BKA geht von 1075 Tatverdächtigen aus

Nicht jeder Vorfall wird gemeldet. In der Kommunalpolitik sind die Übergriffe seit Langem ein Thema. „Teilweise hat das schon zu Rücktritten geführt“, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Er hält einen Straftatbestand „Politiker-Stalking“ sowie eine zentrale Ermittlungsstelle für nötig, an die etwa Bürgermeister ihre Drohmails melden können.

Die Täter, die gegen Helfer, Amtsträger und Journalisten vorgehen, dürften aus demselben Milieu kommen, wie die Angreifer von Asylunterkünften. 272 Delikten kann man 551 Tatverdächtige namentlich zuordnen. Insgesamt geht das BKA von 1075 Tatverdächtigen aus. Jeder Zweite geht allein vor. 41 Prozent operieren in Gruppen von zwei bis fünf Personen, in 8,5 Prozent der Fälle auch in größeren Gruppen. 89 Prozent der Täter sind Männer, meist im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. 78 Prozent sind ortsansässig. Nur ein Viertel der Täter war polizeilich aufgefallen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass nicht nur Neonazis, sondern „normale“ Bürger gewaltsam gegen Fremde vorgehen.