Berlin. Der IS schickt deutsche Islamisten mit Datenträgern bewaffnet ins Guerilla-Marketing. Große Erfolge erwarten Experten nicht.

Der sogenannte Islamische Staat (IS) fordert Anhänger in einem deutschen Propagandakanal auf, DVDs mit einer Sammlung von Werbematerial zu brennen und sie zu verteilen. Die Aktion erinnert an die „Schulhof-CDs” der NPD. Muslime dürfen auch heimlich mit den DVDs zwangsbeglückt werden, heißt es in einem Aufruf, der über den WhatsApp-ähnlichen Dienst Telegram verbreitet wurde.

In dem Aufruf fand sich der Link zum Herunterladen von fast 4000 MB Videos, Fotos und Textbotschaften. Das sei der Inhalt einer im Islamischen Staat erhältlichen DVD, hieß es. Anhänger werden aufgefordert, das Material auf DVD zu brennen. „Verteile sie (auch unbemerkt) an Muslime, sei es in Briefkästen, Moscheen, Häusern oder in Autos reinlegen oder einfach an Vertrauenspersonen aushändigen”, heißt es wörtlich in fehlerhaftem Deutsch.

Dem IS brechen Facebook und Youtube weg

Die Aufforderung kommt aus einem deutschsprachigen Kanal, in dem Kampfberichte, Fotos von Hinrichtungen und vom Leben im Kalifat sowie Botschaften an Anhänger geschickt werden. Islamisten nutzen wegen der Verschlüsselung dort und wegen der schnellen Löschung in sozialen Netzwerken vermehrt diesen Weg. Telegram hat zwar im November 78 IS-Kanäle gesperrt, der deutschsprachige Kanal wurde aber wenige Tage später eröffnet und zählte am Mittwoch knapp unter 500 Mitgliedern. Propaganda-Material kann somit gebündelt und an der breiten Öffentlichkeit vorbei an die Zielgruppe weitergeleitet werden.

Zwischen Siegesmeldungen, Fotos vom Kampf und von Hinrichtungsbildern von „Spionen“: Der Aufruf, das Propagandamaterial herunterzuladen, zu brennen und die DVDs zu verteilen.
Zwischen Siegesmeldungen, Fotos vom Kampf und von Hinrichtungsbildern von „Spionen“: Der Aufruf, das Propagandamaterial herunterzuladen, zu brennen und die DVDs zu verteilen. © FMG | FMG

Der Mainzer FDP-Politiker Tobias Huch, der in den vergangenen Jahren zum Islamismus-Experten geworden ist und mit einem Hinweis gerade die Festnahme eines syrischen Studenten in Darmstadt ausgelöst hat, sieht in dem Aufruf einen Ausdruck von Hilflosigkeit: „Dem IS bricht die Propagandabasis durch die Eingriffe von Facebook und YouTube weg“, sagte er unserer Redaktion. „Da wird jetzt der Versuch über DVDs unternommen.”

Verfassungsschutz: DVD bisher Internet-Ersatz

Das Material ist den Sicherheitsdiensten bekannt, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Bislang sei die DVD vor allem gebrannt worden, um Menschen innerhalb des IS-Einzugsbereichs zu versorgen, die keine oder nur schlechte Internetversorgung haben, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion. Für Propaganda außerhalb der IS-Einflussgebiete sei es bisher effizienter gewesen, das Material online verfügbar zu machen. In dem Aufruf sieht man beim Verfassungsschutz einen Versuch, auch Muslime zu erreichen, die derartiges Material aus eigenem Antrieb nicht suchen oder herunterladen würden.

Das Vorgehen mit dem Verteilen von Datenträgern erinnert an Aktionen von rechtsextremistischen Kameradschaften und der NPD, die unter dem Schlagwort „Schulhof-CD” bekannt wurden. Mit dem großflächigen Verschenken von rebellischen Songs aus der Neonazi-Szene und Propaganda an Schüler wurde seit 2004 mehrfach versucht, Gleichgesinnte zu gewinnen.

Blog: DVD Signal an harten Kern

Mit den IS-DVDs wird das allerdings eher nicht gelingen, so die Einschätzung der Fachleute des Blogs Erasmus-Monitor. Das Blog hat sich auf die Beobachtung von islamistischer und jihadistischer Propaganda spezialisiert. „Es ist unwahrscheinlich, dass das auch nur annähernd den Grad der NPD-Aktionen auf Schulhöfen erreicht”, erklärt einer der Autoren, die in der Öffentlichkeit anonym bleiben. „Die DVD hat kein spezifisches jugendaffines Thema, der Inhalt ist wahllos aus diversen Propagandaseiten zusammengebastelt worden.”

Mit dem „ungewöhnlichen Aufruf” gehe es eher darum, den harten Kern zu motivieren. Innerhalb der Islamisten gebe es eine tiefe Spaltung, die meisten salafistischen Prediger, die viele Jugendliche radikalisiert haben, stellten sich inzwischen gegen den IS, auch weil der sie nicht als religiöse Autoritäten anerkenne.

Bereits das Teilen von IS-Videos in Sozialen Netzwerken ist seit September 2014 in Deutschland eine Straftat, das Werben für die Organisation und jede Art der Unterstützung ebenfalls.