Kritische Journalisten in Türkei unter immer größerem Druck
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Von Gerd Höhler
Ankara. Die Türkei rutscht auf Ranglisten für Pressefreiheit ab. Während einheimische Journalisten eingesperrt werden, leiden auch Ausländer.
Wenn am Dienstag der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen wird, gibt es in der Türkei keinen Grund zum Feiern. Erst am Samstag wurde ein weiterer Chefredakteur festgenommen. Es steht schlecht um die Meinungsfreiheit im Land des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unnachsichtig verfolgt er missliebige Journalisten. Kritik aus Europa lässt den mächtigen Staatschef kalt. Er sitzt am längeren Hebel. Erdogan weiß: Die EU braucht ihn in der Flüchtlingskrise.
Für Can Dündar war der 26. Februar ein besonderes Datum. An diesem Tag öffneten sich für den Chefredakteur der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ und seinen Ankara-Bürochef Erdem Gül das Tor des Silivri-Gefängnisses bei Istanbul – nach 92 Tagen Untersuchungshaft. „Cumhuriyet“ hatte im Jahr zuvor Dokumente publiziert, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien zu belegen scheinen. Auf eine Anzeige Erdogans hin wurden die beiden Journalisten deshalb der Spionage, des Umsturzversuchs und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
Türkei rutscht immer weiter ab bei Pressefreiheit
Am 26. November kamen sie in Untersuchungshaft. Doch drei Monate später hob das türkische Verfassungsgericht die Haftbefehle auf. Dündar und Gül wurden vor dem Gefängnis von Verwandten und Kollegen jubelnd empfangen. Dann fuhr Dündar in den Istanbuler Stadtteil Fatih. Hier hat der Fernsehsender IMC TV sein Studio. Der regierungskritische, pro-kurdische Sender hatte Dündar zum Interview eingeladen. Die Moderatorin Banu Güven wollte ihn gerade zum Thema Pressefreiheit befragen, das sahen die Zuschauer nur noch ein Testbild. Der Satellitenbetreiber Türksat hatte den Sender kurzerhand abgeschaltet – auf Weisung des Büros von Erdogan, wie man bei IMC TV glaubt.
Die Türkei habe die freieste Presse der Welt, brüstet sich der Staatspräsident. Nicht nur Can Dündar und viele seiner Kollegen haben eine andere Wahrnehmung. Im jüngsten Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) liegt die Türkei in der Rangliste der Pressefreiheit unter 180 Staaten auf Platz 151. Gegenüber 2015 ist sie damit weitere zwei Plätze zurückgefallen und rangiert sogar hinter Russland, Äthiopien und Venezuela. Auch der US-amerikanische Think-Tank Freedom House attestierte der Türkei in seinem jüngsten Bericht eine „alarmierende Verschlechterung“ bei der Meinungs- und Pressefreiheit.
Wie um dies zu beweisen, verurteilte ein Istanbuler Gericht am vergangenen Donnerstag zwei „Cumhuriyet“-Redakteure zu zwei Jahren Haft. Ihr „Verbrechen“: Sie hatten eine Mohammed-Karikatur aus der französischen Zeitschrift „Charlie Hebdo“ nachgedruckt. Daraufhin gingen bei der Staatsanwaltschaft 1280 Anzeigen ein – unter anderem von Erdogan, seinem Sohn und seinem Schwiegersohn.
Auch Ausländer im Visier von Erdogan
Nicht nur einheimische kritische Journalisten lässt Erdogan verfolgen. Zunehmend bekommen auch Ausländer den Jähzorn des türkischen Präsidenten zu spüren, wie der Fall Böhmermann zeigt. Erdogan scheint seine Vorstellungen von Pressefreiheit ins Ausland exportieren zu wollen. So wies das türkische Konsulat in Rotterdam die dort lebenden Türken an, Beleidigungen gegen Erdogan, etwa in sozialen Netzwerken, unverzüglich zu melden. Zugleich wurde die türkisch-niederländische Journalistin Ebru Umar in Kusadasi an der Ägäisküste wegen angeblich beleidigender Äußerungen über Erdogan in Gewahrsam genommen. Sie ist inzwischen wieder auf freiem Fuß, darf die Türkei aber nicht verlassen.
Chronik: Die Affäre Böhmermann – Erdogan
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Mehreren ausländischen Journalisten verweigerte die Türkei in den vergangenen Wochen die Einreise, darunter einem ARD-Korrespondenten. Nachdem bereits im vergangenen Jahr die niederländische Reporterin Frederike Geerdink aus der Türkei abgeschoben wurde, droht jetzt der finnischen Buchautorin Taina Niemelä das gleiche Schicksal. Die Türkei werde immer mehr „wir Nordkorea“, klagt ihr Anwalt Mahmut Kacan. Der „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim musste im März das Land verlassen, nachdem ihm die türkischen Behörden eine Erneuerung seiner Akkreditierung verweigerten.
Medienkonzerne werden zwangsfusioniert
Die Pressefreiheit in der Türkei sei „de facto vollständig aufgehoben“, klagt Ismail Topcuoglu, Vorsitzender der Mediengewerkschaft Pak Medya Is. Noch nie in der jüngeren Geschichte des Landes habe die türkische Presse so unter Druck gestanden wie jetzt. Kritische Journalisten würden massiv bedroht, missliebige Medienunternehmen gleichgeschaltet, wie der Zeitungsverlag Feza Gazetecilik und die Koza Ipek-Mediengruppe, die unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gebracht wurden.
Es bleibt nicht bei juristischen Zwangsmaßnahmen. Im vergangenen September versuchten Anhänger der Regierungspartei AKP, die Redaktion der Zeitung „Hürriyet“ zu stürmen. Der Mob zertrümmerte Fenster und Türen am Haupteingang des Gebäudes. Vier Wochen später wurde der „Hürriyet“-Kolumnist Ahmet Hakan vor seinem Haus in Istanbul zusammengeschlagen. Die Angreifer wurden gefasst – es waren ebenfalls Mitglieder der Erdogan-Partei AKP. Sie sind auf freiem Fuß.
Prozesse hinter verschlossenen Türen
Im Gegensatz zu Hamza Aktan. Der Chefredakteur des Senders IMC TV wurde am Samstagmorgen festgenommen. Er soll sich wegen mehrerer Kurznachrichten bei Twitter verantworten. Seit der Türksat-Abschaltung während des Dündar-Interviews Ende Februar sendet IMC TV nur noch im Internet. Aber wie lange noch?
Unterdessen warten Can Dündar und Erdem Gül auf die Fortsetzung ihres Prozesses. Die nächste Verhandlung soll am Freitag stattfinden – hinter verschlossenen Türen. Seit zum Prozessbeginn Ende März mehrere EU-Diplomaten als Beobachter erschienen waren, verhandelt das Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen die beiden Journalisten. Wie der Geheimprozess ausgehen wird, ist zu ahnen. Präsident Erdogan hat den Richtern eine harte Linie vorgegeben: Man dürfe den Journalisten ihre Veröffentlichung „nicht durchgehen lassen“, forderte Erdogan, sie müssten „einen hohen Preis bezahlen.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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