Brüssel. Der EU-Forschungskommissar Moedas stellt klar: Brüssel wird die Entwicklung neuer Atomreaktoren nicht fördern. Das sei ein Missverständnis.

Als nach Pfingsten der Sturm der Entrüstung in Deutschland losbrach, war der für Forschung und Innovation zuständige EU-Kommissar Carlos Moedas auf Dienstreise in Japan. Aus der Ferne musste er erleben, wie ein Papier aus seiner Dienststelle den Eindruck vermittelte, die EU starte eine Offensive pro Atomkraft. Zurück in Brüssel, stellt Moedas klar: ein Missverständnis. Zumal er aus einem Land komme, das zu den Pionieren der erneuerbaren Energie gehöre. „Die Portugiesen denken über Atomenergie sehr ähnlich wie die Deutschen.“

Herr Kommissar Moedas, will die EU-Kommission den deutschen Atomausstieg sabotieren?

Carlos Moedas: Die Haltung der Kommission ist unverändert, das gilt für mich genauso wie für meine Kollegen: Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Wir konzentrieren uns darauf, die Nutzung der Erneuerbaren billiger und effizienter zu machen. Das ist unsere Vision. Und das entspricht auch meinen Erfahrungen in Ländern außerhalb der EU: Wir sind in Europa die Besten auf diesem Gebiet, und das wollen wir bleiben!

Keine Offensive pro Atom?

Moedas: Absolut nicht.

In der Atomfrage geht ein Riss durch die EU. Deutschland will raus, Briten und Franzosen setzen weiter auf Kernkraft. Wie ist denn die Meinung im Team Juncker?

Moedas: Das ist die eben skizzierte Vision. Als Kommission können wir nicht über den Energiemix bestimmen. Darüber entscheiden jeweils die Mitgliedstaaten. Das Ergebnis finden wir vor. Dass es da fundamentale Unterschiede gibt, ist ein Fakt. Wir müssen überlegen, wie wir damit umgehen. Und da gibt es für mich nur eine Strategie: Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit! Wenn wir also Mitgliedstaaten mit Atomreaktoren haben, brauchen wir Forschung, um unser aller Sicherheit zu gewährleisten.

Keine Einmischung in die Entscheidung pro oder contra Atom – das ist das Mantra der Kommission. Aber die EU, zu der ja auch die Atomabteilung Euratom gehört, hat doch traditionell eine positive Haltung gegenüber der Kernkraft.

Moedas: Ich habe in meiner Abteilung mehr als 1500 Mitarbeiter und kann natürlich nicht für jeden einzelnen sprechen. Aber das Team Juncker ist eine politische Kommission, ich gebe eine politische Ausrichtung vor, und die wird von der Leitungsebene meiner Generaldirektion Forschung und Innovation geteilt: Soweit wir uns mit nuklearen Fragen befassen, dreht sich alles um Sicherheit. Bei Entscheidungen im Rahmen von Euratom gilt im Übrigen das Einstimmigkeitsprinzip: Jedes Land, auch die Bundesrepublik, hat also de facto ein Vetorecht.

Was ist Ihr persönliche Meinung: Ist Atomkraft nötig, wenn man weg will von fossilen Brennstoffen?

Moedas: Mir geht es um sichere, nicht-fossile Technologien. Meine Meinung deckt sich in dem Fall mit dem Fokus der Kommission. Wir zielen nicht auf Atomkraft, sondern auf Erneuerbare. Die Zukunft liegt nicht in der Kernenergie.

Das „Strategiepapier“ aus Ihrem Hause, das in Deutschland für Aufregung sorgte, vermittelte einen anderen Eindruck…

Moedas: Das ist kein Strategiepapier, das die Position der Kommission darstellt, sondern ein Arbeitspapier für Expertenberatungen. Es bildet Vorstellungen der Mitgliedstaaten über die künftige Strategie ab. Ein Land sagt: Ich hätte gern dies, ein anderes: Ich hätte gern das. Das Papier dient der internen Diskussion, es gibt in keiner Weise unsere eigenen Auffassungen wieder.

Das Ganze ist immerhin Entwurf einer gemeinsamen Absichtserklärung über Forschungsschwerpunkte, mit teilweise euphorischen Bekenntnissen pro Atom. Etwa zu „einer dynamischen einheimischen Nuklearindustrie“ oder zur „technologischen Führungsrolle auf nuklearem Gebiet“.

Moedas: Das sind sehr unglückliche Formulierungen, ich bin völlig anderer Auffassung. Es gibt wohl Länder, die so denken. Aber das ist nicht die Ansicht der Kommission. Es wäre besser, wenn in diesen Papieren bei jeder Position vermerkt wäre, wer sie vertritt!

Das Papier stellt auch finanzielle Hilfe für die Entwicklung mobiler Kleinreaktoren in Aussicht. Da geht es also nicht um Sicherheit oder Atommüllbeseitigung, sondern um neue Produktion. Erwarten Sie von Deutschland, dass es mitfinanziert, was es für gefährlich und obsolet hält?

Moedas: Zero, null, nichts! Kommissionsgeld fließt nicht in irgendwelche neuen Atomkraftwerke. Das war ein Missverständnis – und ich räume ein, das Papier hat Raum gelassen für Fehlinterpretation. Wir finanzieren Sicherheit und Abfallmanagement, aber keine neuen Anlagen.

Könnte es für neue Reaktortechnologie Förderung aus dem Juncker-Fonds (EFSI) für strategische Investitionen geben?

Moedas: Der EFSI stellt Mittel für Forschungsinfrastruktur bereit, in Sachen Nukleartechnologie ist aber auch das auf Sicherheit und Entsorgung beschränkt.

Keine EFSI-Subventionen für Minireaktoren?

Moedas: Nein. Auch da halten wir uns strikt an das – einstimmig erteilte – Mandat der Mitgliedstaaten, uns bei der Mittelvergabe auf Sicherheit, Abwicklung und Entsorgung zu beschränken. Die Wünsche einzelner Mitgliedstaaten ändern daran nichts, obwohl sie mit ihren nationalen Budgets natürlich auch andere Ziele verfolgen können. Im Übrigen reden wir hier auf europäischer Ebene nicht über Riesensummen. Im Euratom-Budget stehen für Nuklearforschung jährlich etwas mehr als 60 Millionen Euro zu Verfügung – ein Bruchteil dessen, was die EU in ihrem Programm Horizon 2020 für andere Forschung aufwendet: Das sind elf Milliarden Euro im Jahr.