Berlin. Im Herbst will Arbeitsministerin Andrea Nahles ein Reformkonzept für die Renten vorlegen. Die Debatte nimmt jetzt schon Fahrt auf.

Dieser Rentengipfel von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist ein Signal: Gleich zum Auftakt einer Reihe von Gesprächen mit Experten hat Nahles an diesem Mittwoch die Vertreter von Jugendorganisationen in ihr Ministerium eingeladen.

Junge Unternehmer und die Gewerkschaftsjugend, der Parteiennachwuchs und andere Verbände werden mit Nahles dann vor allem darüber reden, wie die Sicherung der Renten ohne Überforderung der jungen Generation möglich ist – dass Nahles die Frage der Generationengerechtigkeit gleich an den Beginn der Arbeit an ihrem für den Herbst geplanten Reformkonzept stellt, darf als Botschaft verstanden werden. Nahles will die Interessen der jungen Generation wahren. Wie brisant das Thema auch für die Koalition ist, unterstreicht nur einen Tag vor dem Rentengipfel eine neue Studie: Wer das Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus rückgängig machen will oder zumindest – wie SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer – für die Zukunft stoppen möchte, lastet der aktiven Generation schnell zweistellige Milliardensummen auf. Das ist das Ergebnis neuer Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die am Dienstag in Berlin vorgelegt wurden.

Wirtschaft sorgt sich um Kosten

Auftraggeber und Studienautoren gelten als arbeitgebernah, ihre politische Zielrichtung ist klar, doch an den Berechnungen ist kaum zu rütteln: Allein das Fixieren des Rentenniveaus auf dem heutigen Stand von 48 Prozent des Durchschnittslohns auch für künftige Rentner würde 2029 ganze 28 Milliarden Euro mehr kosten als bislang für die Rentenzahlungen kalkuliert. Der Beitragssatz läge dann bei 23 Prozent oder darüber. Ein Arbeitnehmer mit 3000 Euro Brutto würde im Monat 345 Euro an Rentenbeiträgen zahlen, immerhin 65 Euro mehr als heute. Die Arbeitgeber müssten die gleiche Summe drauflegen.

„Die hohen Kosten eines konstanten oder höheren Sicherungsniveaus belasten vor allem junge und künftige Beitragszahler“, sagte Hubertus Pellengahr, INSM-Geschäftsführer. Die Studie ist eine Reaktion auf die neue Rentendebatte, die wohl auch im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen wird.

Furcht vor steigender Altersarmut

Auslöser der politischen Diskussion ist die Furcht vor steigender Altersarmut, die allerdings eine Vorgeschichte hat: Mit der großen Rentenreform 2001 wurde und wird das gesetzliche Rentenniveau von damals 53 Prozent des Durchschnittslohns schrittweise abgesenkt, um die Beitragszahler auch in späteren Jahrzehnten nicht zu überlasten. Würde nichts getan, müssten die Beiträge angesichts einer steigenden Zahl von Rentnern mit gleichzeitig steigender Lebenserwartung spürbar erhöht werden.

Jetzt gilt: Die gesetzliche Rente allein soll nicht mehr den Lebensstandard sichern. Das Niveau ist für Neurentner bereits auf 48 Prozent des Durchschnittslohns gesunken, bis 2030 könnte es auf 43 Prozent fallen – erst dann müsste der Gesetzgeber eingreifen. Die Rentenlücke soll eigentlich durch private Vorsorge, vor allem durch die staatlich geförderte Riester-Rente, geschlossen werden. Doch gerade Geringverdiener sorgen nicht vor, oftmals fehlt ihnen dafür das Geld. Auch die Betriebsrente hat die Erwartungen nicht erfüllt. Und: Die gesetzliche Rente wird in Zukunft oftmals so niedrig ausfallen, dass auch nach vielen Jahren Beitragszahlung kaum mehr herauskommt als das Sozialhilfeniveau. Eine Floristin zum Beispiel wird bald 40 Jahre Beiträge zahlen, um im Alter so viel zu erhalten wie jemand, der nie in die Rentenkassen eingezahlt hat. CSU-Chef Horst Seehofer hat deshalb eine große Rentenreform mit einem höheren Niveau gefordert – sonst werde die Hälfte der Bevölkerung in die Altersarmut getrieben.

