Washington. Immer neue Umfragen sagen den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl im November vorher. Aber an ihrer Zuverlässigkeit gibt es Zweifel.

Was wäre, wenn die Präsidentschaftswahl schon morgen wäre? Würden die Amerikaner Donald Trump wählen? Oder Hillary Clinton? Die Antwort hängt davon ab, wo man sucht. Welches Ergebnis man auch haben will, es gibt eine Umfrage dafür. „Trump überholt Clinton“, prangt in großen Lettern beim Sender Fox News. Beim Konkurrenten NBC liegt Clinton vorne, bei ABC wieder Trump.

Der tatsächliche Informationsgehalt dieser Umfragen ist gering. Und das hat mit verschiedenen Dingen zu tun.

Noch läuft der Vorwahlkampf, die eigentliche Präsidentschaftswahl ist erst am 8. November. Umfragen zum jetzigen Zeitpunkt sind nicht mehr als eine Momentaufnahme. „Sie sind keine Kristallkugeln, sie sagen nicht die Zukunft voraus, sie geben nur den gegenwärtigen Stand wieder“, sagt der Meinungsforscher Patrick Murray von der Monmouth University.

Auch Obama lag in Umfragen hinten

In den Umfragen spiegele sich auch die ungleiche Ausgangsposition beider Bewerber, meint er. Trump steht als Kandidat seiner Partei so gut wie fest. Das Rennen bei den Demokraten ist dagegen noch gar nicht entschieden, auch wenn Clinton am Ende mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als dessen Siegerin hervorgehen wird.

„Wenn man sich anschaut, wie es in der Vergangenheit aussah, wenn ein Bewerber sich schon die Kandidatur sichern konnte, und der andere noch darum kämpfte, dann sieht man, dass das der unberechenbarste Zeitpunkt für Umfragen ist“, erklärt der Meinungsforscher.

Die haushohe Favoritin bei den Demokraten: Hillary Clinton.
Die haushohe Favoritin bei den Demokraten: Hillary Clinton. © REUTERS | STEPHEN LAM

Als Barack Obama 2008 um die Kandidatur der Demokraten kämpfte, hatte er im direkten Vergleich mit John McCain lange einen Vorsprung vor dem Republikaner. Als dieser aber als Sieger aus dem Rennen bei den Konservativen hervorging, führte er plötzlich in den Umfragen. Als Obama als Kandidat feststand, holte er wieder auf.

Bis zum 8. November stehen noch zahlreiche Ereignisse an, die Wähler in ihrer Entscheidung beeinflussen könnten: Parteitage, direkte Duelle zwischen beiden Kandidaten, große Reden.

Wie sieht eine repräsentative Gruppe aus?

Vor allem eine Sache bereitet Demoskopen seit langem Kopfzerbrechen. „Wenn es Meinungsforschern gelingt, eine repräsentative Stichprobe von Erwachsenen oder sogar registrierten Wählern zu bekommen, müssen sie hinterher ein Modell entwickeln, wie die Wählerschaft aussehen könnte“, sagt Courtney Kennedy vom Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center.

Diese Gruppe existiert zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht. Nicht alle, die sagen, dass sie wählen gehen, tun es am Ende auch. Umgekehrt geben manche ihre Stimme ab, die sich vorher nicht für die Wahl interessiert haben. „Den wahrscheinlichen Wähler zu identifizieren, ist eine fundamentale Herausforderung“, sagt Kennedy.

In diesem Jahr macht eine Komponente es besonders schwer, wie Patrick Murray erklärt. Clinton und Trump haben beide historisch schlechte Beliebtheitswerte. „Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die normalerweise wählen gehen, aber in diesem Jahr für keinen der beiden stimmen würden. Was machen die? Lassen sie die Wahl aus?“

Weil Trump und Clinton so unbeliebt sind, bringen Kommentatoren immer wieder einen dritten Kandidaten ins Spiel. Einige Meinungsforschungsinstitute fragen mittlerweile die Chancen des libertären Gary Johnson ab, obwohl dieser noch gar nicht offiziell als Kandidat seiner Partei nominiert wurde. Die libertäre Partei ist die größte unter den übrigen Parteien der USA, spielt in der öffentlichen Wahrnehmung aber faktisch keine Rolle. In einer Umfragen kommt Johnson auf zehn Prozent, während Clinton bei 38 liegt und Trump bei 35.

Wenige Umfragen aus den Swing States

Darin liege eine weitere Unwägbarkeit, meint Murray. „Wähler sagen, dass sie für den Kandidaten einer dritten Partei stimmen und dann stehen sie in der Wahlkabine und kommen zu dem Entschluss, dass sie ihre Stimme nicht verschwenden können, weil sonst jemand ins Weiße Haus kommt, den sie dort nicht sehen wollen.“

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind. Sie bilden das landesweite Bild ab und haben deshalb bedingt Aussagekraft über die tatsächlichen Chancen. Denn bei der Wahl kommt es auf jene Bundesstaaten an, in denen die Mehrheiten zwischen Republikanern und Demokraten traditionell hin und her wechseln, die sogenannten Swing States. „Diese Wahl wird US-weit in bis zu zehn Staaten entschieden“, sagt Murray.

Es ist also völlig egal, wie hoch Clinton in Kalifornien führt, wenn es für sie in Florida knapp ist. Aus den Swing States gibt es aber bislang nur sehr wenige Umfragen. Und in denen, die es gibt, liegen Trump und Clinton nahezu gleich auf. Peter A. Brown von der Quinnipiac University meinte deshalb vor einigen Tagen: „Sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl sind die Rennen in den wichtigsten Staaten so eng, dass man keine Vorhersage machen kann.“ (dpa)