Chamilo. Der Flüchtlings-Exodus aus Idomeni war womöglich eine „organisierte Aktion“. Ein Flyer trägt den Namen eines deutschen Ex-Politikers.
Nach dem Exodus Hunderter Migranten aus Griechenland nach Mazedonien will Athen über eine Rücknahme dieser Flüchtlinge nachdenken. Noch hätten die mazedonischen Behörden keinen entsprechenden Antrag gestellt. „Wenn sie ihn stellen, werden wir es uns überlegen und entscheiden“, sagte der Sprecher des griechischen Flüchtlings-Krisenstabes, Giorgos Kyritsis, am Dienstag im Nachrichtensender Skai in Athen.
Am Vortag war es nach Schätzungen mazedonischer Medien bis zu 2000 Migranten aus dem griechischen Elendslager Idomeni gelungen, den mazedonischen Grenzzaun über Umwege zu umgehen und illegal in das Nachbarland einzureisen. Die meisten Flüchtlinge wurden nach Medienberichten in Mazedonien festgenommen.
Die Menschen flohen aus der aussichtslosen Situation in Idomeni. Regenfälle hatten das Flüchtlingscamp in der Grenzstadt in ein Wasserbecken verwandelt. Und so suchten sich immer mehr Menschen lebensgefährliche Schleichwege in das nahe gelegene Mazedonien.
Der „Bild“-Reporter Paul Ronzheimer hielt die Szenen des Aufbruchs in einem Video fest:
Der Weg und der Zeitpunkt des Aufbruches aus dem Lager in Idomeni sind möglicherweise keine spontane Idee der Flüchtlinge, sondern von außerhalb gesteuert. So veröffentlichte die österreichische „Kronen-Zeitung“ einen Flyer mit einer stilisierten Karte, der dort unter den Flüchtlingen verteilt worden sei. Auf Arabisch wird dazu eine Fluchtroute beschrieben. Die Zeitung erfuhr davon aus österreichischen Polizeikreisen. Die Herkunft der gedruckten Flugblätter ist unklar. Aufgedruckt ist als vermeintliche Quelle „Kommando Norbert Blüm“. In dem Aufruf heißt es laut „Krone“: „Vernichtet diesen Zettel, nachdem ihr ihn gelesen habt, damit er nicht in die Hände von Polizei, Militär oder Journalisten fällt.“
Drei afghanische Flüchtlinge gelangten andernorts zwar illegal nach Mazedonien, ertranken dort aber. Sie hatten versucht, nahe der Stadt Gevgelija einen Hochwasser führenden Fluss zu queren. 23 gerettete Flüchtlinge seien im Aufnahmelager Vinojug medizinisch versorgt worden, berichteten Medien unter Berufung auf die Polizei.
Am Montag spitzte sich die Lage weiter zu. Nach einem acht Kilometer langen Marsch kämpften sich einige hundert Flüchtlinge aus Idomeni nahe der Ortschaft Chamilo auf griechischer Seite durch einen Fluss, dessen anderes Ufer noch etwa 500 Meter von der mazedonischen Grenze entfernt ist. An dieser Stelle gab es dem Anschein nach keinen Grenzzaun mehr, der die Menschen auf dem Weg in Richtung Deutschland aufhält. Die Flüchtlinge stammen vorwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Flüchtlinge, die die Grenze nach Mazedonien überquert hatten, wurden kurze Zeit später von der mazedonischen Polizei festgenommen.
Aufbruch in Idomeni
Mazedonien als Tor nach Nordeuropa
Bei der Querung des Flusses halfen junge Männer schwächeren Flüchtlingen wie Frauen und Kindern durch die Strömung. Später zogen griechische Bereitschaftspolizisten auf und teilten den Menschen mit, ihr Vorhaben sei sinnlos: Auf mazedonischer Seite würden die Flüchtlinge bereits erwartet.
Nach dem illegalen Grenzübertritt bemühten sich dann mazedonische Polizisten und Soldaten, die Menschen wieder nach Griechenland zurückzubringen, wie Medien in Skopje unter Verweis auf das Innenministerium berichteten. Fraglich ist, wie dies organisiert werden soll - und ob Griechenland die Menschen überhaupt wieder aufnimmt, nachdem Mazedonien zuvor seine Grenze ohne Absprache mit Athen dichtgemacht hatte.
In dem improvisierten Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze ist die Lage dramatisch. Nach neuem Dauerregen ist das Camp völlig verschlammt. Zahlreiche Menschen, darunter viele Kinder, leiden unter Atemwegserkrankungen. Die Behörden riefen die Migranten abermals auf, das Camp zu verlassen und in andere organisierte Lager im Landesinneren zu gehen. Bislang sollen nach Schätzungen griechischer Medien über tausend Menschen Idomeni verlassen haben. Mehr als 10.000 Migranten harren dort weiter aus, um doch noch nach Österreich und vor allem nach Deutschland weiterreisen zu können. Nobert Blüm drehte für „Stern TV“ in dem Lager ein 360-Grad-Video:
Auch auf dem Wasserweg reißt Flüchtlingsstrom nicht ab
Vor der griechischen Insel Kos kenterte bei starkem Wind ein Flüchtlingsboot aus der Türkei, von dessen 13 Insassen die Küstenwache zunächst nur fünf retten konnte. Acht Menschen wurden vermisst. Der Zustrom über die Ägäis ist weiter enorm: Allein am Wochenende setzten nach vorläufigen Behördenangaben fast 4000 Migranten von der Türkei nach Griechenland über. Insgesamt sollen sich fast 50.000 Migranten im Land befinden.
Angesichts der dramatischen Lage fordert Österreichs Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Klarheit in der Flüchtlingspolitik. „Jeder muss wissen: Es ist eine falsche Hoffnung, auf das Durchwinken nach Deutschland zu setzen“, sagte Kanzler Werner Faymann (SPÖ) der „Welt“. Merkel müsse deutlich machen, dass Deutschland nicht bereit sei, unbeschränkt Menschen aufzunehmen, und dass sich kein Flüchtling sein Zielland aussuchen könne. Die Flüchtlinge müssten einsehen, dass eine ungeordnete und chaotische Reise quer durch Europa nicht zum Ziel führe.
Türkei-Abkommen soll nachgebessert werden
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz verteidigte den Plan seiner Regierung, künftig auch 13 Grenzübergänge an der Südgrenze des Landes strenger zu kontrollieren – darunter der besonders frequentierte Brenner. Lange Staus in der Urlaubszeit und ähnliche Unannehmlichkeiten will die österreichische Regierung in Kauf nehmen, um die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen zu stoppen.
Beim geplanten EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei wird nach teils harscher Kritik aus den Mitgliedstaaten nachgebessert. Mehrere Punkte würden bis zum Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs an kommenden Donnerstag und Freitag geändert oder präzisiert, hieß es aus zuverlässiger Quelle in Brüssel. Dabei gehe es etwa um die geplante Umsiedelung von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in die EU. (law/les/dpa)