Gewerkschaften und Linke wollen zum alten Niveau

Und SPD-Chef Sigmar Gabriel warnt, Arbeitnehmer würden es nicht akzeptieren, wenn im übernächsten Jahrzehnt nur 40 oder 41 Prozent vom letzten Netto blieben. Während SPD und CSU wohl mit einer Stabilisierung des heutigen Niveaus zufrieden wären und konkrete Konzepte erst später vorlegen wollen, fordern Gewerkschaften und Linke sogar schon die schrittweise Rückkehr zum früheren Niveau. Kritiker solcher Eingriffe sind alarmiert: Würde das Rentenniveau auf 50 Prozent angehoben, kämen auf die Beitragszahler Mehrkosten von 52 Milliarden Euro im Jahr zu, so die neue IW-Studie. Die gesetzlich festgelegte Beitragsobergrenze von 22 Prozent würde dann schon bald überschritten, 2030 läge der Beitragssatz bei 25 Prozent. Im Rechenbeispiel würde der Arbeitnehmer mit 3000 Euro Monatsbrutto dann 375 Euro an Beiträgen bezahlen, also ein gutes Drittel mehr als heute.

Die Arbeitgeber, die die Hälfte des Rentenbeitrags übernehmen, fürchten einen drastischen Anstieg der Lohnnebenkosten und halten derartige Vorschläge für einen „Irrweg“. Zur Armutsvorbeugung sei eine Anhebung des Rentenniveaus gar nicht notwendig, heißt es in der Studie. Denn von der besseren Versorgung profitierten schließlich alle Ruheständler, es gebe große Mitnahmeeffekte. Und ohnehin sei die Armutsdebatte überzogen: Denn das Rentenniveau werde aller Wahrscheinlichkeit nach wegen der Rente mit 67 deutlich weniger stark sinken als im offiziellen Rentenbericht der Regierung vorhergesagt. „Die Rente mit 67 Jahren war der erste Schritt in die richtige Richtung, die Rente mit 63 war ein Rückschritt“, erklärte INSM-Geschäftsführer Pellengahr.

Altersgrenze steht wohl nicht zur Debatte

Wer die Folgen des demografischen Wandels gerecht auf jüngere und ältere Schultern verteilen wolle, müsse das Rentenalter weiter an die steigende Lebenserwartung anpassen. „Das stabilisiert die Beitragssätze und das Rentenniveau und ist ein zielführendes und gerechtes Mittel gegen Altersarmut.“ Doch ein weiteres Anheben der Altersgrenze über 67 Jahre hinaus ist politisch kaum durchsetzbar – und in vielen Berufen wohl auch unrealistisch.

In der politischen Debatte hat sich die Perspektive verändert: Generationengerechtigkeit sei wichtig, sagt etwa SPD-Chef Gabriel, aber eine auskömmliche Rente nach einem langen Arbeitsleben sei mindestens ebenso wichtig. Der DGB hat bereits berechnet, wie die geforderte Korrektur der früheren Reformen für die Beitragszahler verträglich organisiert werden könnte. „Wir können uns mindestens ein stabiles Rentenniveau leisten“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach unserer Redaktion. Wenn die Beitragssätze jetzt frühzeitig und vorausschauend in kleinen Schritten angehoben würden, müssten sie auch 2030 die festgelegte Grenze von 22 Prozent nicht überschreiten. Im Ergebnis würde das für die Beschäftigten im Jahr 2029 im Durchschnitt 11 Euro mehr Kosten im Monat bedeuten.

Im Gegenzug bekäme aber der sogenannte Eckrentner 2029 dann 120 Euro mehr Rente pro Monat, würde das Rentenniveau jetzt bei 47,5 Prozent stabilisiert. Viele künftige Seniorengenerationen würden so vor Armut bewahrt. „Es war eine falsche politische Entscheidung, das Rentenniveau abzusenken“, sagte Buntenbach. Die Talfahrt müsse dringend gestoppt werden: Der Rentenlücke könne mit privater Vorsorge nicht hinterhergespart werden.